Wenn Ihre Regierungskoalition nach der Wahl fortbesteht, wird es dann neue Gesamtschulen in Niedersachsen geben?

Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) im Interview, hier beim Bildungsgipfel unserer Zeitung 2010.
Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) im Interview, hier beim Bildungsgipfel unserer Zeitung 2010.

Seit der Aufhebung des Neugründungsverbots 2008 haben wir 40 neue Integrierte Gesamtschulen (IGS) genehmigt. Bei zurückgehenden Schülerzahlen in den kommenden acht Jahren um 20 bis 40 Prozent ist das Potenzial weiterer Neugründungen gering. Wir konnten dem Elternwillen entsprechend den Bedarf an Gesamtschulen weitestgehend decken.

In Braunschweig zum Beispiel werden nach wie vor sehr viele Schüler an den Gesamtschulen abgewiesen.

„Sicherlich wird das ein hartes Ringen mit dem Finanzminister.“

Noch nicht alle Schüler, die eine IGS besuchen wollten, können das auch. Es ist allerdings auch eine Frage, wie viele Parallelklassen ein Schulträger vor Ort einrichtet und ob er dabei die gegebenen Möglichkeiten wirklich ausschöpft. Ich sehe aber weitestgehend eine Befriedung der Schullandschaft in ganz Niedersachsen, insbesondere auch durch das Angebot der Oberschulen, die sich ja entscheiden können: Sie können Schulzweige einrichten oder auch in den unteren Jahrgängen gemeinsames Lernen ermöglichen und erst später differenzieren. Das Modell ist sehr flexibel.

Gerade Ihre Vorgabe, dass eine neue IGS fünfzügig sein muss, erzürnt IGS-Anhänger. Werden Sie künftig auch kleinere Gesamtschulen zulassen?

Die Zahl der Neugründungen in unserer Regierungszeit ist höher als der Gesamtbestand an Gesamtschulen in Niedersachsen zur Regierungszeit der SPD. Die angebliche Hürde der Fünfzügigkeit hat jedenfalls die Neugründung von 40 Integrierten Gesamtschulen nicht behindert...

Die IGS wird zur Großstadtschule – kleinere Städte und ländliche Räume, von denen es in Niedersachsen sehr viele gibt, scheitern an der Vorgabe.

„Gute Schule gelingt völlig unabhängig von der Struktur, sie gelingt durch Engagement.“

Man wird genau abwägen müssen, wie sich die Schülerzahlen entwickeln. Und für eine große Neugründungswelle wird es nicht mehr genug Schüler geben, die eine IGS anwählen wollen. Es bedarf übrigens auch einer gewissen Schülerzahl, um dem besonderen pädagogischen Konzept der IGS gerecht werden zu können. Die differenzierte, begabungsgerechte Ausrichtung auf jedes einzelne Kind ist bei einer geringen Schülerzahl in der IGS kaum mehr möglich, weil dann das Angebot zu klein ist. Es gibt weder die angebliche Überlegenheit oder Unterlegenheit einer bestimmten Schulform. Meine Erkenntnis ist: Gute Schule gelingt völlig unabhängig von der Struktur, sie gelingt nur vor Ort, und zwar durch das Engagement der Lehrer, Schüler und Eltern, durch die Haltung der Schüler, durch wertschätzenden Unterricht. Mein großer Wunsch ist, lasst uns die ideologischen Debatten darüber, welche Schulform überlegen ist, beilegen. Gute Rahmenbedingungen sind wichtiger.

Sind Sie bereit, die Oberschule weiterzuentwickeln und dort auch den Weg zum Abitur zuzulassen?

Wir sind ja gerade erst im zweiten Jahr der Oberschule. Sie ist bereits jetzt die zahlenmäßig häufigste weiterführende Schulform in Niedersachsen nach den Gymnasien. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten acht bis zehn Jahren alle Haupt- und alle Realschulen zu Oberschulen weiterentwickelt werden können. Die Entscheidung darüber treffen aber die Kommunen als Schulträger. Das Angebot der Oberschulen ist sehr attraktiv, was etwa das Ganztags-Angebot, die sozialpädagogische Unterstützung, die Klassengrößen betrifft. Wir sind da vielen Elternwünschen nachgekommen. Der Trend geht hin zu einem zweigleisigen Schulsystem in Niedersachsen, bestehend aus den Gymnasien und den Oberschulen, ergänzt durch die bestehenden Gesamtschulen.

