Hamburg. Der TV-Moderator Reinhold Beckmann hat den SPD-Chef Sigmar Gabriel porträtiert. In einer bemerkenswerten Nebenrolle: Martin Schulz.

Kann es einen besseren Zeitpunkt für ein Porträt von Sigmar Gabriel geben als den heutigen Dienstag? Nein, vor allem deshalb nicht, weil es in den 45 Minuten, die Reinhold Beckmann über den Vorsitzenden und seine SPD gedreht hat, eben nicht nur um Gabriel geht.

Sondern auch um den Mann, der bisher als einer seiner engeren Parteifreunde galt und nun zu einem großen Widersacher werden könnte. Martin Schulz, der vor wenigen Tagen seine Rückkehr von der europäischen in die deutsche Politik verkündete, spielt in der ARD-Reportage (ungewollt?) mehr als nur eine Nebenrolle.

Und sagt, anders als der auch befragte Altkanzler Gerhard Schröder, Dinge über Gabriel, die man normalerweise über seinen Parteichef und möglichen Kanzlerkandidaten eher nicht sagen würde.

Interessante Formulierungen über Gabriel

Zum Beispiel, dass Gabriel nicht immer sehr kontrolliert sei, „manchmal auch ausrastet. Und sich nicht die Mühe macht, die Dinge bis zum Schluss durchzutragen, sondern auch mal die Spur wechselt.“ Das würde den Sigmar „beschweren“, so Schulz:

„Er ist manchmal sehr streng in der Änderung der Strategie. Man muss das stark kommunizieren, die Leute mitnehmen. Aber wir arbeiten dran.“ Beim letzten Satz huscht ein Lächeln über das Gesicht des scheidenden EU-Parlamentspräsidenten, und als Zuschauer fragt man sich, in welcher Richtung er daran arbeitet.

Schulz ist wie Gabriel bekannt für seine klaren Worte, und die Unberechenbarkeit des Parteichefs ist nun alles andere als ein Geheimnis – deshalb ist sie auch eines der Kernthemen der Reportage. Aber man kann über die Stärken und Schwächen des amtierenden Bundeswirtschaftsministers und Vize-Kanzlers auch anders sprechen. So wie es Gerhard Schröder auf entsprechende Fragen von Reinhold Beckmann tut.

Gabriel verlor Wahl gegen Christian Wulff

Wenn er etwa zugibt, dass Gabriel „polarisiert“, das aber auch „mit seinen rhetorischen Fähigkeiten“ begründet: „Da ist er vielen weit voraus.“ Außerdem habe er eine Freude daran, eine eigene Meinung zu haben. „Und dass er gelegentlich zu überraschenden Entscheidungen neigt“, so Schröder weiter, „das mögen viele nicht, die beteiligt werden wollen.“

So wie Martin Schulz? Dass der jetzt die direkte Konfrontation mit Gabriel sucht, sich als Kandidat für Außenministerium und Kanzlerkandidatur ins Spiel bringt, greift der ARD-Film scheinbar beiläufig auf. Mit einer Geschichte aus dem Jahr 2003.

Gabriel, damals Ministerpräsident, hatte die Wahl in Niedersachsen gegen Christian Wulff verloren. In der Partei wurde ihm angetragen, sich nach der Niederlage für das Europa-Parlament zu bewerben. Aber da gab es schon jemanden von der SPD: Martin Schulz. Und wie reagierte Gabriel? Er habe ihn angerufen und mitgeteilt, dass ihre Zusammenarbeit auf Freundschaft beruhe, sagt Schulz in der Reportage. Und dass er deshalb nicht auf europäischer Ebene antrete. Ein aus heutiger Sicht interessantes Detail.

Anke Gabriel wäre Kanzlergattin ohne Wohnort in Berlin

Davon trägt Reinhold Beckmann, der Gabriel in den vergangenen Monaten mehrfach traf, viele zusammen. Sein Film zwischen Politik und Privatem ist keine Werbung für den SPD-Chef, es zeigt ihn schlicht so, wie er ist: Ein Mann der Extreme, der selbst am besten weiß, dass ihn von zehn Menschen „fünf richtig gut und fünf richtig fürchterlich“ finden.

Und der, „ja klar“, nach seiner miserablen Wiederwahl zum Parteivorsitzenden den Gedanken hatte aufzuhören und die Politik „den Schlaumeiern“ zu überlassen: „Ich habe eine kleine Tochter, die sehe ich 20 Stunden in der Woche. Da sagst du dir: Geh’ lieber öfter mal nach Hause.“

Dort, in Goslar, wartet seine erneut schwangere Frau Anke, die gegenüber Reinhold Beckmann davon spricht, dass sie sich oft darüber wundert, wie ihr Mann in den Medien beschrieben wird: „Manchmal denke ich, dass ist eine ganz andere Person.“ Kann ein Mensch privat wirklich so anders sein, als in seiner öffentlichen Funktion?

Die Frage spielt eine Rolle im Hause Gabriel, genauso wie ein anderes Thema, das jede Ehefrau umtreibt, deren Mann ständig unterwegs ist: „Kann er jetzt nicht mal da sein, kann er nicht mal den Kasten Wasser reinschleppen?“, sagt Anke Gabriel, die im Fall einer Kanzlerschaft ihres Gatten das bleiben würde, was sie ist: Zahnärztin und dann zweifache Mutter.

Starke Aussagen zu einem starken wie schwachen Mann

Das Familienleben würde noch schwieriger, und das, obwohl sich der Ehemann und Vater so gut es geht bemüht, wenigstens hin und wieder abends und beim Frühstück zu Hause zu sein: „Reste von Nervenenden in das normale Leben muss man haben“, sagt Sigmar Gabriel dazu.

Ist er vielleicht einfach nur ein „Mensch mit Gefühlen, kein kalter Fisch“, wie Schröder sagt? Einer, der im Gegensatz zu anderen Politikern „keine Maske trägt“ und deshalb so wirkt, wie er wirkt, zuweilen, so Ex-SPD-Chef Franz Müntefering, wie ein „Raufbold“?

Der Film liefert Antworten und er nähert sich zum Ende auch der Frage, ob Gabriel wirklich Kanzlerkandidat sein will – trotz der vielen Gegenstimmen und Gegner, trotz des fehlenden Familienlebens, trotz der erneuten Vaterschaft. Trotz oder gerade wegen Martin Schulz?

Man hört viele starke Aussagen zu einem starken wie schwachen Mann. Die beste stammt von Sigmar Gabriel selbst, sie erklärt vieles und geht auf seine schwierige Kindheit zurück. Eine Kindheit, die von der Angst vor dem übermächtigen Vater, einem Nazi, geprägt war, von dem sich der Sohn unterdrückt fühlte: „Ich will nie wieder ohnmächtig sein“, sagt er deshalb heute. „Wenn ich das Gefühl habe, jemand will mich bedrängen, dann wird mein Widerstandsgeist geweckt.“

ARD, „Sigmar Gabriel und die SPD: Niedergang oder Aufbruch?“, Dienstag, 22.45 Uhr