Mainz. Ein Polizeigewerkschafter und ein AfD-Politiker, die Abschiebungen kritisieren? Nicht die einzige Überraschung bei Maybrit Illner.

Vielleicht hat Maybrit Illner am Donnerstag eine Talkshow moderiert, an deren Ende tatsächlich einmal etwas Zählbares herauskommt. Vielleicht erhält nach der Sendung ein Afghane eine Lehrstelle, wird nicht abgeschoben, darf noch mindestens fünf Jahre bleiben und alle sind zufrieden.

Hossein oder Hussein heißt so viel wie „der kleine Gute“, und so wirkte in der Sendung der Afghane Mazour Hossein Sharifi, der mit 17 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kam und Rat erhielt von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), damit er bleiben kann.

Der nette Hossein und der böse Hussein

Seinen Auftritt und die Sendung hätte es aber wohl nicht gegeben, wenn nicht am Samstag Hussein K., 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan, als mutmaßlicher Mörder von Maria L. aus Freiburg vorgeführt worden wäre: „Flüchtlinge unter Verdacht – Willkommenskultur am Ende?“ war das Thema.

Der nette Hossein und der böse Hussein: Mit beiden wird Politik gemacht, erwartungsgemäß brachte der Studiogast dem ZDF auch auf Twitter Propagandavorwürfe ein.

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Hochgeputschte Emotionen sparte die Sendung aber über weite Strecken aus.

Es geht um mehr als den sozialen Frieden

Zu erwarten war das nicht: Als der Afghane Sharifi im März schon einmal bei Illner war, klagte ein anderer Gast, der CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein aus dem sauerländischen Altena: „Mir geht die Hysterie in der großen Politik auf die Nerven.“ Da hieß das Thema noch „Integration oder Spaltung – Was kostet uns der soziale Frieden?“

Nach dem Mord in Freiburg und den Vergewaltigungen in Bochum geht es aktuell um mehr als den sozialen Frieden.

Der Hintergrund des Abends: Der Fall der getöteten Studentin Maria L. in Freiburg war nur zu Anfang Thema. Ein Kommilitone der getöteten 19-Jährigen berichtete von einem Gefühl der Unsicherheit, sagte aber auch: „Die allermeisten Menschen in Freiburg denken, dass man nach einer schlimmen Tat von einem nicht alle in Sippenhaft nehmen darf.“

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fasste es so zusammen: „Solche Taten machen Angst – unabhängig davon, wer sie begangen hat.“

Die Überraschung des Abends: Manch asylkritisch gesinnter Zuschauer hatte seine Hoffnungen vielleicht in den oft populistisch polternden Rainer Wendt gesetzt. Doch der Chef der Polizeigewerkschaft DPolG ließ sich von Maybrit Illner auch mit früheren Zitaten nicht aus der Reserve locken und gab stattdessen den Flüchtlingsversteher. „Jeder weiß, dass man nicht von einer Gruppe sprechen kann, die in besonderer Weise kriminell ist. Jeder ist ein Einzelfall.“

Oder: Sorge in der Bevölkerung gebe es nicht wegen der Flüchtlinge, die habe es schon vorher gegeben, sie sei nur etwas verstärkt worden. Oder: „Ich bin meilenweit von denen weg, die Merkel eine Mitschuld geben.“ Wendts differenzierte Analyse: Deutschland sei nicht ausreichend vorbereitet gewesen auf die psychosoziale Betreuung junger Männer, die zum Teil traumatisiert sind vom Krieg.

Die Überraschung des Abends – Teil 2: Der Polizeigewerkschafter nahm sogar die Kölner Justiz nach der Silvesternacht von 2015 in Schutz: Mehr als 1000 Anzeigen, nur zwei Verurteilungen bislang, und doch: „Ich will denen keine Vorwürfe machen. Wenige Verurteilungen sind ein Beleg für das Funktionieren des Rechtsstaats, sie waren nicht zu überführen.“ Wendt forderte deshalb den Einsatz moderner Videotechnik – das wiederum war keine Überraschung.

Der Konsens des Abends: Es gibt Menschen, die das Gastrecht missbrauchen, und das führt zu viel Unmut, wenn es keine Folgen hat, da waren sich alle einig. Es sollen auch mehr Menschen abgeschoben werden, und das fanden in der Runde grundsätzlich alle richtig. „Die Zahl derjenigen, die abzuschieben sein werden, wird sprunghaft ansteigen im nächsten Jahr“, sagte Hannelore Kraft.

