München. In „Die Wahrheit“ stoßen die „Tatort“-Ermittler nicht nur beruflich, sondern auch privat an Grenzen. Das macht den Film sehenswert.

So eine beklemmende Eröffnungsszene hat man im „Tatort“ selten gesehen. Der belebte Münchener Leonrodplatz am Tag, eine Familie auf dem Weg zum Einkauf: Plötzlich liegt da ein Mann auf dem Asphalt. Der Familienvater will ihm aufhelfen, reicht ihm die Hand. Da sticht der Fremde auf ihn ein, rammt ihm ein Messer in die Brust.

Als Batic am Tatort eintrifft, brüllt er: „Auf offener Straße! Vor dem kleinen Jungen! Ich will ihn kriegen, dieses kranke Arschloch!“ Die Nerven liegen blank.

Der neue Fall der Münchener Ermittler Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ist von der ersten bis zur letzten Szene ungewöhnlich. Der Mord ohne Motiv bringt die Kommissare an ihre Belastungsgrenzen. Erst ist es nur Batic, dem man die Überforderung nach 25 Dienstjahren anmerkt: Schlaflos ist er, angegriffen. Bei einer Verfolgungsjagd zu Fuß hängt der Flüchtende ihn locker ab. Folgerichtig also, dass der Dezernatsleiter Kollege Leitmayr die alleinige Leitung der Soko überträgt.

Leitmayr und Batic gehen an ihre Grenzen

Ein Familienvater wird im „Tatort“ München vor einer Ladenfront niedergestochen. Ayumi Schröders (Luka Omoto) Ehemann Ben (Markus Brandl) stirbt in ihren Armen.
Ein Familienvater wird im „Tatort“ München vor einer Ladenfront niedergestochen. Ayumi Schröders (Luka Omoto) Ehemann Ben (Markus Brandl) stirbt in ihren Armen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Taro Schröder (Leo Schöne), der Sohn des Opfers, steht erschrocken am Tatort.
Taro Schröder (Leo Schöne), der Sohn des Opfers, steht erschrocken am Tatort. © X Filme/Hagen Keller | BR
Manche Taten nehmen auch hartgesottene Ermittler mit: Ivo Batic (Miroslav Nemec, r.) erklärt seinem Kollegen Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) aufgewühlt den Tathergang. Im Hintergrund beginnt Ritschy Semmler (Stefan Betz) mit der Zeugenbefragung.
Manche Taten nehmen auch hartgesottene Ermittler mit: Ivo Batic (Miroslav Nemec, r.) erklärt seinem Kollegen Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) aufgewühlt den Tathergang. Im Hintergrund beginnt Ritschy Semmler (Stefan Betz) mit der Zeugenbefragung. © X Filme/Hagen Keller | BR
Frau und Sohn des Opfers können den Verlust kaum ertragen und sind nun allein auf sich gestellt.
Frau und Sohn des Opfers können den Verlust kaum ertragen und sind nun allein auf sich gestellt. © X Filme/Hagen Keller | BR
Dezernatsleiter Karl Maurer (Jürgen Tonkel, r.) beauftragt Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr mit der Leitung der Soko.
Dezernatsleiter Karl Maurer (Jürgen Tonkel, r.) beauftragt Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr mit der Leitung der Soko. © X Filme/Regina Recht | BR
Die Leiterin der Operativen Fallanalyse, Christine Lerch (Lisa Wagner), wird von Leitmayr gebeten, bei der Aufklärung des Mordes an Ben Schröder zu helfen.
Die Leiterin der Operativen Fallanalyse, Christine Lerch (Lisa Wagner), wird von Leitmayr gebeten, bei der Aufklärung des Mordes an Ben Schröder zu helfen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Leitmayr, Lerch und Batic untersuchen den Tatort erneut.
Leitmayr, Lerch und Batic untersuchen den Tatort erneut. © X Filme/Hagen Keller | BR
Lerch versucht, die Hinweise am Tatort zu deuten.
Lerch versucht, die Hinweise am Tatort zu deuten. © X Filme/Hagen Keller | BR
Batic und Leitmayr verfolgen einen Verdächtigen.
Batic und Leitmayr verfolgen einen Verdächtigen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Das Münchener Ermittler-Duo will den Anwohner Murat Günes (Cem Ali Gültekin) befragen.
Das Münchener Ermittler-Duo will den Anwohner Murat Günes (Cem Ali Gültekin) befragen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) erläutert Hinweise, die er am Opfer gefunden hat.
Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) erläutert Hinweise, die er am Opfer gefunden hat. © X Filme/Hagen Keller | BR
Penible Kleinstarbeit: Die Kommissare lassen von den Kollegen der Spurensicherung jedes Detail des Tatortes einzeln untersuchen.
Penible Kleinstarbeit: Die Kommissare lassen von den Kollegen der Spurensicherung jedes Detail des Tatortes einzeln untersuchen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Da ist Einfühlungsvermögen gefragt: Kriminalhauptkommissar Batic versucht, das Vertrauen von Taro Schröder zu gewinnen.
Da ist Einfühlungsvermögen gefragt: Kriminalhauptkommissar Batic versucht, das Vertrauen von Taro Schröder zu gewinnen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Mit einer emotionalen Ansprache richtet sich Franz Leitmayr an seine Kollegen.
Mit einer emotionalen Ansprache richtet sich Franz Leitmayr an seine Kollegen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Ermittlungen auf Hochtouren: Alle Polizeikollegen, die zur Verfügung stehen, helfen den Hauptkommissaren dabei, die Gentests an den Hunderten Verdächtigen durchzuführen.
Ermittlungen auf Hochtouren: Alle Polizeikollegen, die zur Verfügung stehen, helfen den Hauptkommissaren dabei, die Gentests an den Hunderten Verdächtigen durchzuführen. © X Filme/Hagen Keller | BR
Dem Zugriff ganz nah? Batic und Leitmayr verfolgen den Mörder. Die Wohnung, die sie finden, ist mehr als merkwürdig.
Dem Zugriff ganz nah? Batic und Leitmayr verfolgen den Mörder. Die Wohnung, die sie finden, ist mehr als merkwürdig. © X Filme/Hagen Keller | BR
Diskussion unter Kollegen: Leitmayr und Batic sind sich nicht einig, wie es weitergehen soll.
Diskussion unter Kollegen: Leitmayr und Batic sind sich nicht einig, wie es weitergehen soll. © X Filme/Hagen Keller | BR
Die Ermittlungen laufen nicht wie erhofft: Erschöpft genehmigen sich Leitmayr und Batic ein Bier.
Die Ermittlungen laufen nicht wie erhofft: Erschöpft genehmigen sich Leitmayr und Batic ein Bier. © X Filme/Hagen Keller | BR
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Eine zündende Idee hat auch der nicht. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, die Zeugenaussagen sind unbrauchbar, Leitmayr versteigt sich schließlich in der Idee, Tausende Männer zu einem Massengentest einzubestellen. Der Aufwand ist enorm, das Ergebnis ernüchternd: Der Fall zieht sich über ein halbes Jahr hin und erscheint nicht mehr lösbar. „Die Wahrheit“ (Buch: Erol Yesilkaya, Regie: Sebastian Marka) bricht mit den gängigen Erzählmustern des Formats.

