Berlin. . Bestseller-Autor Ken Follett spricht im Interview über Liebe und Schmutz im Mittelalter, über Toleranz und seine wichtigsten Talente.

Mit dem Agententhriller „Die Nadel“ wurde Ken Follett 1978 zum Bestsellerautor. Weltweiten Ruhm brachte ihm 1989 sein historischer Roman „Die Säulen der Erde“, der vom Bau einer Kathedrale in England erzählt.

Eintauchen in das Leben längst vergangener Zeiten – das ist Folletts Spezialität. Auch in seinem 31. Buch, „Das Fundament der Ewigkeit“. Im Berliner „Hotel de Rome“ empfängt der Brite zum Gespräch, im eleganten Anzug mit gepunkteter Krawatte.

Mr. Follett, wenn Sie gezwungen wären, die Gegenwart zu verlassen und in einer anderen Epoche zu leben – welche wäre das?

Ken Follett: Oh, ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner anderen Zeit leben wollte. Ich mag weder Dreck noch Kälte noch schlechtes Essen oder schlechten Wein. Ich lebe wirklich gerne im 21. Jahrhundert mit bequemen Autos, warmen Häusern, schönen Kleidern, Kino, Fernsehen und Rock ’n’ Roll. Wenn ich allerdings müsste, dann ins Mittelalter. Es würde mich faszinieren zu sehen, wie eine Kathedrale gebaut wird. Mit diesen Menschen zu reden darüber, warum und wie sie es machen, und wieso sie wissen, dass die Kathedrale stehen wird. Aber ich würde die Häuser und das Essen und die Betten hassen. Nun ja, die meisten Menschen hatten keine Betten, sie schliefen auf dem Fußboden. Die Kleider waren fürchterlich, und sie waren alle braun!

Was ist das Wichtigste, das Sie bei Ihren Recherchen über die menschliche Natur gelernt haben?

Follett: Ich glaube, das Schockierendste ist, wie grausam Menschen sein können. Das ist es, was man aus der Geschichte lernen kann. Menschen begehen die schrecklichsten Verbrechen. Wenn dann jemand im Mittelalter für ein Verbrechen hingerichtet wurde, geschah es auf möglichst schmerzvolle Art. Und große Menschenmengen sahen zu. Widerlich.

Historische Daten und Details des Alltags sind das eine – aber wie finden Sie heraus, was die Menschen gedacht oder gefühlt haben, wie sie ihr Leben reflektiert haben?

Follett: Je weiter zurück man in der Geschichte geht, desto mehr muss der Schriftsteller sich ausdenken. Nehmen Sie zum Beispiel in meinem neuen Roman die Gefühle der Figur Sylvie. Soweit ich weiß, gibt es keine Dokumente aus dem 16. Jahrhundert darüber, wie junge Frauen es erleben, wenn sie sich verlieben. Da müssen Sie Shakespeares Stücke lesen. Das sind zwar nicht wirklich dokumentarische Beweise, aber Shakespeare stellt sich oft vor, wie Menschen sich verlieben. Und das bisschen, was es an Hinweisen gibt, führt mich zu der Annahme, dass die Menschen sich in Liebesdingen nicht besonders verändert haben. Ich kann das nicht beweisen. Es ist einfach meine Einschätzung.

In Ihrem neuen Roman geht es um den Kampf der Katholiken gegen die Protestanten – aber auch um den Konflikt zwischen Menschen, die für Toleranz eintreten und solche, die Toleranz verachten. Ein Konflikt, der sehr aktuell scheint.

Follett: Es stimmt, teilweise hat mich die Geschichte interessiert, weil sie in der heutigen Welt nachhallt. Aber es wäre zu einfach zu sagen, nichts habe sich seitdem verändert. Das Ideal der Toleranz, das im 16. Jahrhundert neu und radikal war und nicht sehr populär, ist jetzt weitverbreitet. Wir haben also Fortschritte gemacht. Aber es ist noch nicht vorbei. Und ich spreche nicht nur von dem IS. Wenn Sie nach Indien schauen: Der hinduistische Nationalismus ist eine brutale und gewalttätige Ideologie. Mich interessieren die Menschen, die schon, als das noch ein sehr unbeliebter Gedanke war, gesagt haben: Wir brauchen uns deswegen nicht gegenseitig umzubringen. Das war ziemlich heldenhaft.

Könnte das eine Botschaft sein, die Sie vermitteln wollen?

Follett: Nein, ich glaube nicht, dass Romane sich gut für Botschaften eignen. Was Sie von einem Roman bekommen, ist die Fähigkeit, die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Wenn wir Romane lesen, verstehen wir Standpunkte von Menschen, die nicht so sind wie wir. Und das ist eine wirklich wichtige menschliche Fähigkeit.

Welche Fähigkeit brauchen Sie, um Romane zu schreiben? Ihr systematisches Vorgehen von Idee über Entwurf zu Geschichte kann nicht alles sein, sonst würde es jeder machen.

Follett: Man muss die Fantasie haben. Alle Schriftsteller sind Menschen, deren Fantasie ununterbrochen arbeitet. Als ich ein Kind war, habe ich immer so getan, als wäre ich jemand anders. Ein Pirat oder der Kapitän eines Raumschiffs. Was man außerdem braucht, ist die Fähigkeit, diese Fantasien mit anderen Menschen zu teilen, indem man sie aufschreibt. Diese beiden Dinge sind vermutlich angeborene Talente.

Die „FAZ“ hat sie einmal als „Schreib- und Epen-Unternehmer“ bezeichnet, finden Sie sich darin wieder? In Ihrem „Follett-Office“ in London beschäftigen Sie 30 Mitarbeiter.

Follett: Aber keiner von ihnen hilft mir beim Schreiben! Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie führen das Unternehmen, damit ich es nicht tun muss – PR, Kontakte, Reiseorganisation. Was bedeutet, das ich den ganzen Tag an meinem Computer sitzen und Geschichten schreiben kann. Aber vom Schreiben allein kann man nicht leben. Sie müssen die Geschichten an Verlage verkaufen. Dann wird es ein Geschäft. Und meins ist jetzt so komplex geworden, dass ich nicht mehr zum Schreiben käme, wenn ich mich selbst darum kümmern würde.

Denken Sie manchmal daran, wie weit Sie gekommen sind?

Follett: Ich denke jeden Tag daran! Es ist cool! Genau davon habe ich immer geträumt: Bücher zu schreiben, die Millionen Menschen lieben.