Braunschweig. Der Cartoonist Peter Gaymann im Gespräch über Hühner, Grußkarten, Gesellschaftskritik und die Zukunft der gezeichneten Bilder

Hans Zilch: Text oder Zeichnung, was ist zuerst da?

Oft ist es erst das Bild. Es ist die optische Idee, die eine Situation schafft, zu der ich mir dann Texte überlege. Ich skribbel einfach auf einem leeren Blatt Papier los, und entwickele dann Dialoge, die sich aus der Situation ergeben könnten. Ich frage mich etwa, was könnten die beiden Hühner sagen, wenn sie den Elefanten auf dem Baum sehen. Dabei entwerfe ich oft verschiedene Texte, teste sie auf Kopien, bis ich selber schmunzele.

Für die Zeitschrift „Brigitte“ habe ich aber auch schon umgekehrt gearbeitet. Dann entwerfe ich einen Kurzdialog wie ein Drehbuch und mache Figuren, die dazu passen. Nicht jeder Text kann von allen Menschen gesprochen werden, er charakterisiert Typen, und die zeichne ich dann.

Zilch: Manche Ihrer Szenen gehen rein physikalisch nicht, so der Elefant auf dem Baum oder die springenden Schnecken. Ist Ihre Botschaft da quasi therapeutisch: Man muss nur wollen?

Nein, das ist eher Zufall. Diese Zeichnungen sind ja allein dadurch komisch, dass sie eben in der Wirklichkeit nicht möglich sind. Richtig ist aber, dass meine Cartoons aus dem Leben kommen und sich deshalb auch viele Menschen darin widergespiegelt fühlen. Da Lachen gesund ist und meine Geschichten das oft auslösen, sind meine Karten aber tatsächlich auch als Krankenhausgrüße oder in Wartezimmern beliebt.

Hans-Peter Tunkel: Sie benutzen vielfach Hühner, um Ihre Kritik an menschlichen Verhaltensweisen zu platzieren. Das sind nicht gerade positiv belegte Tiere.

In meinen Freiburger Anfangsjahren habe ich viel über Schweine gezeichnet. Und dann in der Zeitung jede Woche irgendwelche anderen Tiere, ab und an mal eine Geschichte mit Huhn. Aber die ist dann bei den Lesern, aber auch bei anderen Zeitungen immer besonders gut angekommen, so hat sich das als Markenzeichen entwickelt. Als ob das Huhn in den Menschen etwas Besonderes auslöst. Es wissen auch ganz viele Menschen irgendwelche Hühnergeschichten zu erzählen. Als ich dachte, der Boom sei vorbei, kam durch mein Buch „Huhnstage“ noch mal so eine Sympathiewelle. Ich habe dann versucht, von der Hühnerschiene runterzukommen. Ich dachte mir natürlich auch, da musst du ja wieder bei Null anfangen. Ich muss die Geschichten ja auch verkaufen. Mit „Schöner essen“ und solchen Projekten habe ich dann ganz andere Themen angefangen – und bin auch nicht arbeitslos geworden.

Zilch: Vielleicht liegt es daran, dass sich Menschen in den Hühnergeschichten wiedererkennen, aber eben nicht identifizieren müssen mit den Tieren.

Und so sind diese Tier-Cartoons sogar noch wirkungsvoller. Bei Menschenbildern kann man die versteckte Kritik schnell von sich wegrücken, weil man ja so wie die gezeichneten Personen wirklich nicht aussieht. Bei den Tierbildern sagt jeder gleich, „das ist ja wie bei uns“, weil sich die Betrachter auf die Situation konzentrieren, aber logischerweise nicht in den Tieren personifiziert fühlen.

Frauke Keck-Pergner: Wie kamen Sie zur „Brigitte“, das ist ja eher eine Frauenzeitschrift.

Ich zeichnete an meinem ersten Nicht-Hühner-Buch „Schöner essen“, damals kam auch die Yuppie-Welle auf mit dem gehobenen Lebensstil. Da meinte mein Verleger, das würde doch gut zur „Brigitte“ passen, aber die hatten damals schon vier Cartoonisten im Boot. Trotzdem hat er ein paar Cartoons nach Hamburg in die Redaktion bringen lassen, und die kamen so gut an, dass ich seither in jedem Heft ein Stück drin habe. Das Thema ist hier besonders der Beziehungsalltag: die „Paar Probleme“.

Keck-Pergner: Werden auch mal Geschichten abgelehnt?

Das kommt vor. Ich hebe sie dann aber auf und verwende sie bei anderen Abnehmern oder für meine Bücher. Ich selbst bin ja überzeugt von dem Cartoon, den ich gemacht habe, aber über Komik kann man nicht streiten. Welcher Cartoon besser oder schlechter, poetischer oder härter ist, darüber gehen die Meinungen von Person zu Person auseinander. Eher religionskritische Cartoons gehen in der „Brigitte“ natürlich nicht, dafür in der „taz“. Manchmal bin ich aber auch überrascht, dass eine Geschichte, von der ich glaubte, die wird abgelehnt, problemlos durchgeht.