Mit Blick auf die Ganztagsschule sind aber noch lange nicht alle Eltern zufrieden. Der Vorwurf lautet, es gebe hier meist nur eine Ganztagsschule light.

zum Geld
Kultusminister Bernd Althusmann

Klar ist, dass der Ganztag in der nächsten Legislaturperiode deutlich ausgebaut werden sollte, insbesondere zunächst quantitativ, und zwar in allen Schulformen. Ziel einer Landesregierung sollte in der kommenden Legislaturperiode sein, die teilgebundene Ganztagsschule stärker zu etablieren, also ein verpflichtendes Angebot an zwei Nachmittagen in der Woche anzubieten. Rund drei Viertel der Oberschulen sind bereits teilgebundene Ganztagsschulen.

Die Mehrzahl der Ganztagsschulen sind aber offene Ganztagsschulen mit einem freiwilligen Nachmittagsangebot, dessen Qualität an einigen Schulen zu wünschen übrig lässt. Was unternehmen Sie?

Es gibt eine Vielzahl von Schulen, die auch mit dem derzeitigen Modell der offenen Ganztagsschule sehr gut zurecht kommen und sehr hochwertige Angebote machen. Mir ist aber klar, dass der Bedarf an Ganztagsschulen zunehmen wird und da werden wir abwägen müssen: Weiten wir das Angebot an offenen Ganztagsschulen aus oder setzen wir alternativ auf das Modell der teilgebundenen Ganztagsschulen. Da setze ich auch sehr auf regionale Lösungen.

Kultusminister Bernd Althusmann zum Wichtigsten

Wir müssen dem Wunsch nach mehr Ganztagsbeschulung in Niedersachsen in den kommenden Jahren nachkommen. Zurzeit geben wir rund 96 Millionen Euro dafür aus. Mehr war in dieser Legislaturperiode noch nicht machbar.

Glauben Sie, Sie können einen neuen Finanzminister dafür begeistern?

Tatsächlich sollten wir das Budget für den Ganztagsschulbereich erhöhen. Das wird jedoch nur mit Blick auf die Haushaltslage möglich sein. Klar ist aber, dass wir in der nächsten Legislaturperiode mehr Geld dafür aufwenden wollen, dass Schülern noch gezieltere Förderangebote gemacht werden können, um sie zu einem Bildungserfolg zu führen. Bei der Finanzierung des Schulsektors wird uns der Schülerrückgang behilflich sein – trotz des Rückgangs dürfen die Haushaltsmittel nicht gekürzt werden. Dann können wir die Qualität des Angebots verbessern.

Werden Sie neue gebundene Ganztagsschulen zulassen, also Schulen, an denen die Lehrer die ganze Woche auch im Nachmittagsbereich tätig sind?

Von unseren 1500 Ganztagsschulen sind etwa 200 gebundene Ganztagsschulen, alle anderen sind offene Ganztagsschulen. Und ich höre beide Forderungen: Die einen sagen, lasst uns auf die offene Ganztagsschule mit ihren flexiblen Möglichkeiten auch gerade für die Eltern setzen und gebt uns nur mehr Budget. Die anderen wollen mehr Gebundenheit. Hier gilt es, klug abzuwägen.

Setzen Sie sich ein Ziel bezüglich der Unterrichtsversorgung?

Wenn es gelingt, die Unterrichtsversorgung auf dem heutigen hohen Niveau von 102 Prozent im Durchschnitt – an den Gymnasien sind es teilweise 104 Prozent – zu halten, dann bleibt dieses Thema ein Erfolg. Wir haben im Moment eine sehr gute Versorgung mit Lehrerstellen. Dennoch fehlen natürlich einzelne Fachlehrer, zum Beispiel Physiklehrer.

Wird nicht die Unterrichtsqualität leiden, wenn Sie die regelmäßigen Schulinspektionen abschaffen?

Die Schulinspektion wird nicht abgeschafft. Wir haben für die vorgesehene Neuausrichtung Lob von allen Seiten bekommen, von der GEW bis zum Philologenverband. Auch der Verband der Elternräte der Gymnasien begrüßt das Modell, das bundesweit Maßstäbe setzt, denn es kümmert sich jetzt zentral um die Unterrichtsqualität. Und alle Schulen müssen jederzeit mit einer Überprüfung rechnen.

Was hilft guter Unterricht, wenn die Schüler durch eine Verkürzung der Gymnasialzeit, überfrachtete Lehrpläne und Leistungsdruck unter Stress gesetzt und in ihrer Entfaltung behindert werden?

