Braunschweig. 2006 wurde Stephan Weil Oberbürgermeister von Hannover . Der SPD-Politiker tritt bei der Landtagswahl im Januar 2013 als SPD-Spitzenkandidat an.

Andreas Meißler: Herr Weil, wie hat die Wahl zum SPD-Spitzenkandidaten Ihr Leben verändert?

Sehr! Nicht nur was den Terminkalender angeht – ich bin sehr viel in Niedersachsen unterwegs. Oft hechte ich mich gegen 18 Uhr in ein fast schon rollendes Auto (lacht). Ich befasse mich jetzt auch mit vielen Themen, mit denen ich schon zu tun hatte, von einer anderen Seite. Ich bin sozusagen gerade mitten in der Mauser vom Kommunal- zum Landespolitiker. Das ist eine sehr spannende Zeit.

Meißler: Ein großes Problem ist die Bevölkerungsentwicklung. Wir haben zum Beispiel regional bis zu 40 Prozent Schülerrückgänge, ein Drittel der Grundschulen sind nur noch einzügig, die Hauptschulen stehen zur Disposition. Das ist doch dramatisch!

Die Landesregierung hat eine Riesenchance auf einen Konsens verpasst, als sie zuletzt das Schulgesetz geändert hat. CDU und FDP mögen eine Schulform nicht: Das ist die Gesamtschule. Deswegen haben CDU und FDP für das Einrichten von Gesamtschulen höhere Hürden aufgestellt, als für andere Schulen. Und wir haben eine neue Schulform, das ist die Oberschule. Ich habe mir fest vorgenommen, dass ich diesen Schulstreit sehr schnell und sehr pragmatisch lösen werde.

Meißler: Und wie?

Im Zweifel wissen Eltern am besten, was ihre Kinder leisten können. Und die kommunalen Schulträger wiederum werden sich sehr stark an dem orientieren, was vor Ort gewünscht ist. Ich finde nicht, dass das Land das vorgeben muss. Wenn also ein Kreis eine Oberschule haben will: gerne. Und wenn er lieber eine Gesamtschule haben will, dann das. Man kann übrigens in jeder Schulform guten oder schlechten Unterricht machen. Und eine große Frage wird sein: Was machen wir eigentlich, wenn die kleinen Grundschulen noch viel kleiner werden? Wir brauchen dann Ganztags-Grundschulen, möglicherweise für etwas größere Einzugsbereiche. Das wird nicht einfach.

Heinz Peters: Der Posten, den Sie anstreben, ist parteipolitisch geprägt, aber auch vom persönlichen Stil. Wie soll denn Ihre persönliche Prägung einfließen?

Mein Arbeitsstil ist sehr stark von meiner Erfahrung als Bürgermeister geprägt. Ein Bürgermeister, der nicht entscheidet, ist schnell unten durch. Bürgermeister müssen pragmatisch sein und dürfen die Nase auch nicht zu hoch tragen. Ich bin kein großer Freund von Schaufensterstreitigkeiten. Das alles könnte auch der Landespolitik ganz gut tun.

Peters: Man kann als Ministerpräsident aber nicht immer so wie man möchte. Auch jede Region hat ihre Wünsche, es gibt ganz unterschiedliche Erwartungen an den Ministerpräsidenten. Sie sind heute hier in Braunschweig. Haben Sie denn schon mal überlegt, was Sie den Braunschweigern anbieten können? Sie sollen nichts aus der Tasche ziehen, sondern in dem Sinne, etwas besser zu machen als bisher.

Ich bin ein gelernter Kommunalo, kein Zentralist. Das passt gut, weil Niedersachsen ja ein großes Flächenland ist. Da geht es nicht nur um Braunschweig und Hannover. Ich glaube nicht, dass die Landesregierung vom grünen Tisch aus sagen kann, was für die Regionen das Beste ist. Deshalb brauchen wir regionale Entwicklungskonzepte, die die Landesregierung gemeinsam mit den Verantwortlichen aus den Regionen erarbeitet. Die Landesregierung wird zum Beispiel gut beraten sein, das Cluster Mobilität in der Region Braunschweig/Wolfsburg zu befördern. Das hat ja Ausstrahlung aufs ganze Land. Ich habe mit dem Braunschweiger OB Hoffmann die Metropolregion wieder aus der Taufe gehoben. Ich bin im Übrigen weit davon entfernt, die tief verwurzelte Braunschweiger Kultur, die ja auch mit der langen staatlichen Selbstständigkeit zu tun hat, in Zweifel zu ziehen. Ich freue mich, dass das eine selbstbewusste und erfolgreiche Region ist.

Lukas Jacobs: An die Hochschulen kommen von 2016 an geburtenschwache Jahrgänge. Wird man dann Hochschulen verkleinern oder schließen müssen?

