Braunschweig. Harold Kroto hätte lieber Kunst oder Grafikdesign studiert – Seine Bildungsplattform „Geoset“ soll Lehrern beim Unterricht helfen

Der Brite Harold Kroto wollte eigentlich nie Wissenschaftler werden. Den Nobelpreis für Chemie gewann er trotzdem, weil er gemeinsam mit zwei Kollegen ein neues Molekül entdeckte: Das sogenannte „Buckminster Fulleren“. Mit Lesern in der Autostadt sprach er über den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion.

Ralf Michaelis: Wie haben Sie Fullerene entdeckt, war es ein Ergebnis gezielter Forschung?

Nein, überhaupt nicht. Mein Kollege Richard Smalley hatte geschafft, Metalle mit einem Laser verdampfen zu lassen. Das fand ich sehr spannend und dachte, es wäre interessant, Kohlenstoff verdampfen zu lassen und die Chemie eines Sterns zu entwickeln. Es war nur eine Idee, sie war grundsätzlich gesehen nicht besonders wichtig. Dann tauchte völlig unerwartet dieses neue Molekül auf. Es sah in der Form aus wie ein Fußball. Wir haben fünf Jahre gebraucht, um unsere Entdeckung zu beweisen. Wir tauften es Buckminster Fulleren – kurz den Buckyball.

Redaktion: Dafür erhielten sie 1996 den Nobelpreis für Chemie. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Ich bin nicht Wissenschaftler geworden, um Preise zu gewinnen. Überhaupt dachte ich im Studium eigentlich nicht, dass ich jemals Chemiker werden würde. Das hat sich so ergeben. Nach meinem Bachelorabschluss wollte ich an der Uni bleiben. Ich hatte meine Frau dort kennengelernt, spielte im Tennis-Team der Uni und arbeitete als Redakteur bei einem Kunstmagazin – kurz gesagt, ich hatte Spaß. Deshalb machte ich einfach einen Doktor in Spektroskopie. Danach habe ich das Professorendasein ausprobiert. Ich dachte mir: Wenn es nicht klappt, könnte ich ja immer noch zur Abendschule gehen und den Beruf wechseln. Jetzt warte ich immer noch darauf, einen anständigen Job zu bekommen.

Redaktion: Hat der Nobelpreis auch Nachteile?

Auf jeden Fall. Die Leute denken, ich hätte etwas Nützliches zu sagen. Das ist eine große Verantwortung, die ich nicht unbedingt immer haben will. Am Ende freuen sich viele Zuschauer gar nicht über meine Aussagen.

Redaktion: Was genau haben Sie denn zu sagen?

Ich spreche den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion an. Religion kann zwar auf der persönlichen Ebene wichtig sein. Bei Bildung und Politik ziehe ich allerdings die Grenze. Da hat Religion nichts zu suchen. Wenn sie dort Einfluss nimmt, bringt das die Aufklärung in Gefahr – meiner Meinung nach ist sie das vielerorts schon. Selbstmordattentäter sind ein abschreckendes Beispiel dafür.

Witalij Winogradow: Können Wissenschaft und Religion also nicht

zusammen existieren?

Nein, ich denke nicht. Der Konflikt ist zu groß. Ich akzeptiere nur, was bewiesen ist. Religionen basieren nicht auf Beweisen oder logischem Denken. Von daher finde ich Religionen irrelevant. Da bin ich übrigens nicht allein. Fast alle renomimerten Wissenschaftler sind Atheisten. Wie gesagt, auf persönlicher Ebene kann Glauben ja durchaus wichtig sein.

Ein Mann aus meiner jetzigen Heimatstadt Tallahassee ist ein gutes Beispiel dafür. Er saß 24 Jahre lang unschuldig wegen Raub und Vergewaltigung im Gefängnis und war unschuldig. Dank DNA-Analysen ist er freigekommen. Als er rauskam, dankte er nicht Allen Jeffries – dem Forscher, der die DNA-Analyse von Fingerabdrücken erfunden hat, sondern Gott.

Ann-Kristin Zoike: Gibt es eine Lebensweisheit, die Sie jungen Menschen mitgeben?

(Lacht). Ja, dabei geht es darum, Naturwissenschaftsunterricht zu verbessern. Jetzt kommt’s: Wissen ist zwar keine Garantie für gute Entscheidungen. Der gesunde Menschenverstand sagt uns aber, dass Ignoranz selten zu Weisheit führt. Im Klartext heißt das: Schlaue Menschen machen auch manchmal Fehler, aber ungebildete Menschen machen noch mehr Fehler.

Redaktion: Wie schätzen Sie Naturwissenschaftsunterricht heute ein? Muss sich etwas verändern?