Es bleibt eine Daueraufgabe, die Lehrpläne zu entfrachten. Wir haben da schon viel getan und müssen dies in der Zukunft noch weiter angehen. Viele Schulen unterbreiten den Schülern ein breites Fächerangebot, und das führt natürlich dazu, dass insbesondere in den höheren Jahrgängen der Unterricht bis in den Nachmittag dauert. Oft ist das der eigentliche Auslöser für den sogenannten Schulstress, dass der Schultag erst nach der neunten oder zehnten Stunde zu Ende ist. Wir bringen gerade eine Fortbildung auf den Weg, die Lehrkräften sehr gezielt den Umgang mit den neuen kompetenzorientierten Lehrplänen, den Kerncurricula, vermittelt. Differenziert betrachtet ist der Stoff nämlich weniger geworden, das ist offenbar noch nicht überall umgesetzt. Das 12-jährige gymnasiale Schulmodell wird sich durchsetzen – warum sollten unsere Schüler nicht das schaffen, was Gleichaltrige in den meisten europäischen Ländern schaffen?

Warum lassen Sie nicht unterschiedliche Geschwindigkeiten zu, so dass auch Schüler, die erst später ihren Sprung machen, zum Abitur geführt werden?

Ich glaube, dass das G9, also das Abitur am Ende des 13. Schuljahres, nicht weniger Stress bedeutet. Die Unterrichtsinhalte werden dadurch nicht weniger. Und jetzt wieder ein neues Modell zu schaffen, ist nicht im Sinne der Schüler. Die Schüler gewinnen durch das G8 ein Jahr: Sie können früher an die Universität gehen oder sie können beispielsweise ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Es gibt Schüler, für die ist das gar kein Problem ist, und es gibt andere, die fühlen sich überfordert...

...und denen könnte man ja ein Abitur nach 13 Jahren anbieten.

Und genau das gibt es ja weiterhin: Einerseits bietet die IGS ja noch bis 2017 das Abitur nach 13 Jahren an. Und wer beispielsweise im Anschluss an den Besuch der Ober- oder Realschule Abitur machen möchte, dem bietet das berufliche Gymnasium die allgemeine Hochschulreife weiterhin nach 13 Jahren an. Wir haben mehrere Wege bis zum Abitur.

Wollen Sie neue Lehrer einstellen?

Wir sollten die Lehrerzahl stabil halten, was mit Blick auf den Schülerrückgang einer deutlichen Verbesserung gleichkommt. Wir haben heute rund 86 000 Lehrkräfte. Die Zahl der Schüler soll in nur acht Jahren bis 2020 von heute 900 000 auf nur noch 720 000 zurückgehen. Wenn die Zahl der Lehrer gleich bleibt, können wir kleinere Klassen und den Ganztag organisieren sowie Ressourcen für die Fortbildung gewinnen.

Sichern Sie das zu?

Wir wollen die Bildungsressourcen trotz zurückgehender Schülerzahlen im Schulsystem belassen, um so die Rahmenbedingungen zu verbessern. So steht das auch im Regierungsprogramm. Sicherlich wird das ein hartes Ringen mit dem Finanzminister, aber ich bin da guter Dinge.

Geht es bei dieser Landtagswahl um zwei widerstreitende Schulideologien?

findet an diesem Freitag statt:

Zeit: Freitag, 21. Dezember, 17 Uhr

Ort: Aula des Wilhelm-Gymnasiums Braunschweig, Leonhardstraße 63.

Auf dem Podium sitzen neben Vertretern von Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft die folgenden Schulpolitiker:

Karl-Heinz Klare,

CDU, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Mitglied im Landtags-Kultusausschuss, Schulamtsdirektor a.D.

Claus Peter Poppe,

SPD, Vorsitzender des Kultusausschusses im Landtag.

Gabriele Heinen-Kljajic, Grüne, Sprecherin der Landtagsfraktion für Wissenschafts- und Kulturpolitik, stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Björn Försterling, FDP, bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, Mitglied im Kultusausschuss des Landtags.

Christa Reichwaldt, Linke, schulpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Mitglied im Kultusausschuss des Landtags.

Unsere Leser sind aufgerufen, Fragen zu stellen, die während des Leserforums vorgetragen werden. Auch konkrete Kritik ist erwünscht. Außerdem suchen wir Schüler, Eltern und Lehrer, die ihre Fragen oder Anregungen persönlich bei der Veranstaltung vorbringen möchten. Bitte schicken Sie Ihre Fragen, kritischen Anmerkungen und Bewerbungen für ein Statement an die Mail-Adresse:

antworten@bzv.de