Tunker: Sind Sie zu Änderungen bereit?

Ich stehe zu meinen Arbeiten, aber ich nehme schon Rücksicht auf meine Kunden. Da hatte ich ein älteres Paar gezeichnet, das im Restaurant 30. Hochzeitstag feiert und vom Stehgeiger „eine geile Nummer“ verlangt. Der Redakteur wollte das Wort „geil“ nicht, da habe ich eben „toll“ geschrieben. Manchmal mache ich auch ganz neue Texte, manchmal geht es nicht, da fällt mir nichts anderes ein, dann ziehe ich zurück.

Zilch: Wie viel biografischen Anteil haben Ihre Geschichten?

Da ist natürlich ein hoher Anteil eigenes Leben drin. Aber wenn ich alles selbst erlebt hätte, wäre ich ja jetzt in der Klapsmühle. Manches haben auch Freunde erlebt und mir erzählt.

Zilch: Ihre Zeichnungen sprechen menschliche Schwächen mit einem Augenzwinkern an. Könnten Sie sich auch aggressivere Werke vorstellen?

Jeder hat so seine Handschrift und Art. Ich bin auch als Mensch nicht schnell aggressiv, schlichte lieber, bin eher nicht belehrend und auch sonst ein gemäßigter Typ. Das schlägt sich natürlich auch in meiner Kunst nieder. Tomi Ungerer, der mir zeichnerisch ein Vorbild war, ist sehr viel aggressiver und ja auch gern sexistisch. Ich habe das anfangs nachgeahmt und nun einen anderen Weg gefunden. Zu hart und heftig will ich’s gar nicht. Loriot hat mal gesagt: Bei aggressiven Cartoons macht der andere gleich dicht, schaltet auf Abwehr. Man bewirkt viel mehr auf die leichte Tour.

Manfred Deix lässt zu oft den Schwanz raus, das ist mir zu pubertär. Ich will lieber schöne Geschichten erzählen. Ein Cartoon ist für mich wie ein Filmausschnitt, zu dem man sich das Vorher und Nachher selbst vorstellen kann.

Keck-Pergner: Wie viel Anklang finden gezeichnete Cartoons in Zeiten des Internets?

In den 90ern hatte der Cartoon seine Hochzeit, jetzt sind es wieder mehr Fotos. Die Fernseh-Comics verändern natürlich den Humor und führen auch zu einer Überdosis, das macht es für unsere Bildcartoons natürlich schwerer. In meiner Bestzeit habe ich 2 Millionen Cartoonkarten verkauft, das waren einfach die kleinen kecken Mitteilungen für Freunde. Heute geht viel über SMS per Handy. Aber es gibt noch viele Liebhaber, die auch Cartoon-Bücher kaufen.

Aufträge gibt es noch genug. In meinem Beruf ist es ja so, dass immer mehr Aufträge einem gar nichts nützen, denn man muss ja alles selbst zeichnen. Ich zeichne immer noch Originalbilder, die dann allerdings digital verschickt werden. Jüngere Kollegen benutzen nur noch das IPad, die hätten für eine Ausstellung nur Ausdrucke zum Hinhängen. Aber das Zeichnen per Hand sorgt für eine individuellere Handschrift. Mir ist das wichtig.

Tunkel: Sie engagieren sich auch als Botschafter der Kinderhospiz-Stiftung. Das ist für einen humoristischen Zeichner ja ein schwieriges Thema.

Ich habe mich auch gefragt, ob ich für die Kinder was zeichnen kann. Ich war dann zu Besuch in einer Einrichtung und konnte sehen: Da wird viel weniger geheult als gelacht, denn gerade wenn das Leben endlich ist, will man es doch genießen. Über die Krankheit kann man sicher keine Witze machen, aber was zum Lachen tut den Kindern gut. Mein Vater starb im Hospiz, so habe ich den persönlichen Anstoß, diese wunderbaren Einrichtungen zu unterstützen. In Wolfsburg, als die Autostadt Pate der Kinderhospizstiftung war, habe ich einen Werbe-Bully bemalt, zeichne auch das Weihnachtsposter umsonst. Und wenn ich bei Auftritten eine Tafel vollzeichne und die hinterher versteigern lasse, wird das auch gespendet. Ich habe auch schon mal ein Bild gespendet, dafür kamen dann 17 000 Euro zusammen. So viel hätte ich an Geld vielleicht nicht selbst gespendet, durch das Bild konnte ich das aber erreichen. Das freut mich natürlich.