Berlin . Max Raabe kommt mit seinem Orchester für einige Konzerte nach Deutschland. Die Liedauswahl lag zum ersten Mal in den Händen der Fans.

Stilbewusst, der Mann. Max Raabe grüßt mit angedeutetem Handkuss. Der Frack sitzt, alles glänzt, tadellos wie immer. Nur die Pomade fehlt, die Haare sitzen auch so. Schon steht der schwarz gekleidete Sänger im Lichtkreis am Mikro­fon und schafft es tatsächlich im Nu, die Probenhalle mit ihrem spröden Industriecharme in ein musikalisches Liebesnest zu verwandeln.

Hier in den Berliner Black Box Hallen hat einst Rammstein geprobt mit ganz anderen Liedern. „Bei dir“, singt Raabe nun und beugt sich ganz tief ins Licht hinunter, „war es so schön-n-n-n“. Alles schummrig drumherum, in rote LED-Farbe getaucht.

Nostalgisches Schellack-Knistern

Raabe und seine elfköpfige Boygroup plus der Geigerin machen Tempo mit den Proben zum neuen Programm „Das hat mir noch gefehlt“. Am 28. Februar werden sie im Berliner Admiralspalast gastieren. Danach zieht das „Palast Orchester“ weiter durch die Repu­blik (25. April im Dortmunder Konzerthaus, 6. Mai im Duisburger Theater am Marientor). Zwischendurch geht’s an die Westküste Amerikas, L.A. und San Francisco. Die schwungvolle Mischung ist bekannt, Eigenes, Schlager und Lieder der 20er- und 30er-Jahre, die sie für die Gegenwart flottmachen, nostalgisches Schellack-Knistern inklusive.

In den USA werden sie eine andere Mischung präsentieren als in Berlin, wo die Liederauswahl zum ersten Mal in der Geschichte des Orchesters durch ein Voting von den Fans mitbestimmt wurde. Also Lieblingslieder auswählen. Neues ist dann für das nächste Album geplant, das bis nächstes Jahr fertig werden soll.

„Geht immer um Herzschmerz und Herzenssehnsucht“

Dass das sehnsuchtsvolle „La Mer“ von Charles Trenet vom Publikum an die Spitze des Wunschkonzerts gewählt wurde, verblüffte Raabe schon. Er hat es nie in Deutschland gespielt. Aber französisches Flair sei immer schön.

Auf der Probe aber singt er erst einmal Altbekanntes, was zum Zurücklehnen einlädt: „Küssen kann man nicht alleine“, ein Liebeslied, bei dem jeder einfach mitsingen möchte. „Ach“, sagt Raabe „eigentlich geht es im Leben immer um Herzschmerz und Herzenssehnsucht.“ Zum Kuscheln und zum Loslassen vom Alltag seien diese Lieder ja einst auch geschrieben worden. „Das war der Effekt“, sagt Raabe. „Sich für die Dauer eines Liedes einfach aus der Realität reißen lassen.“ Da sei sein Repertoire nicht anders als das von Lady Gaga. „Ich bin kein politischer Kabarettist oder Liedermacher“, sagt er, so als müsse er sich entschuldigen, dass er beste, beschwingte Unterhaltung bietet.

Inzwischen 21 Alben produziert

Kaum zu glauben, 30 Jahre ist Max Raabe nun schon unterwegs. Bewusst musikalisch aus der Zeit gefallen ist er irgendwie zeitlos geblieben – und sich treu in Stil und Auftritt. 1987 veröffentlicht der heute 54-Jährige das erste Album mit dem Titel „Die Männer sind schon die Liebe wert“. Mittlerweile hat er schon 21 Alben produziert. 600 Titel gehören ins Repertoire, und die Suche nach neuen Titeln hört nie auf. In Kellern, Archiven, überall hat er über die Jahre nach Quellen gestöbert. „Das Internet hat die Recherche erleichtert“, meint er, „Plattensammler geben dort Empfehlungen.“

Eigentlich ist er ein Mann der Oper, er darf sich „Staatlich geprüfter Bariton“ nennen. Doch es kommt schon vor seinem Abschluss anders. 1986 tut er sich mit einigen Kommilitonen der Berliner Hochschule der Künste (HdK) zusammen, einfach aus Lust und Laune wollen sie die Goldenen Zwanziger wiederbeleben.

Nie Jeans, höchstens Cordhose

Damals stehen sie – als Vorgruppe für den Berliner Theaterball – im Foyer der HdK, nicht etwa im Festsaal. Die Besucher bleiben stehen und schauen den schlaksigen Mann an mit seiner Fliege um den Hals und der Pomade im Haar.

Das ist nicht etwa eine Verkleidung, Raabe meint es ernst damit. Bis heute trägt er diesen Vorkriegsschick. Nach Jeans muss man ihn nicht fragen, die letzten trug er mit zwölf Jahren. Sollte der Frack mal im Schrank bleiben, darf es schon mal eine Cordhose sein. Wenn er durch Berlin radelt oder reist, muss es bequem sein. Und er reist oft, als Weltstar gastiert er in vielen Ländern, Japan, China, Frankreich, bespielt berühmte Säle wie die Chicago Symphony Hall und die New Yorker Carnegie Hall.

Natürlich ist es so, man muss ein Faible haben für sein Liedgut von, nun ja, historischer Eleganz, dann darf man unbedingt sagen: Es gibt nirgendwo einen leidenschaftlicheren Vertreter dieser Songs als ihn. Mit ihm haben wir als Zuhörer eine Lizenz zur gepflegten Langsamkeit in Zeiten absoluter Beschleunigung. Mit jeder Schellack-Rille dürfen wir uns hinwegträumen – in plüschige Revuetheater und lange Cabaret-Nächte.