Hamburg. 1976 wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Die Jahre danach gehörten zu den schwersten seines Lebens, sagt er im Interview.

Wolf Biermann wohnt in Hamburg in einem Einfamilienhaus. Draußen tobt ein Eichhörnchen durch den großen Garten, innen nimmt der Hausherr im geräumigen Wohn- und Klavierzimmer Platz. Matthias Wulff traf den 79-jährigen Liedermacher und sprach mit ihm über seine Zeit in der DDR, seine Mutter Emma, über die Liebe zu seinen zehn Kindern und seine Biografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ (Propyläen, 576 Seiten, 28 Euro).

Herr Biermann, Ihre Autobiografie ist so versöhnlich geschrieben, sie stimmt nicht mit dem Bild des borstigen Biermann überein.

Wolf Biermann: Das hat einen einzigen Grund: Ihr Eindruck über den borstigen Biermann ist falsch. Meine Lieder und Gedichte sind wohlwollend. Wenn man allerdings in der Zeit der Angsthasen und Feiglinge lebt, dann hat jemand, der in einer Diktatur den Mund aufmacht, schnell den Ruf eines Schreihalses weg.

Sie waren in der DDR früh Regimegegner und in der Bundesrepublik sind Sie in Ihrem Bekenntnis zum Kommunismus auch nicht den leichten Weg gegangen.

Biermann: Über niemanden irrt man sich so sehr wie über sich selbst, das wissen Sie gewiss auch ohne mich. Daher ist alles, was ich über mich sage, mit Vorsicht zu genießen.

Gibt es eine Zeit, über die Sie ungern geschrieben haben?

Biermann: Ja. Die ersten Jahre im Westen.

Über die haben Sie auch nur kurz erzählt.

Biermann: Mit Recht. Weil es die schlechteste Zeit in meinem Leben war. Ich war aus den Angeln gehoben, ich wollte ja in der DDR bleiben. Dort hatte ich nicht nur meine vertrauten Freunde, sondern auch meine vertrauten Feinde. Falsche Freunde sind gefährlich, das weiß jeder. Aber noch gefährlicher sind falsche Feinde. Der Westen war mir fremd, und ich war, obwohl ich so berühmt war und überall eingeladen wurde, auf einmal der Neue, der Anfänger. Unter diesen Bedingungen schreibt man doch keine guten Gedichte. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich die westliche Gesellschaft begriffen hatte.

Haben Sie also das vorwegerlebt, was 23 Jahre später ein ganzes Volk durchmachte – der Wegfall eines vertrauten Systems?

Biermann: Absolut. Ich war dem kaum gewachsen. Nur: Meine Ausbürgerung war ein diktatorischer Willkürakt. Die deutsche Einheit war ein demokratischer Beschluss. Aber so westdumm, wie die Ossis waren nach dem Zusammenbruch der DDR, war ich allemal.

Wären Sie auch ein erfolgreicher Liedermacher geworden, wären Sie 1953 nicht in die DDR gegangen?

Biermann: Nein, ich wäre niemals Liedermacher geworden. Ich hätte kein einziges Gedicht geschrieben, denn meine Mutter Emma hat mich nicht so aufgezogen.

Sie sind Kommunist geworden aus Liebe zu Ihrer Mutter Emma.

Biermann: Nein. Das hat nichts mit Mutterliebe zu tun, sondern mit Erziehung. Kein Ei kann sich das Nest aussuchen, in dem es ausgebrütet wird. Wäre mein Vater SS-Obersturmführer gewesen, wäre ich wohl ein Nazi geworden. Eltern formen eben die Kinder nach ihrem Ebenbild.

Sie berichten in Ihrem Buch, dass die Staatssicherheit Sie anwerben wollte, als Sie mit 16 Jahren frisch in der DDR angekommen waren.

Biermann: Der Stasi-Offizier wollte mich mit falschen Behauptungen erpressen wie einen Hund, das empörte mein Wolfsherz. Wenn er an meinen kommunistischen Kinderglauben appelliert hätte, ich solle die Feinde der DDR aufspüren, dann hätte ich, wie es bei Brecht heißt, „meine Mutter nicht mehr gekannt“ und wäre stolz darauf gewesen, dass ich Spitzel der Stasi werden darf. Ich hatte ja mit 16 Jahren überhaupt nicht die politischen Erfahrungen, diesem System zu widerstehen.

Trotzdem waren Sie ein ungewöhnlicher Kommunist, weil Sie ja auch einzelgän­gerisch waren und nicht einfach die Beschlüsse der Partei abgenickt haben. Die DDR-Zeit beschreiben Sie als Pingpong zwischen Angstzustand und dem Versuch, diesen Angstzustand zu besiegen. Ihre Auflehnung ist kein Zufall, sondern eine Charaktereigenschaft.

Biermann: Das behauptet meine Frau Pamela auch, und dann ärgere ich mich immer.

Warum sind Sie nicht einfach in die Bundesrepublik zurückgegangen?

Biermann: Jeder bleibt dort, wo er das Gefühl hat, gebraucht zu werden, wo er etwas bewirken kann. Das mag komisch klingen, ist aber die Wahrheit: Wenn ich 1976 die Wahl gehabt hätte, dann wäre ich lieber in die Sowjetunion rausgeschmissen worden als in den Westen. Dort war die gesellschaftliche Struktur und das stalinistische System wie in der DDR. Dort wäre ich sofort zurechtgekommen.

Seit wann wollen Sie denn nicht mehr die Welt retten?

Biermann: Seit 1983. In dem Jahr habe ich den Schriftsteller Manès Sperber in Paris getroffen. Er hat mir gesagt, dass ich in meinem politischen Denken weit hinter meinen Gedichten zurückbleibe. Und er hatte recht.

Sie sind Vater von zehn Kindern. Wie verteilt man seine Liebe?

Biermann: Indem man sie nicht alle gleich liebt.

Das haben Sie mir jetzt nicht gesagt.

Biermann: Es ist eine Phrase, dass man alle Kinder gleich liebt. Kinder sind so verschieden, also liebt man sie auch verschieden. Nähe und Abstand ändern sich mit den Lebensumständen, und wenn Kinder erwachsen werden, formen sie auch selbst die Beziehung zu ihren Eltern.