Berlin. SPD-Mann Martin Schulz könnte Kanzlerin Merkel gefährlich werden. Kippt da etwas? Darüber sprach die Talk-Runde bei Frank Plasberg.

Woher kommt dieser Erfolg, sind die Deutschen Merkel-müde? Martin Schulz ist weiter im Aufwind und entzückt die linke SPD-Basis nun auch mit dem Vorstoß, die umstrittenen Agenda 2010 reformieren zu wollen. Seine Versprechen: Eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I, weniger befristete Arbeitsverhältnisse.

Der Kanzlerkandidat will damit Kernpunkte der Hartz-IV-Gesetze aufweichen. Auch darum drehte sich der Talk von Frank Plasberg (Titel der Sendung: „Der Alternative – wie gefährlich wird Schulz Merkel?“). Im Kern ging es bei der lebhaften Diskussion um diese Fragen.

Woher kommt der Schulz-Effekt?

Zunächst beflügelt die SPD-Basis der Reiz des Neuen. „Das reicht zunächst für eine erste Welle“, konstatierte der Journalist und Kolumnist der „Berliner Morgenpost“ Hajo Schumacher. „Er hat den großen Vorteil unbelastet zu scheinen, er ist eben nicht Merkel oder Gabriel.“

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ergriff die Chance ihren Kandidaten abzufeiern. „Alleine wir haben 1900 neue Eintritte in die Partei gehabt und einige angerufen und gefragt, warum sie eingetreten sind“. Ganz häufig nannten die Neumitglieder demzufolge den Wunsch nach einem geeinten Europa, das nicht in die alten Grenzen zurückfällt.

Kanzlerkandidat Martin Schulz (SPD).
Kanzlerkandidat Martin Schulz (SPD). © dpa | Friso Gentsch

Sehr viel kritischer auf Schulz und die SPD blickte Armutsforscher und Ex-Bundespräsidenten-Kandidat Christoph Butterwegge. „Die SPD hat lange an einer Schwäche gelitten, weil sie sich von ihren Grundwerten entfernt hat.“ Und nun komme jemand, der diese Werte verkörpere, diese 150 Jahre SPD-Geschichte. Fazit: Das Phänomen Schulz, erstmal eine Projektionsfläche.

Wie lange wird der SPD-Auftrieb andauern?

Wenig deutet derzeit darauf hin, dass der Effekt schnell wieder abschwächt. Der Hype ist riesig: In Freiburg beispielsweise gehen der Partei schon die Parteibücher aus, so dass Mitglieder sich zur Bastelstunde treffen, um neue zu basteln, wie ein launiger Einspielfilm vorführte. „Jetzt ist wieder Leben in der Bude und das ist spannend“, sagte FDP-Chef Christian Lindner. Merkel habe das Land narkotisiert. „Die SPD war über einen langen Zeitraum unterbewertet.“

Journalist Schumacher verdeutlichte, dass die Kandidatur von Schulz die CDU aus der Reserve gelockt hat: „Vor kurzem gehörte es noch zu den großen Weisheiten, dass es keine Wechselstimmung gibt und dass es im Wahlkampf vor allem um Flüchtlinge gehen wird. Da zeigt sich, wie schnell sich die Sachen drehen.“ Die neue, ostentative Geschlossenheit von Merkel und Seehofer muss da wie ein Akt der Verzweiflung wirken. Alles Zeichen dafür: Die SPD dürfte noch länger vom Schulz-Effekt profitieren.

Schulz steckt Kurs bei Arbeit und Rente ab

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    Kann die Europa-Vergangenheit Schulz nachhaltig schaden?

    Ein Dossier mit Kritik-Punkten an Schulz sorgte in den vergangenen Tagen für Wirbel. Darin heißt es zum Beispiel, dass Schulz seine Pflichten als neutraler Präsident des EU-Parlaments verletzt habe und enge Vertraute zu einflussreichen Positionen in der Parlamentsverwaltung gehoben haben soll.

    Diese Kritik äußerte vor allem Herbert Reul, Brüsseler CDU-Mann. „Er hat alles versucht rauszuholen, was rauszuholen ist“, attackierte der den SPD-Kandidaten. Und Kraft konterte treffend: „Wenn alles so schrecklich ist, warum hat Ihre Fraktion Herrn Schulz dann zwei Mal zum Präsidenten gewählt?“ Die Kritik perlt bislang am SPD-Kandidaten ab. Stärker ist die Euphorie, die er in der Bevölkerung weckt.

