Berlin. Sandra Maischberger hat Martin Schulz zum direkten Gespräch geladen. Dabei wurde es persönlich. Was störten waren aber andere Gäste.

Der Start verläuft gleich ein wenig stolpernd. Sandra Maischberger versucht es bei ihrem Ehrengast Martin Schulz mit dem Lieblingsthema der Deutschen: „Lassen Sie uns über Geld reden. Es heißt ja, die SPD kann mit Geld nicht umgehen.“ Wie das bei ihm persönlich sei, will Maischberger von dem SPD-Kanzlerkandidaten wissen.

Schulz – ein Mann mit Schwäche für Ferraris und Zigarren? „Ich gebe das meiste Geld für Bücher aus.“ Er habe diesbezüglich keine Laster, auch keine schnellen Autos. „Ich fahre einen Volvo und ich rase nicht.“ Die Chemie zwischen Schulz und der Moderatorin stimmt zu Beginn nicht, Maischbergers Gast wirkt regelrecht schlecht gelaunt.

Maischberger und Schulz spielen Talkshow-Bingo

Und natürlich ist die Frage der Moderatorin nach dem Geld nur eine Vorlage. Eigentlich will sie Schulz zu einer Aussage über die Fairness der Gehälter von Spitzenpolitikern bewegen, das gehört schließlich zum großen Thema des SPD-Wahlkampfes: Gerechtigkeit. Wer bei dieser Sendung im Übrigen Bingo spielen wollte, konnte neben „Gerechtigkeit“ auch noch auf genügend „Sinnvolles“ und „Konkretes“ bauen.

Martin Schulz ehrt Can Dündar

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    Schulz’ Vorgänger Peer Steinbrück war vor vier Jahren heftig über seinen Kommentar zum niedrigen Gehalt der Kanzlerin gestürzt. Darauf lässt sich Schulz nicht ein: „Ich gehöre nicht zu jenen Leuten, die Bezahlung zum Kriterium für politisches Engagement machen.“ Aber man müsse frei von äußerlichem Druck und in Unabhängigkeit arbeiten können. Das sei gegeben, findet Schulz. Aber: „Wenn Vorstandsmitglieder das 100-Fache von normalen Arbeitnehmern im Betrieb verdienen, ist das nicht mehr gerecht.“

    Maischberger lässt das Adrenalin steigen

    Dann wird es bizarr. Er werde nicht müde, über seine Themen zu sprechen, sagt Schulz. Und schiebt nach: Der Adrenalinpegel steige bei kritischen Fragen einer Journalistin vom Formate Maischbergers auch gehörig. Maischberger: „Das hab ich schon gehört, dass sie immer Komplimente verteilen. Aber das beeindruckt mich überhaupt nicht.“

    Die Karriere des Martin Schulz

    Martin Schulz steht für das Projekt Europa. Das Foto zeigt Schulz, damals EU-Parlamentspräsident, an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt.
    Martin Schulz steht für das Projekt Europa. Das Foto zeigt Schulz, damals EU-Parlamentspräsident, an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt. © REUTERS | REUTERS / NTB SCANPIX
    Europa ist für den Mann aus Würselen bei Aachen ein Herzensanliegen.
    Europa ist für den Mann aus Würselen bei Aachen ein Herzensanliegen. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Stephanie Lecocq
    Das „Projekt Europa“ begleitet Schulz nun von Berlin aus.
    Das „Projekt Europa“ begleitet Schulz nun von Berlin aus. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Zusammen mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker (l.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU.
    Zusammen mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker (l.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU. © REUTERS | REUTERS / YVES HERMAN
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“.
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“. © imago/Agentur Baganz | imago stock&people
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London.
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London. © REUTERS | REUTERS / STEFAN WERMUTH
    Im September 2015 empfing Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg.
    Im September 2015 empfing Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – und wurde natürlich begrüßt vom damaligen Hausherrn Martin Schulz.
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – und wurde natürlich begrüßt vom damaligen Hausherrn Martin Schulz. © Agenzia Romano Siciliani/EU | Patrick Hertzog
    Im November 2016 kündigte die SPD Schulz’ Wechsel von Brüssel nach Berlin an.
    Im November 2016 kündigte die SPD Schulz’ Wechsel von Brüssel nach Berlin an. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Das weckte in seiner Partei große Hoffnungen.
    Das weckte in seiner Partei große Hoffnungen. © dpa | Kay Nietfeld
    Nachdem Sigmar Gabriel seinen Rücktritt als SPD-Chef erklärt hatte, ...
    Nachdem Sigmar Gabriel seinen Rücktritt als SPD-Chef erklärt hatte, ... © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    ... ging Schulz ins Rennen als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2017.
    ... ging Schulz ins Rennen als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2017. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
    Trotzdem konnte Schulz im Wahlkampf nicht entscheidend punkten – so wie beim TV-Duell mit Kanzlerin Angela Merkel am 3. September in Berlin.
    Trotzdem konnte Schulz im Wahlkampf nicht entscheidend punkten – so wie beim TV-Duell mit Kanzlerin Angela Merkel am 3. September in Berlin. © dpa | Dpa
    Die Hoffnungen der Partei wurden enttäuscht. Die SPD fuhr ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein.
    Die Hoffnungen der Partei wurden enttäuscht. Die SPD fuhr ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein. © dpa | Wolfgang Kumm
    Die Parteispitze verständigte sich darauf, mit dem unterlegenen SPD-Kanzlerkandidat Schulz als Parteichef in die Opposition zu gehen und nicht mit der Union über eine neue Koalition zu verhandeln.
    Die Parteispitze verständigte sich darauf, mit dem unterlegenen SPD-Kanzlerkandidat Schulz als Parteichef in die Opposition zu gehen und nicht mit der Union über eine neue Koalition zu verhandeln. © dpa | Christian Charisius
    Schulz hatte sich im Wahlkampf immer wieder zuversichtlich gezeigt. Die volle Unterstützung hatte er von Ehefrau Inge.
    Schulz hatte sich im Wahlkampf immer wieder zuversichtlich gezeigt. Die volle Unterstützung hatte er von Ehefrau Inge. © Getty Images | Andreas Rentz
    Schulz in ungewöhnlichem Outfit: Auf einem seiner Wahlkampftermine besichtigte Schulz in Eckernförde (Schleswig-Holstein) eine Fischräucherei – und musste deshalb einen Hygieneanzug tragen.
    Schulz in ungewöhnlichem Outfit: Auf einem seiner Wahlkampftermine besichtigte Schulz in Eckernförde (Schleswig-Holstein) eine Fischräucherei – und musste deshalb einen Hygieneanzug tragen. © dpa | Carsten Rehder
    2017 war er zur Bundestagswahl angetreten, um Bundeskanzler zu werden. Doch nach der Wahl und den Koalitionsverhandlungen stand fest: Schulz schaffte den Wandel nicht.
    2017 war er zur Bundestagswahl angetreten, um Bundeskanzler zu werden. Doch nach der Wahl und den Koalitionsverhandlungen stand fest: Schulz schaffte den Wandel nicht. © dpa | Kay Nietfeld
    Am 13. Februar verkündete Schulz seinen Rücktritt. Olaf Scholz folgte als kommissarischer SPD-Chef.
    Am 13. Februar verkündete Schulz seinen Rücktritt. Olaf Scholz folgte als kommissarischer SPD-Chef. © Getty Images | Sean Gallup
    Was Schulz blieb, waren Hohn und Spott – wie hier beim Düsseldorfer Rosenmontagszug.
    Was Schulz blieb, waren Hohn und Spott – wie hier beim Düsseldorfer Rosenmontagszug. © dpa | Ina Fassbender
    Kein SPD-Chef, kein Außenminister – Marin Schulz blieb nur der Abgang.
    Kein SPD-Chef, kein Außenminister – Marin Schulz blieb nur der Abgang. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Und tschüss.
    Und tschüss. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
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    Schulz reagiert beleidigt. „Das finde ich nun schade, dass sie das so wahrnehmen.“ Und so geht das dann eine Weile hin und her. In Deutschland fehlt eindeutig das Protokoll, wie man charmant Komplimente annimmt oder verweigert. Klar, Maischberger will sich nicht einwickeln lassen aber das wäre weniger ungelenk gegangen.

