Berlin. Der türkische Wahlkampf hat mit Wucht Deutschland erreicht. Spaltet Erdoğan das Land?, wollte Maybrit Illner von ihren Gästen wissen.

Am 16. April stimmen die Türken über die Einführung eines Präsidialsystems ab. Soll die Macht von Präsident Recep Tayyip Erdoğan massiv ausweitet werden? Über diese wegweisende Frage werden auch in Deutschland 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken abstimmen können, was die Bundesrepublik zum viertgrößten türkischen Wahlbezirk macht.

Die Größenordnung erklärt, warum Deutschland für Erdoğan und seine AKP so wichtig ist. Zumal längst nicht als ausgemacht gilt, dass sich das „Ja“ beim Referendum durchsetzen wird. Sie erklärt auch, warum der türkische Wahlkampf hierzulande angekommen ist – und in hohem Maße polarisiert hat. „Spaltet Erdoğan das Land?“, fragte passend dazu am Donnerstagabend Maybrit Illner.

Die zentrale Frage war schnell beantwortet

Franziska Giffey (SPD) ist seit 2015 Bezirksbürgermeisterin des Berliner Stadtteils Neukölln.
Franziska Giffey (SPD) ist seit 2015 Bezirksbürgermeisterin des Berliner Stadtteils Neukölln. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Diese Leitfrage wurde von nahezu allen Gästen bejaht. Die türkischstämmige Journalistin Canan Topçu etwa sagte, dass in der türkischen Community gute Freundschaften an dem Streit um das Referendum zerbrochen seien. „Viele Menschen sprechen nicht mehr über Politik“, berichtete auch die Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) aus ihrem Berliner Bezirk.

Grünen-Chef Cem Özdemir warnte, dass das Zusammenleben von Deutschen und Türken riskiert werde. Und selbst Mustafa Yeneroğlu, in Deutschland aufgewachsener AKP-Politiker, befand: „Es gibt eine Rhetorik, die uns allen wehtut. Jeder muss abrüsten.“

Woher kommt die Sympathie für Erdoğan?

Mustafa Yeneroğlu, Abgeordneter der Türkischen Nationalversammlung für die AKP.
Mustafa Yeneroğlu, Abgeordneter der Türkischen Nationalversammlung für die AKP. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Doch warum ist ein Teil der Türken in Deutschland empfänglich für Erdoğans Botschaft? Darüber gingen die Meinungen in der Runde weit auseinander. Yeneroğlu warf Deutschland vor, die Integration durch institutionellen Rassismus und eine grundsätzliche Ablehnung des Islam zu erschweren. „Ich war 20 Jahre Mitglied in der SPD, hätte als frommer Muslim aber nie aktiv Politik in Deutschland machen können“, rechtfertigte der AKP-Politiker seine Rückkehr in die Türkei.

Özdemir identifizierte dagegen das Fernsehen als ein Problem. „Praktisch alle türkischen Fernsehsender sind gleichgeschaltet“, sagte der Grünen-Chef. Allerdings würden gerade diese Sender von vielen hier lebenden Türken eingeschaltet. Dort werde 24 Stunden am Stück erzählt, dass Deutschland der Feind sei. „Das ist für die Integration nicht förderlich“, sagte Özdemir.

Ein Erziehungswissenschaftler rettet die Diskussion

Paul Ziemiak (CDU) ist seit 2014 Bundesvorsitzender der Jungen Union.
Paul Ziemiak (CDU) ist seit 2014 Bundesvorsitzender der Jungen Union. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Spätestens an diesem Punkt der Diskussion wurde deutlich, dass das Verhältnis der in Deutschland lebenden Türken zu Erdoğan viel mit dem Zugehörigkeitsgefühl zu tun haben könnte. Bürgermeisterin Giffey kritisierte, dass in Deutschland noch immer zu sehr auf die Herkunft geschaut werde. Der CDU-Politiker Paul Ziemiak forderte dagegen, dass Imame Jugendliche auf deutsch betreuen sollten, um eine bessere Integration zu ermöglichen. Und Journalistin Topçu rief die Deutschtürken dazu auf, sich stärker zu Deutschland und weniger zur Türkei zu bekennen.

In der Analyse war die Diskussion auf dieser Grundlage zwar bemüht, aber nicht sonderlich erhellend. Besser wurde es, als die Gastgeberin kurzzeitig Ahmet Toprak in die Runde holte. „Von den 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken haben bei der letzten Wahl 40 Prozent gewählt. Von diesen Wählern stimmten 49,6 Prozent für die AKP“, erläuterte der Professor für Erziehungswissenschaften zunächst die harten Zahlen.

Das Referendum dürfte die Spaltung verstärken

Canan Topcu, Autorin und Journalistin.
Canan Topcu, Autorin und Journalistin. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Doch warum stimmten immerhin knapp 300.000 Menschen für Erdoğan? Bei den Älteren sei dies häufig auf mangelnde politische Bildung zurückzuführen, berichtete Toprak aus seiner Forschung. Die Jüngeren seien dagegen häufig anders motiviert: „Es geht ihnen gar nicht um seine Politik, sondern um Protest – weil alle anderen gegen Erdoğan sind“, sagte Toprak. Bestärkt würden diese Menschen dadurch, dass die türkische Regierung beständig an ihrem Opferbild arbeite, mit dem sie von den wahren Problemen im Land ablenke.

Das Referendum wird die Spaltung, ganz gleich wie es ausgeht, wahrscheinlich noch verstärken. Was also tun? Auch bei dieser Frage hatte Toprak die plausibelste Antwort: Im Dialog bleiben. „Merkel sollte sagen, dass sie die Kanzlerin von allen ist – und dass sie sich auch um die Belange der Türkeistämmigen kümmert.“

Zur Ausgabe von „Maybrit Illner“ in der ZDF-Mediathek