Hamburg. Der „Tatort“-Fall mit Ulrike Folkerts in Ludwigshafen setzt auf Improvisation. Ein gewagtes Experiment ohne vorgeschriebene Dialoge.

Auf Lena Odenthal aus Ludwigshafen, die dienstälteste „Tatort“-Kommissarin des Landes, sind schon viele Abgesänge verfasst worden – und das mit Recht. Denn die Kriminalfälle des Südwestrundfunks erwiesen sich in den letzten Jahren oft als zäh, die Figuren schienen sich lustlos durch die Handlung zu quälen. Lena Odenthals psychische Krisen? Absehbar. Koppers Italiensehnsüchte? Nah am Klischee. Die Pedanterien der neuen LKA-Ermittlerin Johanna Stern? Oft etwas aufgesetzt.

Aber diesmal ist alles anders. Es ist, als hätte jemand ein Fenster aufgestoßen: so frisch, so echt und so unterhaltsam haben wir das Ermittlerteam seit Jahren nicht erlebt. Dieser „Tatort“ zählt mit Sicherheit zu den ungewöhnlichsten des Jahres. Das liegt vor allem an der experimentellen Methode des Regisseurs Axel Ranisch, die den Schauspielern einiges abverlangt hat.

Tatort in Ludwigshafen: „Babbeldasch“

Der Ludwigshafener Tatort „Babbeldasch“ dreht sich ganz ums Amateurtheater. Die Ermittler versuchen, den Mörder einer Theater-Chefin aufzudecken.
Der Ludwigshafener Tatort „Babbeldasch“ dreht sich ganz ums Amateurtheater. Die Ermittler versuchen, den Mörder einer Theater-Chefin aufzudecken. © SWR | Martin Furch
Im Zentrum steht das Theater „Babbeldasch“, dessen Patronin ermordet wurde. Als Kulisse dient das Ludwigshafener Theater „Hemshofschachtel“. Der Clou: Dessen Laiendarsteller mimen auch im Film die Amateurschauspieler.
Im Zentrum steht das Theater „Babbeldasch“, dessen Patronin ermordet wurde. Als Kulisse dient das Ludwigshafener Theater „Hemshofschachtel“. Der Clou: Dessen Laiendarsteller mimen auch im Film die Amateurschauspieler. © SWR | Martin Furch
Zu Beginn der Folge begleitet Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts, Mitte) ihren Kollegen Peter Becker (Peter Espeloer, rechts) zu einer Premiere ins „Babbeldasch“. Beim Empfang vor der Aufführung wird Theaterleiterin Sophie Fettèr (Malou Mott, links) auf sie aufmerksam.
Zu Beginn der Folge begleitet Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts, Mitte) ihren Kollegen Peter Becker (Peter Espeloer, rechts) zu einer Premiere ins „Babbeldasch“. Beim Empfang vor der Aufführung wird Theaterleiterin Sophie Fettèr (Malou Mott, links) auf sie aufmerksam. © SWR | Martin Furch
Doch noch während der Vorstellung stirbt Sophie Fettér in ihrer Garderobe. Todesursache: Eine allergische Reaktion auf ein Mohncroissant. Doch es war kein Unfall – sagt zumindest der Geist der Theaterleiterin, der Odenthal im Traum erscheint. Die Tote mahnt die Kommissarin, zu ermitteln.
Doch noch während der Vorstellung stirbt Sophie Fettér in ihrer Garderobe. Todesursache: Eine allergische Reaktion auf ein Mohncroissant. Doch es war kein Unfall – sagt zumindest der Geist der Theaterleiterin, der Odenthal im Traum erscheint. Die Tote mahnt die Kommissarin, zu ermitteln. © SWR | Martin Furch
Odenthal geht auf Tätersuche – jedoch nicht offiziell. Als Privatperson kommt sie in die Bäckerei, um von Manfred Oelenschläger (Gerd Rohrbacher) mehr über die mit Mohn versetzten Croissants zu erfahren. Sie stammen aus seiner Backstube.
Odenthal geht auf Tätersuche – jedoch nicht offiziell. Als Privatperson kommt sie in die Bäckerei, um von Manfred Oelenschläger (Gerd Rohrbacher) mehr über die mit Mohn versetzten Croissants zu erfahren. Sie stammen aus seiner Backstube. © SWR | Martin Furch
Der Bäcker, der selbst in der Theatergruppe mitwirkt, macht sich wegen Fettérs Tod Vorwürfe und versucht, sich das Leben zu nehmen. Doch die Tochter der Toten, Sarah Fettér (Petra Mott), findet ihn gerade noch rechtzeitig in seiner Backstube.
Der Bäcker, der selbst in der Theatergruppe mitwirkt, macht sich wegen Fettérs Tod Vorwürfe und versucht, sich das Leben zu nehmen. Doch die Tochter der Toten, Sarah Fettér (Petra Mott), findet ihn gerade noch rechtzeitig in seiner Backstube. © SWR | Martin Furch
