Braunschweig. Seit mehr als 20 Jahren ist Michael Mendl dem Fernsehpublikum als Charakterdarsteller bekannt – mal als Bundeskanzler, mal als Papst

Alexander Lukanowski: Sie sind schon früh Schauspieler geworden. War das ein Kindheitstraum?

Das war der Traum eines heranwachsenden Jungen. Ich war mit 14 Jahren schon hoch aufgeschossen und sah auch älter aus. Und so ging ich in Mannheim ins Theater, sagte dem Pförtner, dass ich Statist werden wollte, und der schickte mich gleich durch zu Erwin Piscator, der gerade Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ ins zenierte. Piscator fragte mich gar nichts, sondern setzte mich gleich ein. Sechs Jahre war ich schließlich als Statist dabei, und alle Regisseure haben mich haben wollen.

Lukanowski: Welche Rollen bekamen Sie denn?

Eigenartigerweise bin ich immer wieder gern für Erschießungskommandos besetzt worden. Man glaubt ja gar nicht, wie viele Erschießungskommandos es in den Opern gibt – Don Carlos, Fidelio ...

Lukanowski: Aber Sie waren doch noch Schüler, wie konnten Sie da so oft auf der Bühne stehen?

Man kann sich denken, dass ich öfter die Schule schwänzen musste, wenn die Haupt- und Generalproben angesetzt waren. Aber ich war Schulsprecher, hatte ein gutes Ansehen bei den Lehrern, und die haben dann ein Auge zugedrückt.

Lukanowski: Sie haben schon so viele Angebote bekommen. Was davon haben Sie abgelehnt? Und – haben Sie jemals eine Ablehnung bereut?

Lassen Sie mich die Frage in zwei Teilen beantworten.

Tatsächlich habe ich einige Rollen nicht angenommen. Ich habe ein Prinzip, und das lautet „Kein Mensch kommt als schlechter Mensch auf die Welt“. Das heißt, ich habe in allen meinen Rollenbüchern immer danach gesucht, ob in der Figur, die ich spielen sollte, irgendwo auch einst ein kleiner, lieber Junge steckte. Wenn ich den gefunden hatte, dann habe ich die Rolle genommen. Mein Beruf ist ein gesellschaftspolitischer Beruf. Und ich will zeigen, vereinfacht gesagt, dass der Mensch durch Einflüsse, durch Umstände schlecht wird.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Nein, ich habe keine Ablehnung bereut.

Wolfgang Kowalk: Sind Sie gleich von der Schule an die Schauspielschule gegangen?

Ich habe das Abitur gemacht und wollte an die Schauspielschule. Aber dazwischen wollte ich etwas anderes machen, um nicht von der einen Pression in die nächste zu gelangen. Ich habe ja zwei Staatsangehörigkeiten, die deutsche und die österreichische, und bin nach Wien gegangen, wo ich mich beim Max-Reinhardt-Seminar bewerben wollte. Davor aber wollte ich an der Universität in einer kleinen Auszeit noch etwas Philosophie, Kunstgeschichte und Literatur hören. Aber das Max-Reinhardt-Seminar wollte mich. Ich kannte einen Regisseur, der mich an die Folkwangschule in Essen holte. Bis zum Semesterbeginn verdiente ich mein Geld als Hilfsarbeiter bei BASF.

Kowalk: Und nach der Schauspielschule begann das harte Leben.

Na ja. Wenn man von der Schauspielschule kommt, dann ist man eben ein Theaterschauspieler.

Kowalk: Und dann?

Das sorgenvolle Herumreisen von Stadt zu Stadt beginnt, immer dorthin, wo es offene Stellen gibt. Man bewirbt sich, und wenn man Glück hat, wird man eingeladen. Dann muss man vorsprechen und wird vielleicht genommen. Anfangs hatte ich Pech.

Und dann ging es doch los – Paderborn, Esslingen, Kaiserslautern, Darmstadt…

Kowalk: Was ist das Mühsame daran?

Alle zwei Jahre mieten sie sich einen Transporter, packen ein, ziehen um zum neuen Engagement, mieten sich einen Transporter, packen alles ein, ziehen um und so weiter. Ungefähr zwölf Jahre habe ich das gemacht, bis ich in Stuttgart landete.

Im Schnitt gesehen ging es mir gut, denn ich habe nur gemacht, was und wie ich es wollte; sonst hätte und hat es auch Krach gegeben.

Kowalk: Ist das immer gutgegangen?

Beim Theater ja. Beim Film nicht so sehr. Die haben mich einfach nicht mehr besetzt. Ich galt als schwierig. Das stimmte natürlich gar nicht.

