Braunschweig. VW-Financial-Services-Chef Frank Witter über Fehler, die zufrieden machen, die eigene Fußball-Karriere und separate Fahrstühle für Vorstände

Timo Brathaerig: Herr Witter, wussten Sie schon von Anfang an, dass Sie Karriere machen werden? Ich habe gehört, Sie waren auch mal ganz gut im Fußball.

Ja, am Anfang hätte ich mir das sicherlich vorstellen können, aber meine fußballerischen Fähigleiten reichten für die zweite Liga, aber nicht, um wirklich nachhaltig davon zu leben. Also habe ich die Prioritäten woanders gesetzt. Die zweite Liga war ja damals so etwas wie die Edelamateure, da konnte man nebenbei ganz gut studieren. Das ist nicht wie heute, wo es selbst in der dritten Liga ein Fulltime-Job ist.

Brathaerig: Und dann haben Sie bei der Sparkasse angefangen, wie ist es dann später in Richtung Bank und in Richtung Volkswagen gegangen ?

Ich war ein mittelguter Schüler und war der erste in der Familie mit Abitur. Dann habe ich eine Sparkassenlehre gemacht, um Orientierung zu kriegen. Ich habe es nicht bereut, weil ich wusste, dass mir das Bankgeschäft Spaß machen kann. Ich habe nach der Lehre aber auch gewusst, dass ich noch Hunger habe, den akademischen Weg weiterzugehen. Dann habe ich studiert und bin in die Industrie, wobei ich eigentlich eher in den Vertrieb wollte. Meine Eltern waren selbständig, Obst und Gemüse zu verkaufen habe ich von der Pike auf gelernt. Von daher habe ich eine gewisse Affinität für Vertrieb. Schließlich habe ich mich für die BASF in Ludwigshafen entschieden. Es war also nie ganz klar von vornherein. Aber wenn man eine Entscheidung trifft, sollte man dazu stehen. Was nicht heißt, dass man sich im Laufe seines Lebens nicht verändern kann.

Mario Di Guida: Welche berufliche Station hat Sie am meisten geprägt? Welche Entscheidung war sehr gut, welche haben Sie bereut?

BASF war ein tolles Unternehmen, ich hatte ein tolles Team, mit dem heutigen Vorstandsvorsitzenden Kurt Bock saß ich in einem Büro. Dann kam die Gelegenheit bei VW. Das war ein Karriereschritt. Aber auch die Nähe zu einem Produkt, mit dem ich etwas anfangen kann, hat mich gereizt. Ein Auto ist etwas, wozu Sie eine Beziehung haben können, auch eine emotionale, Sie können es fahren, erleben. Das war aber schon eine Abwägung. Wolfsburg war damals ehemaliges Zonenrandgebiet, und VW hatte ein anderes Image als heute. Das war ein verschlafener Riese, ziemlich langweilig eigentlich. Insofern war das kein Selbstläufer. Ich habe den Schritt aber nie bereut. Dann kam die Gelegenheit, für VW nach Amerika zu gehen. Die nächste Firma, zu der ich gegangen bin, gibt es nicht mehr. Schon nach drei Monaten ist sie Konkurs gegangen.

Und da fragt man sich auch: Was hast du denn jetzt da angerichtet? Dann kamen aber zum Glück ein paar Angebote, und VW hat auch gefragt: Willst du nicht wiederkommen? Der vermeintliche Fehler, den ich aber so nie als Fehler gesehen habe, hat mir Möglichkeiten eröffnet, die mich die nächsten Jahre positiv begleitet haben.

Di Guida: Haben Sie sich auf die Schritte immer gut vorbereitet gefühlt, oder gab es auch mal den Sprung ins kalte Wasser?

Es ist immer schön, einen Bereich zu haben, in dem man Erfahrung hat. Aber es ist auch reizvoll, dazu etwas Neues zu machen. Als Finanzmann kann man zwar die Industrie wechseln wie vom Autobauer zu einer Airline, aber eine Bilanz bleibt eine Bilanz. Neue Projekte können ein Sprung ins kalte Wasser sein, aber wenn man sich im Laufe der Zeit eine gewisse Erfahrung und ein Selbstvertrauen erarbeitet hat, geht man damit ganz gut um. Und: Dass man nicht alles hinkriegt, gehört auch zum Leben. Damit muss man umgehen können. Fehler sind Teil des Lebens.

Brathaerig: Haben sie etwas vom „American Way of life“ mit nach Deutschland genommen?