Ja, auf jeden Fall. Die Klassen sind zu groß. Lehrer können ihre Schüler nur schwer kontrollieren, besonders wenn sich nur 10 Prozent der Kinder für das Fach überhaupt interessieren. Ich möchte Lehrern helfen, ihren Unterricht zu gestalten. Dazu habe ich das „Geoset-Programm“ entwickelt.

Redaktion: Was ist das?

Geoset ist eine weltweite Bildungsinitiative für Wissenschaft und Ingenieurwesen. Diese kostenlose Internetdatenbank funktioniert so ähnlich wie Wikipedia. Lehrer und Professoren laden dort gute Unterrichtsideen hoch und teilen sie mit anderen. Da geht es nicht um ganze Unterrichtspläne, sondern um Ideen, die in der Praxis funktionieren.

Witalij Winogradow: Gibt es in Deutschland Kooperationspartner?

Nein, aber ich hoffe, dass das bald passiert. Die meisten Partner gewinnen wir durch meine persönlichen Kontakte. Für Geoset braucht es Leute, die enthusiastisch sind und an besseren Unterricht glauben. Bisher haben wir zum Beispiel Mitglieder aus Brasilien, Spanien, Japan und den USA.

Redaktion: Und Geoset ist die Lösung?

Ich habe keine ultimative Lösung, mit Geoset-Ideen könnte der Unterricht aber zumindest spannender für die Kinder werden. Die gilt es ja zu begeistern. Beim Lernen von Naturwissenschaften ist das gar nicht so einfach. Denn es gibt dabei ein grundsätzliches Problem. Wer Mathe nicht versteht, wird auch Naturwissenschaften nie richtig verstehen, besonders Physik. Leute lernen Fremdsprachen, um zu kommunizieren. Kinder können die Sprache erleben. Bei Mathe geht das nicht. Damit kann man nicht kommunizieren. Es gibt keinen natürlichen Weg, Mathe zu lernen.

Witalij Winogradow: Sie haben der Presse einmal gesagt, Sie glauben nicht, dass die Menschheit das 21.Jahrhundert überleben wird. Halten Sie an der Vorstellung fest?

Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe, das waren andere Wissenschaftler. Einer der größten Risikofaktoren sind Massenvernichtungswaffen. Derzeit scheuen sich die meisten Machthaber davor, sie wirklich zu benutzen. Diese Vorsicht wird wahrscheinlich nicht mehr lange anhalten, das macht mir große Angst. Der Mangel an Nahrung ist ein weiteres ungelöstes Problem. Ich glaube, dass die Gesellschaft dieses Versorgungsproblem erst angehen wird, wenn es eine große Katastrophe gibt.

Ralf Michaelis: Wie stehen Sie zu Deutschlands Ausstieg aus der Atomenergie? Kann man das Energieproblem ohne Kernkraftwerke lösen?

Nein. Auf mittlere Sicht scheint Kernenergie die einzige Technologie zu sein, die alle versorgen kann. Deutschland hat sich dagegen entschieden, das macht mir Sorgen.

Ich glaube, dass man durch die Spaltung von Wassermolekülen Energie gewinnen sollte. Pflanzen können das schon. Aber bei diesem Prozess spielen viele Faktoren eine Rolle, er ist sehr komplex.

Ralf Michaelis: Hat der Chemieunterricht Sie zum Studium in diesem Fach motiviert?

Da gab es verschiedene Faktoren. Mein Vater hatte eine Fabrik, in der Luftballons für Kinder hergestellt wurden. Ich habe in meinen Ferien immer dort gearbeitet, deshalb habe ich mit 15 Jahren auch die chemischen Verbindungen von Gummi verstanden. Ich habe auch gerne fotografiert.

Zum Entwickeln der Bilder musste ich Chemie ja auch ein wenig beherrschen. Außerdem war ich in den Fremdsprachen nicht besonders gut – da war ich wahrscheinlich wie viele Kinder in England damals. Mein Vater fand es wichtig, dass ich Naturwissenschaften gut beherrsche. Ich war ein braver Junge und habe seinen Rat befolgt.

Ann-Kristin Zoike: Würden Sie heute auch noch Chemie studieren?

Nein, ich hätte wahrscheinlich Grafik, Kunst oder vielleicht sogar Architektur studiert. Aber nach meinem Schulabschluss hatte ich keine Ahnung, dass man so etwas wie Architektur studieren konnte. Berufsberatung gab es bei uns nicht. Das habe ich erst an der Uni erfahren. Ich habe trotzdem versucht, mich künstlerisch zu betätigen. Das mache ich auch heute noch. Ich habe zum Beispiel ein japanisches Kinderbuch illustriert.