Und meldete zugleich Zweifel an: „Aber dann ist die Frage, werden wir sie denn los.” Und da waren sich wieder alle einig: Abgeschoben werden die, die kaum Probleme machen. Wendt fasste das so zusammen: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir die Falschen abschieben. Die Leute können nichts dafür, dass die Verfahren so lang dauern, die sind integriert, und die schieben wir ab. Und die Intensivtäter werden wir nicht los.“

Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) stimmte zu: „Wir haben in Südbaden zu wenig Arbeitskräfte und schieben Menschen ab, die integriert sind.“

Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Bündnis 90/Die Grünen): Nicht die Falschen abschieben.
Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Bündnis 90/Die Grünen): Nicht die Falschen abschieben. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Der Streit des Abends drehte sich um das verstärkte Abschieben von Nordafrikanern, so beschlossen nach der Kölner Silvesternacht im Zuge von insgesamt drei Asylrechtsverschärfungen. „Nach Köln haben wir Versprechen nicht richtig umgesetzt”, sagte Michael Kretschmer, Fraktionsvize der Union im Bundestag und Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen. Er gab SPD und Grünen die Schuld daran.

Und damit kam Schärfe in die Runde: Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, löse doch das Problem nicht, erwiderte Hannelore Kraft. Es gebe keine Regelung, die loszuwerden, die schon längst ausreisepflichtig sind. „Sollen wir sie mit dem Fallschirm über dem Land abwerfen?“, pflichtete ihr Dieter Salomon bei und sagte in Richtung Kretschmer: „Das ist schon fast postfaktisch, was Sie erzählen.“

Der Klartext des Abends: Die als Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland gekommene Emitis Pohl sprach von einem anderen Frauenbild: „Ich habe meinem Flüchtlingskind erklärt, dass die Frauen an Karneval freizügiger rumlaufen und dass sie keine Prostituierten sind.” Es müsse Patenschaften und Vorbilder für Flüchtlinge geben.

Der fromme Wunsch des Abends: „Ich würde mir wünschen, dass wir über Integration so intensiv diskutieren wie über Abschiebung”, sagte Hannelore Kraft. Mit dieser Erwartung kann sie aber nicht in die Sendung gegangen sein.

Würde lieber über Integration als über Abschiebung diskutieren: Hannelore Kraft (SPD), NRW-Ministerpräsidentin.
Würde lieber über Integration als über Abschiebung diskutieren: Hannelore Kraft (SPD), NRW-Ministerpräsidentin. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Das Déjà-vu des Abends erinnerte stark an Angela Merkel und das weinende Flüchtlingsmädchen Reem, dem die Abschiebung drohte: Die Moderatorin forderte den CDU-Politiker Kretschmer auf, dem Afghanen Sharifi persönlich zu erklären, warum er innerhalb weniger Tage zurückgeschickt werden könnte.

Kretschmer antwortete wie damals die Kanzlerin: „Es ist bitter, dass es viele Länder um uns herum gibt, in denen das Leben nicht so ist wie bei uns. Aber wir können nicht jedem in unserem Land helfen, sonst überfordern wir uns selbst.“ An ihn würden oft ähnliche Fälle wie der von Sharifi herangetragen: „Jeder von denen tut mir leid, aber wir haben Gesetze“, so Kretschmer.

Die Überraschung des Abends – Teil 3: Von der AfD durfte bei Illner niemand mitdiskutieren, eingespielt wurde aber ein Zitat des rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden Uwe Junge, das viele Zuschauer überrascht haben dürfte: Junge warf der Bundesregierung Versagen in der Flüchtlingskrise vor – weil sie abschieben will.

Abschiebungen nach Afghanistan bedeuteten aber Gefahr für Leben der Menschen, so der AfD-Politiker Junge, der als Soldat in dem Land war. „Es gibt keinen sicheren Ort in Afghanistan.“

Der Gewinner des Abends war wohl Mazour Hossein Sharifi – aller Voraussicht nach. Er muss sich monatlich bei der Ausländerbehörde melden und um Duldung bitten, nach der Sendung könnte sich seine Lage nun bessern. Hannelore Kraft verwies auf das im Sommer beschlossene Integrationsgesetz.

Wenn Sharifi eine Lehrstelle findet, dann sind er und das Unternehmen für die Dauer der Ausbildung und zwei Jahre darüber hinaus sicher vor Abschiebung. Sharifi würde gerne eine Maler-Lehre machen – beim ZDF dürften einige Angebote eingehen.

Die komplette Sendung gibt es in der ZDF-Mediathek.