Braunschweig. Die vier Jury-Mitglieder erklären, wie ihre Entscheidungen zustande kommen und welche Bedeutung der Gemeinsam-Preis hat

Anja Schrader-Lippelt: Sie verleihen den Gemeinsam-Preis seit neun Jahren. Bekommen Sie denn noch genügend Kandidatenvorschläge?

Armin Maus: Es gibt ein hohes Maß an Engagement in dieser Region, und es fällt uns nicht schwer, preiswürdige Kandidaten zu finden. Die Vorschläge kommen zum einen von unseren Lesern, zum anderen aus unseren Lokalredaktionen. Auf der langen Liste stehen immer mehr Vorschläge, als wir letztlich zur Wahl stellen können – in diesem Jahr waren es etwa dreimal so viele.

Besnik Salihi: Nach welchen Kriterien bestimmen Sie, wer Kandidat wird und letztlich den Preis bekommt?

Armin Maus: Wir sind die Vertreter der Leser. In der Jury treffen wir nur eine Vorauswahl. Die Entscheidung über die Preisträger treffen die Leser, die sich an der Abstimmung per Telefon oder im Internet beteiligen.

Henning Noske: Die Jury achtet darauf, dass möglichst alle Regionen unseres Verbreitungsgebietes vertreten sind, dass Jung und Alt ausgewogen berücksichtigt werden, und dass es sich um Ideen handelt, die man nachmachen kann.

Besnik Salihi: Sind die Kandidaten, die durchfallen, schlechter als andere? Wonach beurteilen Sie das?

Henning Noske: Beim Gemeinsam-Preis ist keiner schlechter als ein anderer. Es gibt keine Verlierer, sondern alle sind Sieger – das ist das ganze Geheimnis. Wir schätzen jedes Engagement. Aber es gibt eben eine persönliche Entscheidung der Jury, bestimmte Menschen und Projekte auszuzeichnen – es könnten auch jedes Mal ganz andere sein.

Astrid Hunke-Eggeling: Betrachten Sie sich als Motor für Ehrenamt?

Henning Eschemann: Uns geht es um zwei Dinge: Erstens um das Herausstellen von Beispielen, zweitens um Würdigung. Aus meinen beruflichen Kontakten zu Ehrenamtlichen weiß ich, dass sie oft nicht in die Öffentlichkeit gerückt werden wollen. Ich erlebe aber immer wieder, dass Ehrenamtliche nach dem Festakt im Dom glücklich sind und sagen: „Das war wie ein warmer Regen.“

Armin Maus: Der Dom bringt den Gemeinsam-Gedanken wunderbar zur Wirkung.

Joachim Hempel: Für uns als Kirche ist Ehrenamt eine existenzielle Frage. Deswegen öffnen wir den Dom für diese Veranstaltung, und deswegen beteiligt sich der Dom auch mit einem eigenen Sonderpreis für Kinder und Jugendliche.

Besnik Salihi: Es gibt ja viele Jugendliche, die sich engagieren. Aber etliche befürchten, dass sie sich blamieren, wenn sie in die Öffentlichkeit gehen. Wie sehen Sie das?

Henning Eschemann: Der Gemeinsam-Preis ist keine Casting-Show! Es geht nicht um ein Gegeneinander. Kinder und Jugendliche sollen einfach zeigen, was sie können. Dafür verdienen sie öffentlich Lob und Wertschätzung.

Henning Noske: Wir nehmen junge Leute aber in die Pflicht – sie wachsen mit der Sache. Zum Gemeinsam-Preis gehört ja auch, dass die Vorjahres-Gewinner des Dompreises für Jugendprojekte immer die Laudatio für den Nachfolger halten.

Joachim Hempel: Und das machen die Jugendlichen wirklich unglaublich gut. Es geht! Man muss ihnen nur sagen: Macht das mal.

Besnik Salihi: Jugendliche können ein Projekt aber oft nicht langfristig unterstützen, weil sie wegen Schule und Lehre zu wenig Zeit haben.

Henning Eschemann: Das macht doch nichts! Wichtig ist, dass sie sich überhaupt freiwillig engagieren. Niemand wird gezwungen, ein Ehrenamt dauerhaft zu übernehmen.

Günther Hinterberg: Was kann die Jury tun, um die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens zu stärken?

Joachim Hempel: Wir müssen weiterhin darauf achten, dass uns das Engagement von Jugendlichen genauso wichtig ist wie das von Älteren. Wir zeichnen keine Lebensleistungen aus, sondern wir kümmern uns um Initiativen. Wir würdigen es, dass Leute nicht sagen, man müsste, könnte, sollte mal, sondern dass sie eine Sache anpacken. Und das macht ihnen dann auch noch Spaß.

Astrid Hunke-Eggeling: Werden die Entscheidungen der Jury durch politische Entwicklungen beeinflusst?

