Braunschweig. Markus Löning betont, dass zur Menschenrechtsarbeit der Einsatz für erträgliche Arbeitsbedingungen und die Waffenzerstörung gehören.

Magdalene Lichte-Dierks: Kümmern Sie sich auch um eine menschenwürdige Gestaltung von Arbeitsplätzen?

Es geht in meiner Arbeit ganz viel um Meinungsfreiheit, das öffentliche Interesse ist da groß. Aber ich versuche tatsächlich – zum Beispiel mit Blick auf China – den Fokus stärker auf die Arbeitnehmerrechte zu schieben. Es gibt dort viele Menschen, die sich abseits der staatlichen Gewerkschaft, die nicht wirklich etwas bewegt, für bessere Bedingungen engagieren. Es gibt Berichte über Streiks bei den Honda-Zulieferern, und die chinesische Regierung gibt durchaus auch nach. Die Löhne werden hochgesetzt. Im Fall des Zulieferers für Apple und Dell, bei dem sich Menschen vom Fabrikdach gestürzt hatten, haben sich die Löhne in den letzten Monaten verdoppelt – von etwa 100 auf gut 200 Dollar im Monat.

Magdalene Lichte-Dierks: Sehen Sie hier auch die Verbraucher in der Pflicht?

Genau das ist der Punkt: Es ist sehr wichtig, dass wir uns auch auf die Rechte von Arbeitnehmern konzentrieren, weil wir auf diesem Feld tatsächlich etwas erreichen können. Die Verbraucher können etwas tun. Nehmen wir das Beispiel der besonders widerlichen Form von Kinderarbeit in Usbekistan: Meist müssen die Kinder mitarbeiten, weil die Eltern arm sind und Hilfe brauchen. In Usbekistan ist die Kinderarbeit aber staatlich organisiert. Der Staat kontrolliert den Baumwollhandel und zahlt so geringe Preise für jedes geerntete Kilo Baumwolle, dass kein Erwachsener davon leben kann. Die Erwachsenen gehen dann weg, der Staat schickt Schulklassen auf die Felder. Da hat C&A entschieden, dass es keine Produkte mit Baumwolle aus Usbekistan mehr vertreibt.

Helmut Käss: Wie halten Sie es mit dem Recht auf Leben? Es verhungern ja sehr viele Menschen in der Welt, und zwar völlig unnötig, denn allein mit den Rüstungsausgaben könnte man sie alle ernähren.

Das Recht auf Leben ist ein Thema, wenn ich zum Beispiel das Recht auf sauberes Trinkwasser einfordere. Auf diesem Feld ist die Bundesregierung international sehr aktiv. Auch für Sanitärversorgung machen wir uns stark, zunächst in Form von Resolutionen. Nun könnten Sie sagen, Resolutionen bewirken nicht viel. Aber so egal, wie es einem in Deutschland erscheinen mag, so bedeutend ist es für die Betroffenen. Aktivisten können eine Resolution ihrer Regierung vorhalten und sagen: Ihr habt der doch zugestimmt! Nun gebt uns auch sauberes Wasser!

Helmut Käss: Gibt es auf diesem Feld denn überhaupt Fortschritte?

An dieser Stelle müssen wir auch mal vor China den Hut ziehen: Die haben über 400 Millionen Menschen aus der Armut herausgeholt in den letzten 30 Jahren. Sie haben das Recht auf Wasser, das Recht auf Nahrung und das Recht auf Wohnen für hunderte Millionen Leute realisiert. Es gibt immer noch Arme in China. Aber es zeigt sich: Mit Anstrengungen und den richtigen politischen Weichenstellungen kann man viel erreichen.

In der Öffentlichkeit herrscht der Eindruck vor, dass die Leute immer ärmer werden. Aber wenn wir uns anschauen, dass inzwischen 7 Milliarden Menschen auf der Erde leben und die Zahl der Hungernden eher geringer geworden ist, dann ist das ein Erfolg der Weltgemeinschaft, auch ein Erfolg der Entwicklungspolitik des Westens.

Udo Stolte: Ein Menschenrecht, das in Deutschland nur eine geringe Bedeutung hat, das uns aber in Pakistan und Afghanistan sehr beschäftigt, ist die Religionsfreiheit. Weltweit werden die Christen mit Abstand am meisten verfolgt. In Afghanistan kam es vor zwei Jahren zur Verhaftung von Christen aus Glaubensgründen, sie wurden öffentlich vorgeführt. Setzen Sie sich für verfolgte Christen ein?

Ich gehe solchen Fällen nach. Solche Verhaftungen, die es auch im Iran gibt, sind auch nach den jeweiligen Landesgesetzen illegal. Ich halte den Einsatz für Religionsfreiheit für sehr wichtig, aber wir müssen diesen mit Augenmaß betreiben – damit nicht der Eindruck entsteht, dass sich der Westen nur für Christen engagiert und sich ansonsten nicht interessiert. Wir müssen uns für verfolgte Christen, aber ebenso auch für andere Minderheiten einsetzen. Und wir müssen aufpassen, dass wir Konflikte nicht dadurch verschärfen, indem wir die religiöse oder ethnische Komponente betonen. Viele Auseinandersetzungen wie etwa der Konflikt in Kirgistan zwischen den Usbeken und Kirgisen ist kein ethnischer, sondern ein Konflikt zwischen Arm und Reich.