Ich bin ja immer oft in Deutschland gewesen. Diese Zeit habe ich sehr genossen, weil ich das Beste aus zwei Welten hatte. Von außen betrachtet kann ich sagen, dass man in Deutschland sehr gut leben kann. Die Deutschen sind gelegentlich etwas zu kritisch. Die Amerikaner sind optimistischer, stehen nach Niederlagen schneller wieder auf. Es geht alles ein bisschen schneller, ist aber auch oberflächlicher.

Was ich auch mitgebracht habe, ist der Wert Begeisterung, die ja auch einer unserer Unternehmensgrundsätze ist.

Brathaerig: Sie sind im September 2008 zurückgekommen, da war ja gerade Finanzkrise.

Das war am 15. September 2008, an dem Tag war die Lehman-Pleite. Das war mein erster Arbeitstag.

Brathaerig: Da kann man sich sicher einen einfacheren Start vorstellen.

Ja, das ist schon besonders, daran werde ich mich immer erinnern. Aber wir haben die Krise gut gemeistert. Man wünscht sich eigentlich eine ruhige Einarbeitung, stattdessen saßen wir jeden Abend zusammen und haben geguckt, woher wir liquide Mittel bekommen, also Geld.

Manuel Marrone: Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag? Ich kann mir vorstellen, dass man bei einer so hohen Position an nichts anderes denkt als an die Arbeit.

Diesen Selbstschutz muss man entwickeln. Das ist bei mir auch nicht so schwer, ich habe kleine Kinder und so genug Potenzial, um ganz schnell auf andere Gedanken zu kommen. Aber ich kann auch schnell abschalten. Der Weg nach Hause dauert 15 Minuten, und da kann ich abschalten. Die Arbeitszeit variiert, mal 9, mal 15 Stunden ... Wichtig ist ein Ausgleich. Das kann Sport sein, das kann Familie sein, das können Hobbys sein.

Marrone: Welche Hobbys haben Sie?

Fußball nicht, zu hohe Verletzungsgefahr. Ich gehe zweimal die Woche ins Sportstudio, ich habe eine Harley-Davidson, mit der ich ab und zu mal fahre. Ansonsten die Kinder natürlich.

Lukas Exner: Was nimmt man da mit, wenn man so viel herumkommt wie Sie?

Freundschaften, Eindrücke, aber auch ein alter Traum wie die Harley. Ansonsten Erfahrungen, der eigene Horizont erweitert sich. Man sieht, wie andere Kulturen eine Sache anders machen als man selbst. Die Amerikaner können zum Beispiel sehr gut kommunizieren, da kann man sich was abgucken.

Marrone: Was halten Sie von Studiengebühren? Und was halten Sie von Förderung für diejenigen, die noch studieren wollen?

Man sollte abwägen. Es gibt auch interessante Berufe ohne akademische Ausbildung. Eine Lehre ist eine gute Vorbereitung. Da bekommt man einen Einblick in reale Leben, den man bis zum Abitur nur begrenzt mitkriegt.

Beim Studium bin ich der Meinung, dass es in einer Gesellschaft Chancengleichheit geben muss. Es darf nicht eine Frage des Geldes der Eltern sein, ob jemand studiert. Insofern finde ich Bafög richtig, aber man kann auch noch einen eigenen Beitrag leisten und nebenbei arbeiten.

Brathaerig: Wie schafft man es als Vorstandsvorsitzender, alle Bälle gleichzeitig hochzuhalten, also alles im Blick zu behalten?

Ich halte ja glücklicherweise nicht alle Bälle selber hoch, das ist ein Management-Team. Wir arbeiten gut und kollegial zusammen, das ist die Grundlage für Erfolg, die Basis dafür, dass auch die Mitarbeiter gut arbeiten. Dafür ist unsere Strategie wichtig, jeder Mitarbeiter kann so verstehen: was mache ich hier, was ist mein Beitrag, wo finde ich mich wieder, für wen ist das relevant, was kann ich bewirken? Wenn das jeder Mitarbeiter versteht, dann ist das eine unglaubliche Kraft. Diese Kraft zu kanalisieren, das ist eine der Aufgaben des Managements.

Brathaerig: Wie werden Sie im Unternehmen wahrgenommen? Werden Sie in der Kantine von jedem gegrüßt?

Klar, ich war heute auch in der Kantine. Da gibt es eigentlich keine Distanz. Als ich gelernt habe, da gab es noch einen separaten Aufzug für den Vorstand. Aber das war eine andere Generation.