Im Ludwigshafener „Tatort“ improvisieren die Schauspieler
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Von Felix Müller
Hamburg. Der „Tatort“-Fall mit Ulrike Folkerts in Ludwigshafen setzt auf Improvisation. Ein gewagtes Experiment ohne vorgeschriebene Dialoge.
Auf Lena Odenthal aus Ludwigshafen, die dienstälteste „Tatort“-Kommissarin des Landes, sind schon viele Abgesänge verfasst worden – und das mit Recht. Denn die Kriminalfälle des Südwestrundfunks erwiesen sich in den letzten Jahren oft als zäh, die Figuren schienen sich lustlos durch die Handlung zu quälen. Lena Odenthals psychische Krisen? Absehbar. Koppers Italiensehnsüchte? Nah am Klischee. Die Pedanterien der neuen LKA-Ermittlerin Johanna Stern? Oft etwas aufgesetzt.
Aber diesmal ist alles anders. Es ist, als hätte jemand ein Fenster aufgestoßen: so frisch, so echt und so unterhaltsam haben wir das Ermittlerteam seit Jahren nicht erlebt. Dieser „Tatort“ zählt mit Sicherheit zu den ungewöhnlichsten des Jahres. Das liegt vor allem an der experimentellen Methode des Regisseurs Axel Ranisch, die den Schauspielern einiges abverlangt hat.
Tatort in Ludwigshafen: „Babbeldasch“
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Skizze statt Drehbuch
Dabei klingt die Handlung erst einmal nach Konfektionsware: Ein Kollege nimmt Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) mit in das Mundart-Theater „Babbeldasch“, mit dessen rustikalem Humor sie entschieden fremdelt. Aber dann wird die Vorstellung unterbrochen, weil die Hauptdarstellerin und Theaterleiterin Sophie Fetter (Malou Mott) tot hinter der Bühne aufgefunden wird. Sie hat einen allergischen Schock erlitten, nachdem sie ein Croissant mit Mohnmasse gegessen hat.
Anfangs ist nicht klar, ob es sich um einen Unfall handelt oder ob jemand den Mohn in das Croissant injiziert hat. Aber bald erscheint Sophie Fetter in Lena Odenthals Träumen. Dort erklärt sie der Ermittlerin mit weit aufgerissenen Augen, es habe sich ein Verbrechen ereignet. Odenthal beginnt undercover in die Welt des Theaters einzutauchen, wo Intrigen und Abneigungen ebenso gepflegt werden wie seltsame Liebesverhältnisse.
Mundart-Theater des Krimis
Der Witz dieses „Tatorts“ liegt nun in der Inszenierung dieser Geschichte. Axel Ranisch, erst 33 Jahre alt, hat sich seinen Namen als große Regie-Nachwuchshoffnung gemacht, weil er die Schauspieler in seinen Filmen improvisieren lässt. Das Drehbuch gibt keine Dialoge vor, sondern skizziert nur grob die Szenen und was darin geschehen soll.
Zudem wird chronologisch gedreht – mit der Folge, dass Schauspielerin Ulrike Folkerts während der Dreharbeiten lange Zeit den Mörder gar nicht kannte. Das komplette Mundart-Theater des Krimis ist außerdem mit Fernseh-Laien besetzt worden – der Belegschaft des Theaters „Hemshofschachtel“ in Ludwigshafen.
Verwackelte Handkamera
Das alles hätte als Experiment furchtbar schiefgehen können – ist es aber nicht. Vor Stefan Sommers leicht verwackelter Handkamera erwachen Figuren, die man längst für erstarrt und abgehalftert hielt, zu neuem Leben.
Für den Mut dazu muss man auch der SWR-Fernsehspielchefin Martina Zöllner gratulieren, die im Sommer zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) wechseln wird.
Fazit: So authentisch, so neu und direkt hat der „Tatort“ aus Ludwigshafen eine Zukunft.