Und schließlich sollten wir auch auf unsere eigene Situation schauen, wenn wir uns weltweit für ein Thema engagieren: Wir haben hier keine Verfolgungssituation wie in einigen Ländern, aber wir müssen auch an unserer eigenen Toleranz für religiöse Minderheiten arbeiten. Da wird in anderen Ländern sehr genau auf uns geschaut.

Magdalene Lichte-Dierks: Sie haben den Einfluss der Verbraucher betont. Aber wie können Sie denn als Regierung auf unwürdige Bedingungen zum Beispiel auf Bananenplantagen Einfluss nehmen?

Wenn das in einem Land besonders akut ist, dann sprechen wir das in bilateralen Gesprächen an. Es ist auch Teil der politischen Rahmenverträge, die die Europäische Union mit anderen Ländern macht – die enthalten immer Menschenrechtsklauseln. Zum Teil wenden wir uns auch direkt an Importeure in Deutschland. Und wir nutzen das Netz der deutschen Botschaften, aber auch das der Menschenrechtsorganisationen und Kirchen. Das ist übrigens ein ganz wesentlicher Teil meiner Arbeit: Die Arbeit der deutschen Nicht-Regierungsorganisationen, der Zivilgesellschaft, mit der Arbeit der Bundesregierung zu koordinieren. Ohne einen ständigen Informationsaustausch würde es nicht gehen. Wir wüssten längst nicht so gut, was in der Welt passiert.

Helmut Käss: Die Lage in Libyen nach dem Sturz Gaddafis gibt Anlass zur Sorge. Es heißt, dass dort seitdem 50000 Menschen getötet wurden. Wissen Sie, wie die Menschenrechtslage in Libyen aktuell ist?

Zur aktuellen Situation kann ich nicht viel sagen. Ich habe aber mit unserem Abrüstungsbeauftragten gesprochen, der in Libyen war. Er hat erzählt, wie er mit den dortigen Behörden gesprochen hat. Wir wollen dabei behilflich sein, die Tausenden von Waffen, auch die Raketen zum Abschuss von Flugzeugen, die dort im Umlauf sind, einzusammeln und zu vernichten. Wir sind auch dabei behilflich, die übers Land verstreuten Minen zu kartieren und zu beseitigen. Wir haben Menschen aus Libyen herausgeholt zur medizinischen Behandlung. Auch das alles ist Menschenrechtsarbeit. Der Kollege sagte: Es ist ruhig, aber instabil.

Magdalene Lichte-Dierks: Im Ausland treffen Sie sicher oft auf Widerstand. Wo haben Sie in Deutschland mit Gegenwind zu kämpfen?

Wenn deutsche Firmen im Ausland investieren oder Handel treiben, dann haben sie auch eine Verantwortung. Sie verkaufen ja ihre Produkte unter anderem auch, weil Deutschland als moralisch integer gilt. Und deshalb halte ich es für wichtig, dass sie dieses Bild mit prägen, ihrer Verantwortung gerecht werden. Wenn ich das einfordere, wenn ich auf die Zustände in der Zulieferkette hinweise, dann wird das nicht immer gerne gehört.

Magdalene Lichte-Dierks: Sind die USA für Sie auch ein Thema?

Ich fahre in alle Länder, bei denen ich das Gefühl habe, dass sich bei den Menschenrechten etwas verändern sollte. In den USA ist das ganz wesentlich die Frage der Todesstrafe. Und ich bin auch gerade in Guantanamo gewesen. Ich war übrigens der erste deutsche Regierungsvertreter, der sich dieses Lager angesehen hat. Die Amerikaner sind unsere Freunde und ich schätze Präsident Obama. Aber dass in Guantanamo Menschen ohne Gerichtsurteil sitzen und dass es in den USA die Todesstrafe gibt, schätzen wir nicht.

Udo Stolte: Wie sieht es aus in Guantanamo?

Die Haftbedingungen in Guantanamo lassen sich nicht mehr mit den miserablen Käfigen von 2002 vergleichen. Die Gefangenen werden jetzt ordentlich behandelt. Aber es bleibt ein riesiges Problem, dass dort Menschen ohne Gerichtsurteil einsitzen – zum Teil seit zehn Jahren. Und wer einen Prozess bekommt, der wird vor ein Militärgericht gestellt. Militärgerichte sind aus Sicht der Bundesregierung nicht akzeptabel. Angeklagte haben das Recht, vor ein ordentliches Gericht gestellt zu werden. Ansonsten müssen sie freigelassen werden. Man kann nicht immer vom amerikanischen Traum, von amerikanischen Werten reden und sie dann nicht einhalten.

Uso Stolte: Ich möchte aber auch einmal ansprechen, was in Deutschland passiert – über 3000 Mädchen werden hier jedes Jahr zwangsverheiratet. Was haben Sie für Möglichkeiten, da einzugreifen?

Zunächst einmal: Meine Macht besteht darin, dass ich Missstände in anderen Ländern anspreche und sie gegebenenfalls öffentlich mache. Ich selbst greife nirgends direkt ein. Zentrale Aufgabe des Menschenrechtsbeauftragten ist, die Bundesregierung auf dem Feld der auswärtigen Beziehungen und der Menschenrechte zu beraten. Für Missstände in Deutschland – wie solche Zwangsehen – ist das Gerichtswesen zuständig. Es gibt auch Petitionsausschüsse, die sich um Menschenrechtsverletzungen kümmern. Und wir haben eine gut funktionierende Zivilgesellschaft. Die Menschen müssen selbst mit aufpassen und die unbedingt erforderlichen Hinweise geben. Ein Gesetz gegen Zwangsehen hat die schwarz-gelbe Koalition gerade verabschiedet.