Berlin. Unter „#MeToo“ berichten Frauen, Opfer von Sexismus und Übergriffen geworden zu sein. Ein Alltagsphänomen, sagt Maren Kroymann.

Schauspielerin Maren Kroymann prangert Sexismus und Übergriffe als Alltagsphänomen mit System an. Frauen seien zu oft erpressbar und abhängig von Männern. Sie fordert im Interview mehr Transparenz und alle Frauen auf, jetzt aufzustehen.

Frau Kroymann, sind Übergriffe gegen Frauen nur ein Problem im Showbusiness?

Maren Kroymann: Nein, auf keinen Fall. Im Schauspiel entsteht aber durch die Art, wie man arbeitet, schnell eine große Nähe. Das erfordert eine gewisse Vertrautheit. In allen Bereichen der Branche ist das so. In einer lockeren Situation wird man schneller Opfer von Übergriffen, weil die Grenzen zwischen Privatleben und Arbeit verschwimmen.

Viel schlimmer ist aber das Abhängigkeitsverhältnis, in dem man als junge Schauspielerin steht. Auf der einen Seite ist da ein scheinbar mächtiger Regisseur oder Produzent, auf der anderen Seite eine Person, die ganz am Anfang ihrer Karriere steht. Entscheidend ist das Ungleichgewicht von Macht und mangelndem Selbstbewusstsein. Deswegen sind die Betroffenen, die bei #MeToo mitmachen, so wahnsinnig mutig. Das hat meinen tiefsten Respekt.

Wie bewerten Sie die Wirkung der #MeToo-Kampagne?

Kroymann: Es gibt so viele Frauen, die für Übergriffe dieser Art immer noch nicht sensibilisiert sind. Durch #MeToo fällt vielen Frauen auf, dass sie selbst davon betroffen sind. Das muss nicht unbedingt gleich ein sexualisierter Übergriff sein. Es gibt genug Männer, die Frauen einfach unverschämt, feindselig oder respektlos gegenüber treten. Das sind Alltagssituationen, die jede Frau fast täglich erlebt.

Was sind das für Situationen?

Kroymann: Oft scheinbar harmlose. Eine lange Umarmung oder ein Küsschen sind ja erstmal keine sexuellen Übergriffe, aber es ist ein Spielen mit der Nähe. Der Mann ist oft derjenige, der zum Beispiel die Länge der Berührung vorgibt. Als „gut erzogene Töchter“ haben manche Frauen dann nicht gelernt, sich mit Entschiedenheit dagegen zu wehren. Damit wird klar: Es ist ein strukturelles Problem. Die Amerikaner haben einen Mann zum Präsidenten gemacht, der gesagt hat, es ist okay eine Frau zwischen die Beine zu fassen, wenn man Macht hat. Das zeigt, es handelt sich um keinen Einzelfall.

Vor vier Jahren ging ein ähnlicher Aufruf mit #aufschrei durch die sozialen Netzwerke. Haben Sie das Gefühl, dass sich dadurch die Situation für Frauen verbessert hat?

Kroymann: #aufschrei hat strukturelle Diskriminierung endlich ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Die tatsächlich etwas unverhältnismäßige Reaktion auf die Brüderle Aussage zeigt doch, dass da etwas jahrelang unterdrückt worden ist. #MeToo stammt zwar aus den USA, knüpft aber an #aufschrei an.

Warum haben sich bisher so wenig deutsche Prominente geäußert?

Kroymann: Die ganze Affäre Weinstein wird in Deutschland mit auffälliger Zurückhaltung behandelt, auch von mächtigen Frauen und Männern aus der Branche. Das wundert mich.

Ist die Situation für Frauen in Deutschland besser?

Kroymann: Sicher gibt es kein Pendant zu Weinstein, aber ich erkenne die Strukturen trotzdem wieder. Das wissen auch alle Schauspielerinnen. Es gibt mehr als genug cholerische Regisseure, die mit besonderer Vorliebe Frauen fertig gemacht haben, um sie danach wieder „seelisch aufzurichten“. Das geschah auch durch Körperkontakt.

Welche gesellschaftlichen Schritte sind notwendig, um sexuelle Belästigung zu bekämpfen?

Kroymann: Frauen müssen gestützt werden. Es sollte eine zentrale Stelle geben, wo sich Frauen hinwenden können, wo ihnen geglaubt wird und wo sie in geschützter Weise berichten können.

Dann muss natürlich strukturelle Ungerechtigkeit ein Ende haben. Das ist der Nährboden für Missbrauchssituationen. Eine alleinerziehende Mutter in einer prekären Situation ist leichter erpressbar. Die soziale Stellung der Frau muss sich deswegen dringend ändern und das fängt bei Bezahlung an. Außerdem würde ich gerne mehr Frauen in Führungspositionen zu sehen.

Für das Schauspiel speziell wünsche ich mir, dass endlich Schluss ist mit der „Ich gebe mein Leben für die Kunst“-Ideologie. Da wird propagiert, dass man für den Job „brennen“ muss und dass man als Schauspieler „gebrochen“ werden muss, um eine gute Arbeit zu machen. Das finde ich grauenvoll.

Kritiker sagen, dass #MeToo nur ein Internethype von Frauen für Frauen ist. Was würden Sie darauf erwidern?

Kroymann: Männer belästigen Frauen, Männer missbrauchen Frauen und es wird gesagt, es ist ein Frauenthema? Hallo?! Männer tun es, Frauen erleiden es und es soll ein Frauenthema sein? Wo sind wir?! Es ist ein Gesellschaftsthema. Es ist ein Menschenthema!

Inwieweit muss sich die Auseinandersetzung zu sexuellen Übergriffen ändern?

Kroymann: Erstmal muss als Übergriff gewertet werden, was ein Übergriff ist. Außerdem brauchen die Frauen, die das erleben, unsere bedingungslose Solidarität. Ich möchte den betroffenen Frauen sagen: Auch ihr habt Macht. Auch wenn es euch nicht so vorkommt. Ihr könnt eine Entscheidung fällen und könnt so eine Situation beenden. Damit rettet ihr vielleicht nicht euren Job, aber eure Selbstachtung. Wenn es jetzt schon entsprechende Hilfe – sowas wie einen Notruf – geben würde, dann wäre diese Macht uns allen greifbarer.