Im Moment wandern junge talentierte Leute noch aus Niedersachsen ab. Das müssen wir ganz schnell stoppen! Wenn sich mit geburtenschwächeren Jahrgängen die Bedingungen ändern, muss Niedersachsen die Qualität in der Lehre weiter verbessern. Wir haben insbesondere im naturwissenschaftlich-technischen Bereich noch viel zu hohe Abbrecherquoten. Ich will außerdem möglichst schnell weg von den Studiengebühren. Sie sind ungerecht. Außerdem: Wenn um uns herum alle Bundesländer die Studiengebühren abgeschafft haben, kann das nicht gut sein für die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Niedersachsen.

Jacobs: Viele Studierende müssen sich so viel Stoff in so kurzer Zeit aneignen, dass andere Dinge auf der Strecke bleiben. Zum Beispiel, sich kulturell oder ehrenamtlich zu engagieren. Und wer länger studiert, damit das geht, der wird zum Teil abgestraft, durch höhere Studienbeiträge, durch auslaufende Bafög-Zahlungen...

Es bringt nichts, wenn Studierende nur Fachwissen pauken. Sozialkompetenz ist genauso wichtig.

Meißler: Haben Sie eigentlich schon mal eine Einladung zu den legendären Herrenabenden des Götz von Fromberg erhalten?

(Prominenten-Anwalt in Hannover mit Freunden von Schröder und Wulff bis zu Maschmeyer, die Red.)

Ja, aber ich bin da nie hingegangen.

Peters: Nochmal zu Ihrer Politik: Irgendwo muss das Geld herkommen für die Ziele, die Sie als Ministerpräsident verwirklichen wollen.

Erstmal muss die Landesregierung aufhören, Fehler zu machen. Im Bundesrat hat Niedersachsens Landesregierung letztens wieder Steuersenkungen zugestimmt. Das hätte die Kommunen alleine in Niedersachsen 100 Millionen Euro gekostet! Zweitens: Mit einem gesetzlichen Mindestlohn hätten wir weitere Steuerzahler. Drittes Beispiel: Ich bin auch für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die SPD hat dazu ein gutes Konzept auf den Tisch gelegt. Trotzdem bleibt die Finanzlage angespannt, so dass ich mit Wahlversprechen zurückhaltend bin. Nehmen Sie die Studiengebühren: Ich will sie abschaffen, aber ich weiß noch nicht, wann das gehen wird. Glaubwürdigkeit ist heute die eigentliche Währung, mit der Wahlen gewonnen werden.

Jacobs: Das Abschaffen der Studiengebühren finde ich durchaus gut, aber diese Gelder werden in großen Teilen ja durchaus sinnvoll eingesetzt. Wie sollen die Hochschulen die Leistungen aufrechterhalten können, die daraus finanziert werden?

Das muss kompensiert werden, das kann nur das Land.

Peters: Niemand wird bei der Landtagswahl 2013 die absolute Mehrheit erringen. Wären Sie bereit, jede mögliche Koalition einzugehen?

Meine klare Präferenz ist Rotgrün, da gibt es die größten Schnittmengen. Ausschließen würde ich unter Demokraten aber nichts. Eine Zusammenarbeit mit einer rechtsextremen Partei wäre völlig ausgeschlossen, eine Zusammenarbeit mit der Linken halte ich für höchst unwahrscheinlich. Das ist eine Partei, die erklärtermaßen keine Verantwortung übernehmen will. Dann soll sie auch keine bekommen. Die Beobachtung in Niedersachsen durch den Verfassungsschutz halte ich allerdings für völlig überzogen. Eine große Koalition blockiert sich oft selbst. Die Piraten sind eine interessante politische Gruppierung, aber für mich noch nicht einschätzbar. Bei der FDP kann ich mir schwer vorstellen, wie die so schnell wieder hochkommen soll.

Anastasia Reiter: Ich komme aus Bayern, und als ich hierhergezogen bin, habe ich in der Schule schon große Unterschiede gemerkt. Wenn ich jetzt wieder zurückginge, hätte ich Probleme, meinen Abschluss zu machen. Was kann man tun, damit das Niveau bei den Abschlüssen gleich ist?

Wir übertreiben es gelegentlich mit dem Föderalismus. 16 Schulfibeln, Familien-Dramen bei Umzügen – und ich hätte nichts dagegen, wenn wir in einem geregelten Verfahren zu gemeinsamen Leistungsabfragen kommen. Dazu brauchen wir gemeinsame Bildungsstandards. Egal, um welche staatliche Ebene es geht: Politik und Gesellschaft müssen bei der Bildung Vollgas geben!

Das gilt für Deutschland insgesamt.