Sechs Monate Ermittlungsarbeit, verdichtet in 90 Minuten – selten hat ein „Tatort“ derart breit erzählt. Man spürt, wie mühsam und frustrierend echte Polizeiarbeit oft ist, wie sehr Fehlschläge an den Nerven der Beamten zehren. François Werner, der die Fan-Homepage „tatort-fundus“ betreut, spricht deswegen von einem „Knaller-Tatort“: „Genau das ist auch ein Anspruch des ,Tatorts‘, die Realität zu zeigen.“

Lisa Wagners letzter Auftritt

Fortschritte machen die Ermittler erst, als Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) sich einschaltet. Auch Lerch leidet unter dem tristen Polizistenalltag, ihr kleines Büro empfindet sie als „Zelle“. Sie ist das letzte Mal im „Tatort“ zu sehen – Schauspielerin Wagner steigt aus.

Als wären die Kommissare nicht genug geplagt mit ihren Ermittlungen und dem überstürzten Lerch-Abschied, leidet auch noch ihre Freundschaft. Aber sie zerbricht nicht. Auf eines ist in München-„Tatorten“ Verlass: Am Ende raufen sich Batic und Leitmayr zusammen. Ihre finale Umarmung ist einer der wenigen Lichtblicke dieses düsteren Ausnahmekrimis.

Fazit: Ein Film, der sich nicht an die „Tatort“-Konventionen hält. Bitterer Fall, bedrückende Bilder. Ein Höhepunkt der Batic/Leitmayr-Ära.

ARD, 23. Oktober, 20.15 Uhr