Köln. Hass und Bürgerwehren: der Kölner „Tatort: Wacht am Rhein“ bringt die Ermittler an ihre Grenzen. Und ist ganz nah an der Wirklichkeit.

Die Silvesternacht steckt fest in den Köpfen. Nicht nur in Köln. Aber welche „Tatort“-Stadt könnte die quälenden Folgen der Exzesse auf dem Domplatz samt der gesellschaftspolitischen Explosion glaubhafter in einem Krimidrama verdichten?

Routinier Jürgen Werner und Regisseur Sebastian Ko haben daraus eine Tragödie gestrickt, die Kölns Ermittlerduo Ballauf und Schenk in einer unübersichtlichen Gemengelage einigermaßen ratlos zurücklässt. Denn in „Wacht am Rhein“ werden Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern.

Ein Klima aus Angst und Vorurteilen temperiert Jürgen Werners Story, die keine komplizierte Struktur braucht, um ihre Wirkung zu entfalten. Der abendliche Überfall auf einen Zooladen bringt die Dinge in Bewegung und löst die fatale Kettenreaktion aus, an deren Ende es nur Verlierer geben kann. Der Sohn des Besitzers wird im Dunkeln erschossen, der Räuber, ein junger Marokkaner (Samy Abdel Fattah), flieht und wird später im Verhör schwören, dass er die tödlichen Schüsse nicht abgegeben hat.

Der „Tatort“ aus Köln in Bildern

Im ARD-„Tatort“ hat sich in Köln die Bürgerwehr „Wacht am Rhein“ formiert. Dieter Gottschalk (Sylvester Groth) führt das Kommando. Die nächtlichen Patrouillen sind gut organisiert. Doch dann passiert ein Mord.
Im ARD-„Tatort“ hat sich in Köln die Bürgerwehr „Wacht am Rhein“ formiert. Dieter Gottschalk (Sylvester Groth) führt das Kommando. Die nächtlichen Patrouillen sind gut organisiert. Doch dann passiert ein Mord. © WDR | Thomas Kost
Bei einem Überfall auf eine Zoohandlung wird der Sohn des Inhabers Peter Deisböck erschossen. Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, hinten) ermitteln.
Bei einem Überfall auf eine Zoohandlung wird der Sohn des Inhabers Peter Deisböck erschossen. Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, hinten) ermitteln. © WDR | Thomas Kost
Trauern um ihren erschossenen Sohn: Katharina (Helene Grass) und Peter Deisböck (Paul Herwig).
Trauern um ihren erschossenen Sohn: Katharina (Helene Grass) und Peter Deisböck (Paul Herwig). © WDR | Thomas Kost
Gottschalk will seinem Freund Peter Deisböck helfen und eine Mahnwache für dessen getöteten Sohn organisieren. Doch Katharina Deisböck hat Vorbehalte.
Gottschalk will seinem Freund Peter Deisböck helfen und eine Mahnwache für dessen getöteten Sohn organisieren. Doch Katharina Deisböck hat Vorbehalte. © WDR | Thomas Kost
Auch den Kommissaren ist Gottschalks Bürgerwehr suspekt.
Auch den Kommissaren ist Gottschalks Bürgerwehr suspekt. © WDR | Thomas Kost
Vorbereitungen für eine Mahnwache: Die Bürgerwehr und ihr Wortführer Dieter Gottschalk instrumentalisieren den Mord an Lars Deisböck für ihre Zwecke.
Vorbereitungen für eine Mahnwache: Die Bürgerwehr und ihr Wortführer Dieter Gottschalk instrumentalisieren den Mord an Lars Deisböck für ihre Zwecke. © WDR | Thomas Kost
Gottschalk will mit der Bürgerwehr für Ruhe und Ordnung sorgen. Rassismus will er sich nicht vorhalten lassen, auch nicht von den Kommissaren Ballauf und Schenk.
Gottschalk will mit der Bürgerwehr für Ruhe und Ordnung sorgen. Rassismus will er sich nicht vorhalten lassen, auch nicht von den Kommissaren Ballauf und Schenk. © WDR | Thomas Kost
Khalid Hamidi (Samy Abdel Fattah, l.) hatte in der Webdesign Firma von Tabea Fromm (Karoline Bär, r.) ein Praktikum gemacht. Jetzt sucht ihn die Polizei.
Khalid Hamidi (Samy Abdel Fattah, l.) hatte in der Webdesign Firma von Tabea Fromm (Karoline Bär, r.) ein Praktikum gemacht. Jetzt sucht ihn die Polizei. © WDR | Thomas Kost
Der Student Baz Barek (Omar El-Saeidi) wird als vermisst gemeldet. Hat er etwas mit dem Mord zu tun?
Der Student Baz Barek (Omar El-Saeidi) wird als vermisst gemeldet. Hat er etwas mit dem Mord zu tun? © WDR | Thomas Kost
Auch Lebensmittelhändler Adil Faras (Asad Schwarz) will seine Ruhe im Viertel. Die Person auf dem Foto kennt er angeblich nicht.
Auch Lebensmittelhändler Adil Faras (Asad Schwarz) will seine Ruhe im Viertel. Die Person auf dem Foto kennt er angeblich nicht. © WDR | Thomas Kost
Für die Mordkommission unterwegs: Tobias Reisser (Patrick Abozen) sucht nach Leuten, die den Flüchtigen Khalid Hamidi in letzter Zeit gesehen haben.
Für die Mordkommission unterwegs: Tobias Reisser (Patrick Abozen) sucht nach Leuten, die den Flüchtigen Khalid Hamidi in letzter Zeit gesehen haben. © WDR | Thomas Kost
Kommissar Ballauf hat den Mordverdächtigen Hamidi geschnappt. Doch Faruk (Mohamed Achour, r.) kommt seinem Kumpel zu Hilfe.
Kommissar Ballauf hat den Mordverdächtigen Hamidi geschnappt. Doch Faruk (Mohamed Achour, r.) kommt seinem Kumpel zu Hilfe. © WDR | Thomas Kost
Fast zu spät: Kommissar Schenk zückt seine Waffe, um den Tatverdächtigen nicht entkommen zu lassen.
Fast zu spät: Kommissar Schenk zückt seine Waffe, um den Tatverdächtigen nicht entkommen zu lassen. © WDR | Thomas Kost
Ballauf und Schenk untersuchen am Tatort, aus welcher Richtung die tödlichen Schüsse kamen.
Ballauf und Schenk untersuchen am Tatort, aus welcher Richtung die tödlichen Schüsse kamen. © WDR | Thomas Kost
Besonderes Schmankerl im Kölner „Tatort“: Klaus Doldinger, Komponist der Titelmelodie, hat nach über 40 Jahren und mehr als 1000 Folgen erstmals einen Auftritt in der Krimireihe. Er ist in einer Szene als Straßenmusiker zu sehen – und zu hören.
Besonderes Schmankerl im Kölner „Tatort“: Klaus Doldinger, Komponist der Titelmelodie, hat nach über 40 Jahren und mehr als 1000 Folgen erstmals einen Auftritt in der Krimireihe. Er ist in einer Szene als Straßenmusiker zu sehen – und zu hören. © WDR | Thomas Kost
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Ein Stadtviertel rüstet auf

