Braunschweig. Polizeihauptkommissar Rainer Richard über soziale Netzwerke, Suchmaschinen und den häufig unvorsichtigen Umgang mit Daten im Netz

Philip Heinrich: Sie sagen, dass Facebook fragwürdig ist, weil das Unternehmen zu viele Daten der Benutzer speichert. Glauben Sie, dass Facebook genauso praktisch wäre, wenn es diese Funktionen, die die Daten speichern, nicht gäbe?

Was nützlich ist, entscheidet der Nutzer subjektiv. Das gilt generell: Wenn ich im Bus sitze, sehe ich Jugendliche, die im Minutenrhythmus ihre Nachrichten nachschauen. Ich frage mich, wie die ihr Leben bewältigen. Ich finde das eher kontraproduktiv, diese ständige Erreichbarkeit macht abhängig. Aber auch das liegt an der Betrachtungsweise.

Claudio Fernandez: Sie warnen vor Facebook und Google. Nutzen Sie die Dienste selbst privat?

Facebook nutze ich privat nicht. Dienstlich muss ich es nutzen, dann allerdings unter einer Legende. Mit Google suche ich schon seit Jahren nicht mehr, da bin ich auf Dienste umgestiegen, die die Daten der Nutzer nicht speichern. Das sind zum Beispiel https://ixquick.de oder http://duckduckgo.com. Was ich den Menschen rate, muss ich selber schließlich auch tun.

Philip Heinrich: Was raten Sie Jugendlichen, die schon viele Daten bei Facebook preisgegeben haben?

Genau das ist das Problem. Was einmal im Netz ist, bleibt im Netz. Selbst wenn jemand sein Profil bei Facebook löscht, bleiben die Daten dort. Sie werden bloß inaktiviert. Das merkt man zu Beispiel daran, dass man sich auch Jahre später wieder mit dem gleichen Namen und Passwort bei Facebook anmelden könnte und die Informationen wären noch vorhanden. Gefährlich ist auch, Bilder bei Facebook hochzuladen. Jeder, der ein Foto oder ein Video einstellt, tritt automatisch die Rechte an Facebook ab. Das gilt auch für Bilder, die man dort mit seinen Freunden teilt. Selbst, wenn der Nutzer sein eigenes Profil löscht, behält Facebook die Rechte an den Bildern, die auf der Pinnwand bei Freunden sind. Ich kann es eigentlich nicht häufig genug wiederholen: Seid vorsichtig mit Euren Daten.

Reinhard Rodemann: Eltern, die technisch nicht so bewandert sind, müssten wahrscheinlich besser aufgeklärt werden. Finden Sie, dass es mehr Informationsveranstaltungen an Schulen geben sollte?

Ja, auf jeden Fall. Die meisten Eltern werden bisher gar nicht unterstützt. Kinder gehen an die ganze Sache spielerischer heran und entdecken das Internet für sich. In meinen Vorträgen will ich die Eltern nicht erschrecken, sondern sensibilisieren. Ich habe etwa 50 Vorträge gehalten, 45 davon an Schulen. Da geht es nicht nur um Datenschutz, sondern auch um viel drastischere Dinge. Wenn die Eltern dort sehen, welche Arten von Dateien Jugendliche auf ihren Rechnern haben, sind sie häufig entsetzt und sagen hinterher, dass sie sich das nie hätten vorstellen können. Es geht mir nicht darum, dass die Eltern ihre Kinder kontrollieren, aber sie sollten ein gesundes Augenmaß walten lassen. Es geht ja nicht nur darum, Kinder davor zu schützen, Opfer zu werden, sondern auch darum, aufzupassen, dass sie nicht zum Täter werden. Im Netz wird viel gemobbt.

Dass Eltern aufpassen, ist besonders wichtig, weil Kinder zwar häufig geschult sind, sich aber nicht an das halten, was sie gelernt haben. Bei Versuchen in München hatten Kinder erst Unterricht zu den Gefahren im Netz. Beim Praxistest am Rechner wurden sie dann in fingierten Chat-Programmen von Lockvögeln angesprochen. Diese versprachen ihnen zum Beispiel eine Fotostrecke in der Bravo. Die Kinder wurden aufgefordert, ihre Daten und die ihrer Eltern anzugeben – angeblich, damit die Bravo bei den Erziehungsberechtigten eine Einverständniserklärung einholen können. Acht von zehn Kindern gaben die Daten heraus.

Philip Heinrich: Finden Sie, dass es eine Art Facebook-Führerschein geben sollte, ohne den Jugendliche den Dienst nicht nutzen dürfen?

