Berlin. Meisterregisseur Martin Scorsese über sein Religions-Drama „Silence“, Gewalt im Kino und seine gescheiterte Karriere als Priester.

Er ist einer der bedeutendsten Regisseure der Kinogeschichte, sein künstlerisches Erbe ist gigantisch: Martin Scorsese (74) schuf Filme wie „Taxi Driver“, „Good Fellas“ oder „Gangs of New York“, machte Robert De Niro zum Weltstar. Neben dem Verbrechen ist auch Religion immer wieder Thema seiner Filme. Nach „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) und „Kundun“ (1997) hat er seine ganz persönlichen Passionsspiele jetzt mit „Silence“ (ab 2. März im Kino) abgeschlossen. Vorlage war der Bestseller des Japaners Shusaku Endo.

Mr. Scorsese, nach dem elektrisierenden Finanz-Thriller „The Wolf of Wall Street“ haben Sie mit „Silence“ jetzt einen tiefreligiösen Film gemacht. Haben Sie keine Angst, Ihr Publikum zu irritieren?

Martin Scorsese: Nein, denn wer mich kennt, der weiß, dass ich mich bei der Auswahl meiner Filmen nicht festlegen lasse. Außerdem habe ich mich doch in fast allen meinen Filmen mit Schuld und Sühne, Glaube und Verzweiflung, Verrat und Erlösung befasst. Das sind ja in ihrer Essenz tiefreligiöse Themen. Schon vor 20 Jahren habe ich nach meinem Mafia-Thriller „Casino“ mit „Kundun“ einen sehr meditativen und spirituellen Film über den Buddhismus gemacht. Mein Publikum ist erwachsen und neugierig genug, um gut damit umzugehen.

Inwieweit sind Ihre Filme persönlich oder gar autobiografisch?

Scorsese: Alle meinen Filme haben einen sehr starken persönlichen Bezug. Ich befasse mich darin mit den Dingen des Lebens, die wohl in meine DNA eingeschrieben sind. Die mich nicht loslassen, denen ich auf die ein oder andere Art auf den Grund gehen muss. Ja, ich mache zum Beispiel Filme, in denen Menschen anderen Menschen schreckliche Dinge antun. Wenn jemand, wie ich, in den 50er- und 60er-Jahren in New York aufgewachsen ist, dann gehörte diese Art von Gewalt zum Alltag dazu.

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    Vor allem in Little Italy, wo die Mafia damals noch das Sagen hatte.

    Scorsese: Ja, das hat mich sehr geprägt. Little Italy war mein Hafen, meine Stätte der Zuflucht und Gefängnis zugleich. Ich möchte an dieser Stelle auch noch betonen, dass ich in meinen Filmen nie Gewalt verherrlicht habe. Ich habe sie immer als das gezeigt, was sie ist: brutal, schrecklich, unmenschlich. Ich mache nun mal realistische Filme, die Menschen in der Krise zeigen, im Konflikt mit sich und Gott und der Welt, in einem moralischen Dilemma.

    Offenbar brennen Sie auch nach 50 Jahren für Ihren Beruf.

    Scorsese: Absolut. Ich bin nach all den Jahren immer noch ganz begeistert, wenn ich einen Drehort aussuche, eine Szene einrichte oder mit den Schauspielern einen Ablauf probe. Oder mir später, beim Schnitt, über die richtige Musik Gedanken mache. Das Filmemachen ist meine ganz große Leidenschaft. Seit Anfang 20 weiß ich, dass mein Glück – und manchmal auch mein Unglück – im Filmemachen liegt.

    Dabei wollten Sie doch ursprünglich Priester werden.

    Scorsese: Ja, aber ich wurde ja nicht ins Priesterseminar aufgenommen, was letztlich ein großes Glück für mich war. Denn ich bezweifle sehr stark, dass ich mich als Priester hätte so entfalten können. Vom Zölibat mal ganz zu schweigen. Aber ich bin immer noch religiös – oder um ein weniger belastetes Wort zu wählen: spirituell.

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      Was hat Sie denn außer Filmen, New York und Religion sonst noch geprägt?

      Scorsese: Das sind schon mal drei gute Eckpunkte. Natürlich meine Beziehung zu Freunden und Frauen. Meine Frau, meine Kinder – ach, nennen wir es einfach das gelebte Leben. All die vielen künstlerischen Auseinandersetzungen und Herausforderungen. Aber das Wichtigste waren und sind immer Menschen.

      Diesen Sonntag ist wieder Oscarverleihung. Wissen Sie, warum „Silence“ nicht einmal nominiert worden ist?

      Scorsese: Ich habe nicht die geringste Ahnung. Und ich habe es schon vor sehr langer Zeit aufgegeben, mir darüber Gedanken zu machen