    Martin Schulz will Kanzler werden

    Martin Schulz ist der Kanzlerkandidat der SPD für den Bundestagswahlkampf. Er steht für das Projekt Europa. Wofür steht der SPD-Chef noch? Dieses Foto zeigt den ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt.
    Martin Schulz ist der Kanzlerkandidat der SPD für den Bundestagswahlkampf. Er steht für das Projekt Europa. Wofür steht der SPD-Chef noch? Dieses Foto zeigt den ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt. © REUTERS | REUTERS / NTB SCANPIX
    Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen.
    Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen. © dpa | Stephanie Lecocq
    Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU.
    Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU. © dpa | Axel Heimken
    SPD-Mitglied Schulz ist nach Berlin gewechselt – und hat in seiner Partei große Hoffnung geweckt.
    SPD-Mitglied Schulz ist nach Berlin gewechselt – und hat in seiner Partei große Hoffnung geweckt. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Nachdem Sigmar Gabriel seinen Rücktritt erklärt hat, ging Schulz ins Rennen für die Bundestagswahl 2017.
    Nachdem Sigmar Gabriel seinen Rücktritt erklärt hat, ging Schulz ins Rennen für die Bundestagswahl 2017. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
    In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft.
    In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft. © imago | ZUMA Press
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“.
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“. © imago | Agentur Baganz
    Im September 2015 empfing Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg.
    Im September 2015 empfing Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt vom damaligen Hausherrn Martin Schulz.
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt vom damaligen Hausherrn Martin Schulz. © REUTERS | REUTERS / POOL
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017.
    Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017. © dpa | Michael Kappeler
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London.
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London. © REUTERS | REUTERS / STEFAN WERMUTH
    Die drei von der SPD: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz.
    Die drei von der SPD: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Das „Projekt Europa“ begleitet Schulz nun von Berlin aus.
    Das „Projekt Europa“ begleitet Schulz nun von Berlin aus. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
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    Belebt Schulz die politische Kultur in Deutschland neu?

    Ja, überhaupt keine Frage. Das zeigte im Kleinen schon die Runde bei Plasberg, die leidenschaftlich stritt und analysierte. „Martin Schulz ist für viele Menschen eine Projektionsfläche“, merkte Hajo Schumacher an. Und das Vorhaben, die Agenda 2010 zurückzudrehen, treffe eben ein altes Trauma der SPD.

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      Schulz schafft offenbar neue Konturen in der Bundespolitik. Davon war auch FDP-Chef Lindner überzeugt. „Er macht klassische sozialdemokratische Politik, und seine Ideen von Umverteilung bescheren auch der FDP viele neue Beitritte.“

      Christoph Butterwegge
      Christoph Butterwegge © dpa | Dirk Borm

      Armutsforscher Butterwegge sah indes auch eine Gefahr für die SPD. „Sie muss aufpassen, dass sie nicht eine Ein-Mann-Partei wird wie die FDP“, warnte er. Hannelore Kraft konnte da nur mit dem Kopf schütteln. Dennoch das Fazit von Butterwegge: „Das politische Leben in Deutschland wird insgesamt lebendiger.“

      Sind Schulz Vorhaben zur Reform der Agenda 2010 überzeugend?

      Die Nachricht bestimmte die Schlagzeilen: Schulz will an den Hartz-Gesetzen drehen. Bisher ist die Auszahlung des Arbeitslosengeldes I zeitlich begrenzt: Junge Menschen bekommen es maximal zwölf Monate, ab dem 50. Lebensjahr beziehen es Arbeitslose 15 Monate und ab dem 58. Lebensjahr schließlich 24 Monate.

      Inwiefern Schulz das ändern will, ist noch unklar, es erfolgte nur die Absichtserklärung. Christoph Butterwegge hielt dieses Vorhaben lediglich für einen Nebenkriegsschauplatz in der Sozialpolitik. Die Agenda-Politik mit ihrem Niedriglohnsektor gehöre generell überdacht. „Wenn jetzt an einzelnen Punkten nachgebessert wird, frage ich mich, ob so ein Flickwerk tatsächlich sinnvoll ist“.