Braunschweig. Der Schauspieler Hanns Zischler erzählt, warum man sich nicht immer entspannen muss und Yoga nur ein Sport für ihn ist

Bernd Bachmaier: Sie haben gerade in Wolfsburg eine Lesung gehalten mit dem Titel „Die Stille bringt es an den Tag“, gemeinsam mit Ihrem Sohn Julian Middendorf, der dazu Meditations- und Yogaübungen vorgestellt hat...

Hanns Zischler: Ich will nur vorausschicken: Ich bin kein Yogafachmann...

Bachmaier: Praktizieren Sie es denn?

Zischler: Ich mache Yoga, ja, aber nur für mich. Oder mit meinem Sohn. Der hat ja zusammen mit seiner Frau Katharina die Schule Nivata gegründet, und von ihm habe ich Yoga gelernt. Ich bin da aber sozusagen nur passiver Nutznießer.

Yoga ist aber für mich eine sportive Sache, ich rezitiere keine Mantras. Mir ist klassische Musik oder eine bestimmte Art von neuer Musik näher. Das steht mir kulturell näher, ich bin damit groß geworden. Die Sachen, mit denen man groß wird, das sind ja die prägenden.

Bachmaier: Und setzen Sie Yoga in Ihrer Schauspielerei ein? Sie machen so einen ruhigen und gelassenen Eindruck auf mich.

Zischler: Yoga setze ich nicht ein, nein. Ach, gelassen war ich immer schon. Ich bin Franke, wissen Sie. Die Franken sind das einzige Volk der Welt, das die Völkerwanderung nicht mitgemacht hat. Ein alter Joke! Nein, das ist eine Temperamentsgeschichte, finde ich.

Über Yoga kann ich nur sagen, dass ich einen Vorfahren habe, der einer der bedeutendsten Sanskrit-Forscher war. F. Otto Schrader, der von 1905-25 in Indien gelebt hat. Seine Enkelin Rohtraud lebt in Braunschweig. Schrader war einer derjenigen, der in Madras die ganz wichtigen Schriften für die theosophische Bibliothek gesammelt hat. Indien kenne ich also nur über diesen Weg, und seine Tochter Lalita und seinen Schwiegersohn, den Zeichner und Indienreisenden Gerhard Gollwitzer, ich war selbst nie da.

Bachmaier: Schade, ich wollte eigentlich gern ein Mantra mit Ihnen rezitieren!

Zischler: Tut mir leid, das kann ich nicht. Ich kann mich auch mit ganz anderen Dingen als mit Yoga entspannen. Lesen ist fast schon eine Tiefenentspannung für mich. Schreiben gar nicht, das ist das Aufregendste, das es gibt.

Und ich singe jeden Tag. Meine Stimme wacht auf – meist lange, nachdem der Körper schon erwacht ist –, und wenn man dann für sich singt, vom Badewannenlied bis zum Mitsingen von Schumann-Liedern, dann belebt man sich selbst. Irgendwann entdecke ich, welche Möglichkeiten zur Entspannung ich für mich habe.

Kathrin Rieck: Also kann man sich auch selber aussuchen, womit man sich entspannt?

Zischler: Absolut! Ich würde nie jemandem vorschreiben, wie er sich zu entspannen hat, das finde ich das Allerschlimmste. Ich finde allerdings auch nicht, dass man immer entspannt sein muss. Man muss auch bestimmte Anspannungen aushalten. Es gibt dann nur einen Punkt, an dem man für sich selber spüren muss: Mache ich jetzt zu viel? Überbeanspruche ich mich? Dann wird’s gefährlich.

Rieck: Wichtig ist also, dass man seinen eigenen Körper spürt und für sich selbst merkt, wann man sich entspannen muss.

Zischler: Wenn man so viel Spürsinn hat, ja. Der ist nicht immer gegeben.

Rieck: Das ist auch gerade bei uns in der Kindertagesstätte so, da leiden die Kinder ja schon unter Stress, die haben sogar einen eigenen Terminkalender.

Zischler: Das geht ja gar nicht! Kommt das von den Eltern? Das muss man denen aber sagen.

Ronald Schober: Bei Drehs gibt es ja immer unheimlich lange Wartezeiten. Wie schaffen Sie es, einerseits zu entspannen, dann aber auch wieder auf den Punkt fit zu sein?

Zischler: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Gerade weil ich so viel Zeit habe zu lesen und mich vorzubereiten, kann ich dann wieder sehr gezielt geistesgegenwärtig sein.

Schober: Sie empfinden diese Warterei also nicht als nervig?

Zischler: Überhaupt nicht. Das ist der größte Luxus, dass man sehr viel Zeit hat. Wenn man dann spielen muss, ist das natürlich eine explosionsmäßige Steigerung der Anspannung, aber vorher habe ich ja Zeit. Und das ist ein ungeheurer Luxus, das ist kein tödliches Warten. Ich lese dann sehr viel, oder gehe spazieren an diesen fremdartigsten Orten, an die man sonst nie kommen würde.

Die Herausforderung ist natürlich, nicht abzugleiten in diese Entspannung, dann wird man zum Schlaffi und muss dann irgendwann zum Regisseur sagen: Du, ich bring’s gerade nicht. Das geht beim Film überhaupt nicht, beim Theater eigentlich auch nicht, aber da gibt es eine andere Art des Probens.

Ronald Schober: Sie haben ja nicht gerade einen ruhigen Beruf. Hat beim Film die Hektik zugenommen?

Zischler: Die Profitkalkulation der Produzenten ist natürlich immer härter geworden. Mit einem bestimmten Qualitätsverzicht ist die Produktion schneller geworden. Früher waren zwei bis zweieinhalb Minuten pro Tag üblich, jetzt sind es manchmal sechs bis sieben.

Und das geht nicht gut! Aber es wird akzeptiert und durchgewunken. Das gilt jetzt fürs Fernsehen, nicht oder nicht immer für den Film. Bei einem gut entwickelten Film geht es nicht allein um Geld, sondern auch darum, dass dort alles mit noch mehr Sorgfalt gemacht wird.

Beim Fernsehen wird’s auch nur einmal gesendet, nach Jahren gibt’s dann eine Wiederholung. Bei Filmen kauft man sich schon mal eine DVD und schaut ihn sich zu Hause noch mal an: Das hängt auch mit der Sorgfalt zusammen, mit der ein Film gemacht wird.

Schober: Sie spielen kein Theater. Ich habe mal gelesen, dass Sie es für unzumutbar halten, tagelang in fensterlosen Räumen zu arbeiten.

Zischler: Ja, das habe ich mal in einem Interview gesagt. Für viele ist das egal, für mich nicht. Ich kann das einfach nicht. Klar, in Filmen spielt man natürlich auch oft in Kulissen, aber ich gehe dann auch oft raus.

Rieck: Brauchen Sie jeden Tag Entspannung und Stille?

Ich weiß nicht, ob man sie jeden Tag braucht. Aber man sollte aufmerksam dafür sein, wenn man sie vermisst. Das finde ich noch wichtiger. Man sollte sich dafür ein Gespür bewahren. Stille kann fehlen.