Berlin. Führt die Angst vorm Abstieg zu Fremdenhass? Und wie arm ist Deutschland? Diesen Fragen ging am Donnerstagabend Maybrit Illner nach.

Die Ablehnung von Flüchtlingen wird dieser Tage in vielen Analysen als verkappte Abstiegsangst gedeutet. Tatsächlich haben viele Behauptungen in der Debatte einen wirtschaftlichen Hintergrund: Flüchtlinge kriegen angeblich Smartphones und mehr Geld als die Einheimischen – und plötzlich hat der Staat auch noch Mittel übrig, die es vorher angeblich nicht gab. Objektiv gibt es bisher allerdings keine Hinweise darauf, dass die Flüchtlinge die Deutschen ärmer gemacht hätten. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist das Armutsrisiko zuletzt nur unter Migranten gestiegen – weil die Flüchtlinge in diese Kategorie gezählt werden.

Und doch kann das Mantra der Bundesregierung, wonach es Deutschland so gut wie lange nicht mehr geht, nur bedingt stimmen, wenn im Durchschnitt immerhin gut 15 Prozent der Bevölkerung seit Jahren konstant von Armut bedroht sind. Ist die Angst vor dem Abstieg also doch berechtigt? Dieser Frage ging am Donnerstagabend Maybritt Illner nach. Diskutiert wurde sie von Malu Dreyer (SPD), dem CDU-Haushaltsexperten Ralph Brinkhaus, dem Kölner Pfarrer Franz Meurer sowie vom Ökonom Clemens Fuest und Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Dem Durchschnitt geht es gut

Ralph Brinkhaus trat dafür ein, nicht immer nur das Negative in Deutschland zu sehen. In jeder politischen Talkshow gehe es immer nur um das, was schlecht laufe. „Verdammt noch mal, es laufen viele Dinge gut“, sagte der CDU-Finanzpolitiker. Es sei zum Beispiel so gut gearbeitet worden, dass die mittelfristigen Kosten der Flüchtlingskrise von 18 bis 20 Milliarden Euro „aus Bordmitteln“ bezahlt werden könnten. Bei anerkannten Flüchtlingen dürfe letztlich auch nicht die Frage sein, wie viel sie kosteten, forderte Brinkhaus. In diesen Fällen müsse einfach aus Solidarität geholfen werden.

Der erste Teil dieser Analyse wurde von Clemens Fuest geteilt. „Die Vorstellung, dass Deutschland in einer katastrophalen Situation sei, ist nur ein Gefühl. Die Fakten sind andere“, sagte der Ökonom. Allerdings dürfe man sich keine Illusionen machen, dass die Flüchtlinge etwa den Fachtkräftemangel entschärfen und dadurch die Kosten teilweise wett machen werden. „Solidarität heißt teilen, aber das kostet natürlich auch“, sagte Fuest. Daran werde der Sozialstaat aber nicht kaputt gehen.

Wer ist der Durchschnitt?

Gegen diese eher positive Sicht der Dinge argumentierte Ulrich Schneider, indem er den Durchschnitt als Richtwert in Frage stellte. „Wie es uns im Durchschnitt geht, ist völlig egal: Niemand von uns lebt als Durchschnitt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband. Noch immer gebe es zu viele Arme, die sich abgehängt fühlten und die Gesellschaft mental verließen – ein Umstand, mit dem Schneider auch das Erstarken der AfD erklärte.

Unterstützt wurde er vom zwischenzeitig in die Runde eingeführten Wirtschaftsjournalisten Thomas Fricke, der einen ungehemmten Kapitalismus für die Verunsicherung verantwortlich machte. „Die Menschen fragen sich: Was haben wir davon?“, sagte Fricke mit Blick auf die neoliberale Forderung nach mehr Eigenleistung. Kritisch sei auch, dass für die extrem teure Bankenrettung Geld dagewesen sei. Die Flüchtlinge würden dagegen überschaubare Kosten verursachen, sagte Fricke.

Ein Pfarrer mit Herz

Malu Dreyer plädierte dafür, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Zugleich unterstützte sie Wolfgang Schäubles Aussage, wonach durch die Flüchtlingskrise kein Einheimischer einen Euro weniger gehabt habe. „Wir kürzen kein Geld: Im Gegenteil, wir haben an vielen Stellen die Ausgaben erhöht“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin.

Als durchweg positiver Mensch mit Herz entpuppte sich Franz Meurer. Immer wieder warb der katholische Pfarrer darum, eine Zukunftsvision für Deutschland zu entwickeln und die Menschen mitzunehmen. Dabei müsse es ehrlich zu gehen: „Zwei meiner Flüchtlinge sitzen in Haft. Aber es gibt viel mehr positive Beispiele“, sagte Meurer, der in Köln mit Armen arbeitet. Am Ende, befand Meurer, gehe es darum, die Kreativität jedes Einzelnen zu fördern – auch wenn sich manche Investition vielleicht nicht sofort auszahle.

Zur Ausgabe von „Maybrit Illner“ in der ZDF-Mediathek geht es hier.