Das ist eine schwierige Frage. In Deutschland gilt eigentlich ein Mindestalter von 14 Jahren, um sich bei sozialen Netzwerken anzumelden. In den USA liegt diese Grenze bei 13 Jahren. Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass auch schon ein relativ hoher Prozentsatz der Sechs- und Siebenjährigen ein Facebook-Konto haben. Das muss man sich mal vorstellen, die können nicht mal richtig lesen und schreiben. Ich denke, dass diese Altersbegrenzung aber sehr wichtig ist. Die allgemeine Lebenserfahrung rüstet alle Nutzer besser für die Risiken, die im Netz lauern können.

Gudrun Bäßler: Warum ist die Hemmschwelle, zu mobben oder vielleicht sogar Straftaten zu begehen, im Netz so niedrig?

Auch das ist eine Frage der Lebenserfahrung. Ich biete Listen an mit verschiedenen Dingen, mit denen Kinder und Jugendliche sich im Internet tatsächlich schnell strafbar machen. Manchmal auch, ohne es zu wissen. Dazu gehören zum Beispiel Beleidigung oder auch die Androhung eines Amoklaufs an der Schule. Auch wenn der in Wirklichkeit nie geplant war. Ich finde, dass Eltern sich so eine Liste als Pflichtlektüre ausdrucken und an den Rechner hängen sollten. So weiß dann jedes Kind ab 12 Jahren, womit es sich im Internet strafbar macht. Das geht schnell, die Struktur des Internets unterstützt das.

Gudrun Bäßler: Sie hatten das Problem des Cyber-Bullyings, also des Mobbens im Netz, schon angesprochen. Was kann ich als Mutter tun, wenn ich das Gefühl habe, mein Kind wird fertiggemacht?

Wir sind manchmal sehr erschrocken, wenn wir sehen, was online da so abläuft. Es ist schockierend, wie brutal Kinder mit Worten umgehen können. Für kindliche Opfer bricht da manchmal eine Welt zusammen, die seelischen Schäden sind extrem. Ganz schrecklich ist zum Beispiel der Fall des 13-jährigen Joël aus Österreich. Ein vermeintlicher Freund schickte dem Jungen auf Facebook eine Nachricht, in dem er ihn als schwul bezeichnete, dazu hängte er ein pornografisches Bild an. Joël war so schockiert und mit der Situation überfordert, dass er sich vor einen Zug legte und sich das Leben nahm. Das ist natürlich ein Extrembeispiel, aber Eltern müssen sehr sensibel reagieren. Im Zweifel sollten sie auch den Gang zur Polizei nicht scheuen.

Reinhard Rodemann: Man hört immer mal von Fällen, bei denen die Internetrechnung plötzlich sehr hoch ist. Wie kann man verhindern, dass Kinder auf bezahlpflichtigen Seiten landen?

Da muss man vor allem schauen, was die Kinder genau getan haben. Insgesamt ist es aber sehr schwierig, die Übersicht zu behalten. Viele Kinder haben heute auch ein Smartphone mit Internetzugang. Ich finde es sehr wichtig, dass Kinder ein eigenes Handy haben. Schon alleine dafür, um im Notfall jemanden anrufen zu können. Es hilft nur überhaupt nicht, zu Hause den Computer zu kontrollieren und vielleicht sogar mit einem Filter zu schützen, wenn das Kind mit seinem Smartphone draußen völlig unkontrolliert im Internet surfen kann.

Ich weiß aber, dass das nicht ganz einfach ist. So ein Smartphone ist mitunter ja auch ein Statussymbol. Wenn es zu Weihnachten auf dem Wunschzettel steht, ist es natürlich schwierig, dem Kind dann ein Seniorenhandy zu schenken, mit dem es nur telefonieren kann.

Gudrun Bäßler: Ich denke, dass es vor allem wichtig ist, Zeit mit den Kindern zu verbringen und mit ihnen zu sprechen.

Auf jeden Fall. Wenn man fürchtet, dass die Kinder sich bei Facebook unvorsichtig verhalten, bietet es sich außerdem an, sich mit dem Nachwuchs bei Facebook zu befreunden. Dann kann man sehen, was zum Beispiel auf der Pinnwand geschrieben wird. Einigen Kindern ist es peinlich, in dem Netzwerk mit den Eltern befreundet zu sein. Dann kann man sich zum Beispiel unter falschem Namen anmelden.

Philip Heinrich: Glauben Sie, dass wir heute noch ohne Facebook leben könnten?

Davon bin ich überzeugt. Daten, die dort ausgetauscht werden, könnten zum Beispiel auch einfach in die Cloud hochgeladen werden. Allerdings denken viele Eltern heute, dass ihr Kind in der Gesellschaft gar keine Chance hat, wenn es sich bei Facebook nicht zurecht findet. Facebook wird sich aber auf keinen Fall ewig halten, das wird es vielleicht in 20 Jahren nicht mehr geben. Es werden aber neue Netzwerke nachkommen. Darum bleibt die Kompetenz, mit ihnen richtig umzugehen, auf jeden Fall sehr wichtig.