ISTANBUL.

Die Türkei will versuchen, Russland zu mehr Distanz zur Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu bewegen. „Russland hat den Schlüssel“, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor dem heutigen eintägigen Istanbul-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Wenn Russland seine Haltung im Syrien-Konflikt „positiv“ verändere, dann werde sich auch der Iran als weiterer wichtiger Verbündeter von Assad der Absetzbewegung anschließen, sagte Erdogan.

Allzu fordernd dürfte er bei Putin dennoch nicht auftreten: Die Türkei will Spannungen mit ihrem wichtigsten Energielieferanten vermeiden.

Erdogans Syrien-Mission beim russischen Präsidenten ist Teil einer breiter angelegten Initiative Ankaras, die das Ziel hat, den Druck auf Assad zu erhöhen. In wenigen Tagen wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in der Türkei erwartet, wo er unter anderem ein Lager für syrische Flüchtlinge besuchen will. Auch die Bitte um Stationierung von Patriot-Raketenabwehrsystemen der Nato im türkisch-syrischen Grenzgebiet gehört dazu. Das Bündnis will in den kommenden Tagen formell grünes Licht geben.

Hinter den Bemühungen steht die Sorge, dass bei einer weiteren Eskalation in Syrien neue Belastungen für die Türkei entstehen könnten, etwa in der Flüchtlingsfrage. Nach türkischen Angaben muss man sich auf die Versorgung von 200 000 Menschen vorbereiten. Demnach befinden sich 130 000 Syrer in Auffanglagern, weitere 40 000 sind außerhalb der Lager in der Türkei untergekommen. Und 25 000 Syrer warten an der langen Grenze zur Türkei.

Bei Putin will Erdogan deshalb darauf dringen, dass Russland zumindest etwas von Assad abrückt, um den syrischen Präsidenten international weiter in die Isolation zu treiben. Außenminister Ahmet Davutoglu erklärte kürzlich, auch Russland sei von der Notwendigkeit eines politischen Wandels in Damaskus überzeugt. Der Unterschied zwischen der türkischen und der russischen Haltung bestehe in der Antwort auf die Frage, ob dieser Wandel mit oder ohne Assad bewerkstelligt wird.

Syrien-Streit soll passé sein

Ursprünglich hatte Putin die Türkei im Oktober besuchen wollen, die Reise dann aber verschoben. Erdogan betonte damals, die Verschiebung habe nichts mit dem Streit um das syrische Flugzeug zu tun, das von den türkischen Behörden auf dem Weg von Moskau nach Damaskus in Ankara zur Landung gezwungen wurde, weil es angeblich Rüstungsgüter für Assads Armee an Bord hatte. Botschafter Iwanowski gab nun erstmals bekannt, was die Maschine transportierte: eine vertraglich vereinbarte Lieferung von reparierten Ersatzteilen für die Radaranlage einer syrischen Luftwabwehr-Batterie. Die beschlagnahmte Ladung befindet sich nach wie vor in Ankara, doch Türken und Russen wollen den Streit begraben.

Erdogan dürfte das recht sein. Die Türkei bezieht 60 Prozent ihrer Erdgas-Importe und 35 Prozent ihrer Öleinfuhren aus Russland. Auch sind die jährlich rund 3,5 Millionen russischen Urlauber wichtig für den türkischen Tourismussektor – so wichtig, dass es in Antalya ein Hotel gibt, das als Kreml-Kopie errichtet wurde. Die Verbesserung der türkisch-russischen Beziehungen könnten beim Besuch Putins mit einer besonderen Abmachung gekrönt werden, wie die türkische Presse spekuliert: Der Gas-Konzern Gazprom, der unter anderem Schalke 04 unterstützt, will demnach Hauptsponsor des türkischen Erstliga-Fußballclubs Antalyaspor werden.