    Schulz’ Stärke: das Persönliche

    Und Schulz? Der ist immer dann am stärksten, wenn er persönlich wird. Etwa, wenn er von der zweiten Chance spricht, die jeder Mensch seiner Meinung nach verdient hat. Selbige hatte er als 24-Jähriger gebraucht, als er weg vom Alkohol kommen und sein Leben endlich in die Hand nehmen wollte.

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    In der Schule war Schulz kläglich gescheitert (“Überall, wo ich konkret werden sollte, war ich schlecht.”) und die Profifußballkarriere stellte sich ebenfalls als kein belastbares Zukunftsmodell heraus. Das reicht für einen 19-Jährigen aus, um in Lethargie, Zukunftsunlust und schließlich im Alkohol zu versinken.

    Die zweite Chance als politisches Konzept

    Dann irgendwann nach durchzechter Nacht die Einsicht: „Entweder du gehst zu Grunde oder du hörst auf.“ Schulz entschied sich für Letzteres und fand zurück ins Leben. Seine Haltung: „Ich bin ein großer Fan der zweiten Chance“ ist deshalb glaubwürdig, weil sie aus tiefer Überzeugung und eigener Erfahrung rührt. Diese Episode und seine Offenheit mit dem Thema gibt Schulz einigen Tiefgang, den so manch anderer glattgebügelter Politiker mit perfekt inszeniertem Lebenslauf vermissen lässt. Schulz weiß um diesen Vorteil der Authentizität und geht bewusst in die Offensive.

    Beim bereits häufig getätigten Vorwurf, der SPD-Kandidat lasse es an Konkretem vermissen, wird derselbe dann ein wenig schnippisch. Brav zählt er auf, wo das letzte Woche veröffentlichte SPD-Programm bereits sehr konkret sei: Familienarbeitszeit, Arbeitslosengeld, neue Kita-Konzepte und immerhin erste Ideen zu Renten und Steuern.

    Gästeauftritte stören die Stimmung

    Ursula Weidenfeld brachte Martin Schulz in Bedrängnis.
    Ursula Weidenfeld brachte Martin Schulz in Bedrängnis. © WDR | Grande Fotografie

    An letzterem Thema kauen er und Maischberger dann noch einige Zeit herum, auch mit drei Gästen, die stets für wenige Minuten aufs Podium gesetzt werden. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar („Martin und ich duzen uns“), der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke („Thema Gerechtigkeit ist richtig gesetzt, es fehlt aber an Konkretem“) und die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld treten auf. Weidenfeld lässt Schulz gehörig auflaufen, als sie ihn nach seiner Haltung zur gemeinschaftlichen Verschuldung in der Eurozone fragt.

    Der Maischberger-Redaktion war offensichtlich an viel Bewegung auf dem Podium gelegen. Man hätte sich Schulz und Maischberger aber durchaus alleine vorstellen können, ohne die Auftritte der Gäste, von denen höchstens mit Frau Weidenfeld eine echte Auseinandersetzung stattfand. Dafür mit etwas besserer Stimmung.

    Die komplette Sendung sehen Sie in der ARD-Mediathek.