Lukanowski: Was macht mehr Spaß – Film oder Bühne?

25 Jahre habe ich Theater gespielt, zuweilen zehn Rollen im Jahr. Das waren gepresste Zeiten: Bühne, Familie, Kinder, Erziehung … Die Arbeit vor der Kamera fand ich dagegen toll. Ich fand’s paradiesisch. Ich sagte mir: Das Theater fehlt mir nicht. Nach 16 Jahren Film frage ich mich: Fehlt mir das Theater doch?

Lukanowski: Also kein Unterschied.

Ja, doch. Es ist zwar ein Beruf, aber es sind zwei Hüte. Das Handwerk ist gleich. Vergleichen wir es mit einem Tischler. Sein Arbeitsmaterial ist Holz. Aber es gibt die Tischler, die aus Holz feine Möbel bauen und die Tischler, die aus Holz stabile Treppen bauen. Spaß machen beide, Theater und Film. Aber ein Traumberuf ist es nicht.

Lukanowski: Wieso?

Die Illustrierten zeigen uns Schauspieler gut angezogen, frisch frisiert und parfümiert, wie wir über den roten Teppich schreiten. Aber so ist der Beruf gar nicht. Er ist harte Arbeit.

Kowalk: Oft hört man, dass Filmschauspieler zurück zum Theater gehen, um einen besseren Bezug zum Publikum zu haben. Ist da was dran?

Durchaus. Beim Fernsehen haben Sie keinen direkten Bezug zum Publikum. Oder wenn es einen gibt, dann erst viel später, weil der Film erst ein oder eineinhalb Jahre später ins Fernsehen kommt. Den Erfolg lesen Sie dann an der Quote ab, und Sie wissen nicht, ob mit der Erfolgsquote nun Sie oder die Blondine neben Ihnen gemeint war.

Einmal allerdings habe ich den Erfolg gespürt. 2009 erhielt ich den Jupiter-Award/Cinema-Zuschauerpreis als bester Schauspieler in dem Streifen „Der Besuch der alten Dame“. Ich wusste, das ist nur für mich.

Lukanowski: Hatten Sie mal ein Vorbild?

Als ich Statist war, da war Wolfgang Schwarz an unserem Theater engagiert. Ein toll aussehender Mann. Der trug schon Anfang der 60er Jahre Lederjeans und Cowboystiefel. Die Frauen fanden ihn toll. Ich auch, obwohl ich ja keine Frau war.

Lukanowski: Hat Sie nur das Aussehen begeistert?

Natürlich nicht. Er hatte eine saubere Aussprache, er machte keine Zicken. Und er hat sich anschließend in der Kantine nicht betrunken, wie es damals üblich war. Da gab es Schauspieler, die tranken an einem Abend eine Flasche Whisky.

Lukanowski: Aber aus welchem Grund denn?

Ob es Angst war? Ob sie eine Betäubung brauchten? Ich weiß es nicht. Gleichwohl, unser Beruf kann gefährlich sein, denn man kommt an die Grenzen der Schizophrenie. Sie sagen sich irgendwann: Ich bin nicht der, der ich bin – eben weil Sie immer über lange Zeit einen anderen Charakter spielen. Viele gingen wohl deshalb in die Kneipe, um den „anderen“ runterzuspülen. Na ja.

Kowalk: Man muss aber auch höllisch aufpassen, bei sich selbst zu bleiben und die Rolle nicht mit ins Leben zu nehmen.

Ganz genau. Ich wurde mal für die Rolle des Historikers George, ein gnadenloser Zyniker, in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ besetzt. Das heißt, ich war Ersatz für einen Kollegen, der ausgefallen war. Aber: Michael Mendl ist ironisch, Michael Mendl ist nicht zynisch. Zynismus halte ich für eine Seelenkrankheit. Jedenfalls probte und probte ich. Ich konnte nicht zynisch sein. Und dann ging es doch – und ich war auch im Leben zynisch. Ich wartete darauf, dass das Stück bald abgespielt war.

Lukanowski: Haben Sie noch ein Ziel?

Ich trage seit Jahren ein Drehbuch mit mir herum. Martin Kluger hat es für mich geschrieben. Erzählt wird eine Geschichte aus Berlin von einem Mann, den viele für einen lustigen Kerl halten. Es ist die Geschichte von Heinrich Zille, ein Charakter, der mich fasziniert. Man glaubt allgemein, Zille sei nur ein Karikaturist gewesen. Damit muss mal aufgeräumt werden. Zille lebte im Berlin der 20er Jahre. Er war sozialkritisch, er war von tiefer Menschlichkeit geprägt, er war unbestechlich.

Diese Rolle würde ich gerne noch spielen.