Köln. Hass und Bürgerwehren: der Kölner „Tatort: Wacht am Rhein“ bringt die Ermittler an ihre Grenzen. Und ist ganz nah an der Wirklichkeit.
Die Silvesternacht steckt fest in den Köpfen. Nicht nur in Köln. Aber welche „Tatort“-Stadt könnte die quälenden Folgen der Exzesse auf dem Domplatz samt der gesellschaftspolitischen Explosion glaubhafter in einem Krimidrama verdichten?
Routinier Jürgen Werner und Regisseur Sebastian Ko haben daraus eine Tragödie gestrickt, die Kölns Ermittlerduo Ballauf und Schenk in einer unübersichtlichen Gemengelage einigermaßen ratlos zurücklässt. Denn in „Wacht am Rhein“ werden Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern.
Ein Klima aus Angst und Vorurteilen temperiert Jürgen Werners Story, die keine komplizierte Struktur braucht, um ihre Wirkung zu entfalten. Der abendliche Überfall auf einen Zooladen bringt die Dinge in Bewegung und löst die fatale Kettenreaktion aus, an deren Ende es nur Verlierer geben kann. Der Sohn des Besitzers wird im Dunkeln erschossen, der Räuber, ein junger Marokkaner (Samy Abdel Fattah), flieht und wird später im Verhör schwören, dass er die tödlichen Schüsse nicht abgegeben hat.
Der „Tatort“ aus Köln in Bildern
Ein Stadtviertel rüstet auf
Im Viertel aber macht längst eine Bürgerwehr Stimmung, deren Chef-Populist (stark wie stets: Sylvester Groth) die verunsicherten Nachbarn aufhetzt. Ein alteingesessener marokkanischer Ladenbesitzer (Asad Schwarz) und eine verzweifelnde Mutter (Nadja Bobyleva) reagieren mit Selbstjustiz. Der Händler sperrt einen nordafrikanischen Studenten (Omar El-Saeidi), den er für den Täter hält, in den Keller seines Geschäfts und will die vermeintliche Wahrheit aus ihm herausprügeln.
Jürgen Werner beschreibt die Misere meist ohne zu urteilen, und darin liegt die Stärke des Films, dem man allerdings eine Reihe von Klischees im Dienst der Sache nachsehen muss. Auch die alten Hasen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) schwingen diesmal nicht die Moralkeule, sondern werden eher zu betretenen Zeugen eines Dilemmas: Es gibt keine einfachen Antworten.
„Tatort“ gefüttert mit Wirklichkeit
Dass Bürgerwehren eher schaden als nutzen, daran lässt „Wacht am Rhein“ keinen Zweifel, zumal Sylvester Groth als aalglatter Scharfmacher keine Sympathiepunkte sammelt. Aber dass es der Polizei zuweilen nicht gelingt, Herr der Lage in einem Viertel voll sozialem Sprengstoff zu sein, das verschweigt Werner auch nicht.
Zuweilen wirken seine Dialoge ein bisschen lehrbuchhaft, aber es kann in diesen Tagen auch nicht schaden, einem Millionenpublikum so etwas anzubieten. Bei aller Fiktion ist dieser „Tatort“ schließlich gefüttert mit ganz viel Wirklichkeit. „Ihr macht kaputt, was wir aufgebaut haben“, wirft der marokkanische Händler seinem Gefangenen vor, der seine Unschuld beteuert und mit einem simplen Argument kontert: „Deutsche vergewaltigen Kinder, stehlen, lügen, betrügen, aber deswegen sind nicht allen Deutschen so. Aber wir sind alle gleich, oder?“
Vielleicht braucht es in dieser recht finsteren Betrachtung ja einen kleinen Aufheller. Und doch wirkt der Mini-Auftritt des Mannes, der die „Tatort“-Melodie erfand, wie ein kleiner Fremdkörper: Klaus Doldinger mimt einen Straßenmusikanten. Und was spielt er auf seinem Saxophon? Na klar.
Fazit: Spannend, brisant und nah am Tagesgeschehen.
ARD, Sonntag, 15. Januar, 20.15 Uhr