Essen. Katrin Sass ermittelt wieder auf Usedom: „Nebelwand“ ist vielschichtiges Drama und detaillierte Milieustudie mit spannenden Figuren.

Bei der ARD steht der Fernsehabend im Zeichen zweier starker Frauen. Genauer: zweier großer Darstellerinnen. Zum vierten Male gehen Katrin Sass und Lisa Maria Potthoff als Mutter-Tochter-Gespann in einem „Usedom-Krimi“ auf Verbrecherjagd. Wobei „Verbrecherjagd“ eine entschieden zu einseitige Bezeichnung ist. „Nebelwand“ verbindet, wie die vorangegangenen Fälle, eine intelligente, bis ins Detail stimmige dörfliche Milieustudie mit einem vielschichtigen Kriminalfall, hinter dem sich ein außergewöhnliches Familiendrama verbirgt.

Im Yachthafen geht nachts ein alter Ein-Mast-Segler in Flammen auf, den sogenannte Problemjugendliche in einem betreuten Sozialprojekt wieder flott machen wollten. Eine Obdachlose, die hier Unterschlupf gesucht hatte, kommt mit schweren Verbrennungen davon. Kriminalhauptkommissarin Julia Thiel (Lisa Maria Potthoff), inzwischen Leiterin der Kripo Heringsdorf, findet bei ihren Ermittlungen heraus, dass die ausgebrannte Yacht vor zehn Jahren in einen tödlichen Unfall verwickelt war.

Ein später Racheakt?

Damals rammte das Schiff, offenbar in dichtem Nebel, eine Jolle. Bei der Kollision kam ein Urlauberehepaar ums Leben; nur der sechsjährige Sohn überlebte. Auch Julias Mutter, die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass), kann sich nur allzu gut an die Vorgänge von damals erinnern – war doch ihr Mann Jürgen an Bord der Yacht.

Handelt es sich womöglich um einen späten Racheakt? Was hatte die renitente Simone (eine Entdeckung: Lena Urzendowsky), die sich in das offenbar dubiose Sozialprojekt nicht einfügen will, zur Brandzeit im Hafen zu suchen? Was verbindet sie mit dem vorbestraften Teenager Jäckie (Oskar Bökelmann), in den sich ausgerechnet Julias bei der Großmutter lebende Tochter Sophie (Emma Bading) verknallt hat? Die so beschauliche wie überschaubare Insel Usedom und der hier verwurzelte Menschenschlag geben das Tempo vor, in dem Regisseur Andreas Herzog, der schon den ersten Teil der Serie inszenierte, die Geschichte entwickelt.

Psychologisch stimmig

Das Drehbuch, wieder aus der Feder des bewährten Autorentrios Scarlett Kleint, Michael Vershinin und Alfred Roesler-Kleint, verliert den Kriminalfall natürlich nie aus den Augen. Doch entscheidend für die überdurchschnittliche Qualität ist die feine psychologische Ausgestaltung noch der kleinsten Nebenfigur und vor allem die Fortschreibung der komplizierten Beziehung zwischen Mutter, Tochter und Großmutter.

Der Zuschauer kann „Nebelwand“, wie jeden Usedom-Fall, als in sich geschlossenes Krimi-Drama genießen. Andererseits werden immer wieder entscheidende Ereignisse aus früheren Episoden aufgegriffen, Stränge so sinnstiftend wie verstörend verknüpft. Wenn etwa hinter der Nebelwand die Vergangenheit Karins aufscheint, die wenige Monate nach dem Bootsunfall ihren Mann Jürgen im Affekt erschoss.

Fazit: Ein hochatmosphärisches, psychologisch stimmiges Krimi-Drama. „Usedom 5 – Trugspur“ folgt in einer Woche.

K Donnerstag, 19. Oktober, 20.15 Uhr, in der ARD