Im Viertel aber macht längst eine Bürgerwehr Stimmung, deren Chef-Populist (stark wie stets: Sylvester Groth) die verunsicherten Nachbarn aufhetzt. Ein alteingesessener marokkanischer Ladenbesitzer (Asad Schwarz) und eine verzweifelnde Mutter (Nadja Bobyleva) reagieren mit Selbstjustiz. Der Händler sperrt einen nordafrikanischen Studenten (Omar El-Saeidi), den er für den Täter hält, in den Keller seines Geschäfts und will die vermeintliche Wahrheit aus ihm herausprügeln.

Jürgen Werner beschreibt die Misere meist ohne zu urteilen, und darin liegt die Stärke des Films, dem man allerdings eine Reihe von Klischees im Dienst der Sache nachsehen muss. Auch die alten Hasen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) schwingen diesmal nicht die Moralkeule, sondern werden eher zu betretenen Zeugen eines Dilemmas: Es gibt keine einfachen Antworten.

„Tatort“ gefüttert mit Wirklichkeit

Dass Bürgerwehren eher schaden als nutzen, daran lässt „Wacht am Rhein“ keinen Zweifel, zumal Sylvester Groth als aalglatter Scharfmacher keine Sympathiepunkte sammelt. Aber dass es der Polizei zuweilen nicht gelingt, Herr der Lage in einem Viertel voll sozialem Sprengstoff zu sein, das verschweigt Werner auch nicht.

Zuweilen wirken seine Dialoge ein bisschen lehrbuchhaft, aber es kann in diesen Tagen auch nicht schaden, einem Millionenpublikum so etwas anzubieten. Bei aller Fiktion ist dieser „Tatort“ schließlich gefüttert mit ganz viel Wirklichkeit. „Ihr macht kaputt, was wir aufgebaut haben“, wirft der marokkanische Händler seinem Gefangenen vor, der seine Unschuld beteuert und mit einem simplen Argument kontert: „Deutsche vergewaltigen Kinder, stehlen, lügen, betrügen, aber deswegen sind nicht allen Deutschen so. Aber wir sind alle gleich, oder?“

Vielleicht braucht es in dieser recht finsteren Betrachtung ja einen kleinen Aufheller. Und doch wirkt der Mini-Auftritt des Mannes, der die „Tatort“-Melodie erfand, wie ein kleiner Fremdkörper: Klaus Doldinger mimt einen Straßenmusikanten. Und was spielt er auf seinem Saxophon? Na klar.

Fazit: Spannend, brisant und nah am Tagesgeschehen.

ARD, Sonntag, 15. Januar, 20.15 Uhr