Nach der Beerdigung des Opfers übergibt Theater-Vermieter Bollmann (Harald Dimmler) Fettèr Beileidsbekundungen überbringt. Das Ensemble findet sie allerdings nicht sehr glaubhaft .
Nach der Beerdigung des Opfers übergibt Theater-Vermieter Bollmann (Harald Dimmler) Fettèr Beileidsbekundungen überbringt. Das Ensemble findet sie allerdings nicht sehr glaubhaft . © SWR | Martin Furch
Gegenüber Odenthal sagt er offen, dass er das Theater so schnell wie möglich aus seinem Gebäude haben möchte. Für den Tatabend aber hat er ein Alibi.
Gegenüber Odenthal sagt er offen, dass er das Theater so schnell wie möglich aus seinem Gebäude haben möchte. Für den Tatabend aber hat er ein Alibi. © SWR | Martin Furch
Odenthal kommt bei den Ermittlungen nicht voran. Da hilft es auch nicht, dass die Tote der Kommissarin immer wieder im Traum erscheint, um zu helfen. Ihr grandioser Tipp: Verdächtig sind alle Ensemblemitglieder.
Odenthal kommt bei den Ermittlungen nicht voran. Da hilft es auch nicht, dass die Tote der Kommissarin immer wieder im Traum erscheint, um zu helfen. Ihr grandioser Tipp: Verdächtig sind alle Ensemblemitglieder. © SWR | Martin Furch
Zwischendurch bereitet Mario Kopper (Andreas Hoppe) für die Kollegen ein Essen zu. Kurz vor seinem Italienurlaub möchte er ihnen gern etwas Persönliches erzählen.
Zwischendurch bereitet Mario Kopper (Andreas Hoppe) für die Kollegen ein Essen zu. Kurz vor seinem Italienurlaub möchte er ihnen gern etwas Persönliches erzählen. © SWR | Martin Furch
Um einen besseren Einblick in das Theater zu bekommen, tritt Odenthal ins Ensemble ein. Ohne jedoch zu sagen, dass sie Polizistin ist.
Um einen besseren Einblick in das Theater zu bekommen, tritt Odenthal ins Ensemble ein. Ohne jedoch zu sagen, dass sie Polizistin ist. © SWR | Martin Furch
Die offiziellen Ermittlungen führt indes ihre Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter).
Die offiziellen Ermittlungen führt indes ihre Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter). © SWR | Martin Furch
Als sie Odenthal im Theater begegnet ist sie ziemlich erstaunt. Abgesprochen war das nicht.
Als sie Odenthal im Theater begegnet ist sie ziemlich erstaunt. Abgesprochen war das nicht. © SWR | Martin Furch
Damit Odenthals Tarnung nicht auffliegt, versteckt sie sich im Büro, während Stern das Ensemble verhört.
Damit Odenthals Tarnung nicht auffliegt, versteckt sie sich im Büro, während Stern das Ensemble verhört. © SWR | Martin Furch
Wieder ein kurioser Traum: In Realität ist Kopper im Italienurlaub, aber in Odenthals Träumen hilft er bei den Ermittlungen.
Wieder ein kurioser Traum: In Realität ist Kopper im Italienurlaub, aber in Odenthals Träumen hilft er bei den Ermittlungen. © SWR | Martin Furch
Hat vielleicht Sophie Fettérs Lebensgefährte Sascha Werner (Andreas Assanoff) etwas mit ihrem Tod zu tun?
Hat vielleicht Sophie Fettérs Lebensgefährte Sascha Werner (Andreas Assanoff) etwas mit ihrem Tod zu tun? © SWR | Martin Furch
Stern bittet ihn erneut zum Verhör.
Stern bittet ihn erneut zum Verhör. © SWR | Martin Furch
Während Stern offiziell ermittelt, passt Odenthal auf ihre kranken Töchter auf. Beim Treffen auf dem Spielplatz tauschen sie Ermittlungsergebnisse aus.
Während Stern offiziell ermittelt, passt Odenthal auf ihre kranken Töchter auf. Beim Treffen auf dem Spielplatz tauschen sie Ermittlungsergebnisse aus. © SWR | Martin Furch
Axel Ranisch (Mitte) hat die Tatort-Folge gedreht. Das besondere: Alle Szenen sind von den Schauspielern improvisiert. Bei Folkerts und Ranisch sitzt Annalena Schmidt, die Odenthals Sekretärin Edith Keller spielt.
Axel Ranisch (Mitte) hat die Tatort-Folge gedreht. Das besondere: Alle Szenen sind von den Schauspielern improvisiert. Bei Folkerts und Ranisch sitzt Annalena Schmidt, die Odenthals Sekretärin Edith Keller spielt. © SWR | Martin Furch
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Skizze statt Drehbuch