Armin Maus: Mir fällt hierzu die Asse-Initiative „Aufpassen“ ein, die im vergangenen Jahr ausgezeichnet wurde. Deren Einsatz hat uns nicht in erster Linie deshalb beeindruckt, weil er eine politische Dimension hat, sondern weil es sich um bürgerschaftliches Engagement handelt. Dort haben sich Menschen zusammengefunden, die unangenehme Fragen stellen und etwas bewegen.

Joachim Hempel: Die Jury steht nie unter Druck, weil sie die Freiheit hat, den Blick auf Dinge zu richten, die noch nie im Rampenlicht standen.

Günther Hinterberg: Der Gemeinsam-Preis ist eine unglaublich gute Idee. Aber alles hat ja seine Zeit. Ich frage jetzt mal etwas provokativ: Ist vielleicht nach zehn Jahren einer solchen Aktion, also im kommenden Jahr, der Moment gekommen, einen guten Schlussstrich zu ziehen, um dann neue Schwerpunkte zu setzen?

Armin Maus: Diese Frage beschäftigt uns auch. Wie kann sich dieser Preis entwickeln? Wie kann er seine impulsgebende Wirkung behalten? Aber gestatten Sie mir eine Gegenfrage: Wird ehrenamtliches Engagement denn schon genügend gewürdigt? Wir leben doch in einer Gesellschaft, die stark an materieller Honorierung orientiert ist. Das Würdigen bescheidener Menschen erscheint mir heute genauso notwendig zu sein wie vor neun Jahren.

Günther Hinterberg: Würdigung ist das Eine, aber es doch geht auch um Förderung. Ehrenamtliche Arbeit braucht professionelle Unterstützung. Sie als Zeitung sollten entsprechende Anlaufstellen aufzeigen: Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Kommunen, soziale Einrichtungen.

Armin Maus: Da haben Sie Recht. Wir sollten noch intensiver erklären, welche Unterstützung man auf dem Weg zum Ehrenamt bekommt, und was man alles machen kann – auch mit begrenztem Zeitbudget und begrenzter Leistungsfähigkeit.

Joachim Hempel: Wir müssen uns in der Tat mit der Frage befassen, wie man den Wert der Hauptamtlichen stärker anerkennen kann. Entscheidend ist, wie sich der Gemeinsam-Preis insgesamt weiterentwickelt. Es gibt Felder, die wir noch gar nicht im Blick hatten: Der Musikbereich zum Beispiel hat bisher nur punktuell eine Rolle gespielt. Auf jeden Fall sollte der Preis sein Alleinstellungsmerkmal bewahren – keine andere Redaktion in Deutschland hat sich bisher an so eine Aufgabe gewagt.

Astrid Hunke-Eggeling: Könnten Sie sich denn vorstellen, auch einen Jugendlichen in die Jury aufzunehmen, um den Bereich des Kinder- und Jugendengagements abzudecken?

Henning Noske: Das ist eine sinnvolle, mögliche Veränderung.

Anja Schrader-Lippelt: Dann würde ich auch empfehlen, noch einen Außenstehenden hinzuzunehmen, der selbst ehrenamtlich tätig ist und eigene Erfahrungen einbringen kann.

Joachim Hempel: Man muss dabei aber eines bedenken: Wenn man die Lobbyvertreter eines bestimmten Bereiches holt, besteht die Gefahr, dass die Jurymitglieder sich und ihre Arbeitsfelder promoten.

Astrid Hunke-Eggeling: Wie schützen Sie sich selbst gegen diesen Vorwurf?

Joachim Hempel: Ich habe in den neun Jahren in der Jury für kein einziges Dom-Projekt geworben.

Henning Eschemann: Wir hinterfragen uns schon: Ist es gut, dass gerade wir hier sitzen? Wie treffen wir unsere Entscheidungen? Wir bemühen uns, das objektiv zu machen.

Anja Schrader-Lippelt: Haben Sie schon mal überlegt, die einzelnen Initiativen länger zu begleiten, damit man sieht, was aus ihnen wird?

Henning Noske: Wir berichten regelmäßig über die Vorjahres-Preisträger. Redaktionen arbeiten ja normalerweise tagesaktuell und kurzatmig, aber in diesem Falle bewusst nicht. Wir wollen im nächsten Jahr zudem eine große Bilanz ziehen nach zehn Jahren Gemeinsam-Preis und schauen, was aus den Projekten geworden ist.

Anja Schrader-Lippelt: Wie ist denn mittlerweile die Resonanz der Leser auf den Gemeinsam-Preis?

Henning Noske: Dieses Mal haben wir fast 2000 Stimmabgaben per Telefon und Internet – das ist für dieses Thema eine sehr gute Resonanz. Wir reden hier ja nicht von Bayern München gegen FC Chelsea. Wir reden von einem Thema, das einen Impuls nötig hat. Bürgerengagement ist kein Reizthema – und trotzdem erachten wir es für wichtig.