Gesundheitsminister Daniel Bahr sprach in Wolfenbüttel.
Gesundheitsminister Daniel Bahr sprach in Wolfenbüttel. © Frank Schildener

WOLFENBÜTTEL. Daniel Bahr ist verschnupft. Nicht wegen des kürzlich bekanntgewordenen Datenklaus von Pharma-Lobbyisten, die sein Ministerium ausspionieren wollten; das ist an diesem Abend kein Thema. Der Bundesgesundheitsminister hat sich eine Erkältung eingefangen, und die ist ihm auf die Stimme geschlagen. „Ich hoffe, sie hält“, knarzt der 36-Jährige ins Mikrofon. „Wenn man erkältet ist, weiß man wenigstens, wie wertvoll eine Zweitstimme ist.“

Die rund 50 Gäste im Saal lachen. Von dieser Anspielung mal abgesehen, soll es nicht um Wahlen gehen, beteuert Bahr. Die FDP hat in die Wolfenbütteler Lindenhalle eingeladen, um über Gesundheitsthemen zu diskutieren. Gekommen sind Experten – Ärzte, Apotheker, Krankenpfleger, aber auch interessierte Bürger.

Dass dieser politische Abend mit dem Wahlkampf in Niedersachsen zusammenfällt, scheint aber eine gewollte Nebenwirkung zu sein. Immer wieder zählt Bahr auf, was die schwarz-gelbe Regierung erreicht hat: die Abschaffung der Praxisgebühr, das Patientenrechtegesetz, das Gesetz gegen den Ärztemangel, das mehr Anreize für Mediziner schafft, sich in der Fläche niederzulassen.

Der Minister macht deutlich, dass er sich ein leistungsgerechteres Vergütungssystem für Ärzte vorstellen kann. Einen Bäcker könne man schließlich auch nicht motivieren, wenn man ihn am Ende des Quartals seine Brötchen umsonst backen lässt, weil kein Geld mehr im Topf ist, sagt er. Dass dafür Lob von den Zuhörern kommt, quittiert Bahr mit einem Lächeln; Lob bekommt ein Gesundheitsminister nicht oft zu hören.

Hautarzt Dr. Henning Franz aus Wolfenbütteltreibt aber auch die Sorge um, dass immer mehr Ärzte in ein Angestelltenverhältnis gedrängt werden. „Das Versorgungsstrukturgesetz stärkt die Freiberuflichkeit“, ist Bahr dagegen überzeugt. Zum Beispiel sei die Zulassung von Medizinischen Versorgungszentren erschwert worden; niedergelassene Ärzte hätten immer Vorrang. „Allerdings wird es mehr Kooperationen geben“, sagt er. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, müssten sich mehr Mediziner den Betrieb einer Praxis teilen. „Den Einzelkämpfer wird es gerade bei Fachärzten so nicht mehr geben.“

Auch müsse auf die Bedürfnisse gerade junger Ärztinnen eingegangen werden. „Viele Studenten sind Frauen, sie wollen für die Familiengründung auch mal eine Auszeit nehmen.“

Ralf Ludwig aus Salzgitterärgert sich über seine private Krankenkasse. Weil diese in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sei, müsse er immer höhere Beiträge zahlen. Ein Wechsel in eine andere Kasse sei aber schwer. „Was wollen Sie tun, damit die Beiträge nicht ins Unermessliche steigen?“, fragt er.

Bahr stimmt ihm zu: „Der Wechsel in eine andere private Kasse muss leichter werden, da müssen wir ran.“ Im Übrigen setze er sich für mehr Eigenvorsorge ein. „Angesichts der alternden Bevölkerung müssen wir jetzt Rücklagen bilden.“

Nils Hellrung, Medizininformatikerund Geschäftsführer der Softwarefirma Syneda in Braunschweig, würde seinen Mitarbeitern gerne Angebote zur Gesundheitsvorsorge machen. „Auch kleine und mittlere Betriebe sollten sich Prävention leisten können“, sagt er.

Bahr nickt: „Betriebliche Gesundheitsförderung macht Mitarbeiter leistungsfähiger, das rechnet sich.“ Mit dem Projekt „Unternehmen unternehmen Gesundheit“ könnten sich Betriebe über gute Konzepte informieren. Auch will er die Krankenkassen dazu verpflichten, mehr Geld für gesundheitliche Vorsorge auszugeben. In einem Interview hatte der Minister bereits angekündigt, dass die Kassen künftig für jeden ihrer Versicherten sechs Euro in die Prävention stecken sollen – auch, um die betriebliche Vorsorge besser zu fördern. „Nicht jeder Yogakurs, den die Krankenkasse bezahlt, ist ein nachhaltiger Erfolg.“ Das müsse sich ändern.

Eine Krankenschwesterklagt, dass Auszubildende in ihrer Klinik nur befristet übernommen werden, wenn überhaupt. „Das Pflegepersonal veraltet, die guten jungen Kräfte gehen weg. Was tun Sie dagegen?“

Bahr zieht erstaunt die Augenbrauen hoch. Das stehe im Widerspruch zu seinen Erfahrungen, dass Pflegepersonal händeringend gesucht werde. „Wenn ein Krankenhaus solche Verträge anbietet, kann die Not nicht so groß sein.“

Angesichts des demografischen Wandels müssten mehr junge Leute für den Pflegeberuf gewonnen werden. Deshalb werde er sich auch gegen die Pläne der EU-Kommission wehren, das Abitur als Voraussetzung für Pflegeberufe zu machen. „Wenn der Vorschlag umgesetzt würde, bekämen wir tatsächlich einen Pflegenotstand.“

Nach anderthalb Stunden hört sich Bahrs Stimme noch kratziger an. Der Minister stärkt sich im Hinausgehen mit einer der Brezeln, die neben einer Batterie von Tassen mit blau-gelbem Parteilogo liegen; jeder Gast soll einen Becher als „Weihnachtspräsent“ mit nach Hause nehmen. Nach jüngsten Umfragen könnte die FDP bei der Landtagswahl im Januar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Da kommt es eben doch auf jede Stimme an.