Dabei klingt die Handlung erst einmal nach Konfektionsware: Ein Kollege nimmt Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) mit in das Mundart-Theater „Babbeldasch“, mit dessen rustikalem Humor sie entschieden fremdelt. Aber dann wird die Vorstellung unterbrochen, weil die Hauptdarstellerin und Theaterleiterin Sophie Fetter (Malou Mott) tot hinter der Bühne aufgefunden wird. Sie hat einen allergischen Schock erlitten, nachdem sie ein Croissant mit Mohnmasse gegessen hat.

Anfangs ist nicht klar, ob es sich um einen Unfall handelt oder ob jemand den Mohn in das Croissant injiziert hat. Aber bald erscheint Sophie Fetter in Lena Odenthals Träumen. Dort erklärt sie der Ermittlerin mit weit aufgerissenen Augen, es habe sich ein Verbrechen ereignet. Odenthal beginnt undercover in die Welt des Theaters einzutauchen, wo Intrigen und Abneigungen ebenso gepflegt werden wie seltsame Liebesverhältnisse.

Mundart-Theater des Krimis

Der Witz dieses „Tatorts“ liegt nun in der Inszenierung dieser Geschichte. Axel Ranisch, erst 33 Jahre alt, hat sich seinen Namen als große Regie-Nachwuchshoffnung gemacht, weil er die Schauspieler in seinen Filmen improvisieren lässt. Das Drehbuch gibt keine Dialoge vor, sondern skizziert nur grob die Szenen und was darin geschehen soll.

Zudem wird chronologisch gedreht – mit der Folge, dass Schauspielerin Ulrike Folkerts während der Dreharbeiten lange Zeit den Mörder gar nicht kannte. Das komplette Mundart-Theater des Krimis ist außerdem mit Fernseh-Laien besetzt worden – der Belegschaft des Theaters „Hemshofschachtel“ in Ludwigshafen.

Verwackelte Handkamera

Das alles hätte als Experiment furchtbar schiefgehen können – ist es aber nicht. Vor Stefan Sommers leicht verwackelter Handkamera erwachen Figuren, die man längst für erstarrt und abgehalftert hielt, zu neuem Leben.

Für den Mut dazu muss man auch der SWR-Fernsehspielchefin Martina Zöllner gratulieren, die im Sommer zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) wechseln wird.

Fazit: So authentisch, so neu und direkt hat der „Tatort“ aus Ludwigshafen eine Zukunft.

ARD, Sonntag, 26. Februar, um 20.15 Uhr