Bad Harzburg. Zu Besuch im Zuhause von Michael Bartsch und Sven Bartsch-Siegmund. Das Ehepaar hat die Villa Charlotte in ein Kleinod verwandelt.

Es existieren jene besonderen Orte, an denen die Zeit ihre Geheimnisse zu wahren scheint. An einem Dienstagnachmittag Anfang August besuchen wir ein ebensolches Kleinod. Samtige Vorhänge rahmen die großen Fenster, durch die das Licht sanft und diffus die Räume durchdringt. Die Zeiger unzähliger Uhren, zartgliedrig wie kunstvoll geknüpfte Spinnennetze, vollführen einen eleganten Tanz über das Zifferblatt. Tick, tick – es ist, als würde das Echo der Vergangenheit durch die Räume fließen und jeden Moment das Geheimnis der Villa Charlotte enthüllen. Wie ein kunstvolles Orchester begleiten sie uns in einem sanften Rhythmus durch das Gründerzeitmuseum.

Michael Bartsch (50) und Sven Bartsch-Siegmund (45) sind Teil dieser zeitlosen Eleganz. Seit Oktober 2019 wohnen sie in der Villa Charlotte in Bad Harzburg und verleihen ihr neuen Glanz. Das Ehepaar hat sich selbst über Jahre hinweg die handwerklichen Fähigkeiten dazu angeeignet. Von der Fliese bis hin zur Decke wird alles händisch restauriert, modelliert und verbaut. Hinzu kommen die unzähligen Antiquitäten, die wie Puzzlestücke aus einer fremden Welt scheinen. „Jedes Stück, welches wir heute in der Sammlung haben, erzählt eine eigene Geschichte“, erklärt Sven Bartsch-Siegmund. Ihr Zuhause öffnen sie heute auch der Öffentlichkeit für Feierlichkeiten, Pensionsgäste und traditionsreiche Gründerzeittafeln. Exklusive Wohnwelten hat die beiden Hüter des rund 130 Jahre alten Erbes besucht …

Wie seid ihr auf die Villa Charlotte aufmerksam geworden?

Michael: „Ältere Dame sucht jungen Liebhaber“ kündigte das Inserat an. Wir haben auf klassische Weise über Immobilienportale gesucht. Sowohl im Internet als auch auf eBay-Kleinanzeigen. Es gab auch das ein oder andere nicht inserierte Haus, das uns interessiert hätte, aber wir hatten nicht den Mut, einfach einen Zettel zu hinterlassen.

Sven: Micha war damals beruflich viel in Mitteldeutschland unterwegs, daher war es naheliegend, dass wir uns hier in der Region umschauen. Zumal dies auch die Heimat von Micha ist.

Dann habt ihr euch für die „ältere Dame“ entschieden?

Michael: Genau. Die Villa war zu diesem Zeitpunkt eine Pension, die über ein Jahr lang keine Gäste mehr hatte. So fanden wir im Haus 16 Bäder vor – oft an sehr merkwürdigen Stellen. Uns war es wichtig, dass wir sofort einziehen konnten. Wir haben das Haus komplett möbliert übernommen und die meisten Möbel entfernt. Momentan sind wir immer noch dabei, die Räume nach und nach zu verändern. Inzwischen haben wir viele Gäste, die regelmäßig zu uns kommen, um unsere Fortschritte zu sehen. Sie sind dann oft erstaunt darüber, was wir innerhalb eines Jahres alles geschafft haben. Im Übrigen sind wir erst die zweiten Eigentümer.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, euer Zuhause in ein Museum zu verwandeln?

Sven: Wir haben lange Zeit in Hamburg in einer Etagenvilla mit knapp 100 Quadratmetern gewohnt, doch diese wurde irgendwann zu eng. Wir sind beide leidenschaftliche Sammler von Antiquitäten. Schließlich haben wir uns nach etwas Größerem umgesehen.

Michael: Im Prinzip war es ein organischer Prozess. Wir haben bereits in Hamburg unsere Wohnung zu gewissen Jahreszeiten und Aktionen geöffnet. Es gibt viele Menschen, die sich für unseren Lebensstil interessieren. So kam die Idee auf, Führungen anzubieten. Das Feedback darauf war sehr gut.

Der Blick in das Esszimmer: Neben Antiquitäten sammeln die beiden auch Porzellan.
Der Blick in das Esszimmer: Neben Antiquitäten sammeln die beiden auch Porzellan. © FMN | Daria Brabanski

Die Villa Charlotte habt ihr komplett in Eigenregie saniert und auch eure Möbel restauriert ihr selbst. Woher stammt euer Interesse für das Gestalten und das Historische?

Michael: Sven ist gelernter Produktionsgartenbauer. Er schloss seine Ausbildung so gut ab, dass er vom Deutschen Bauernverband ein Stipendium für einen neunmonatigen Aufenthalt in Japan erhielt. Dort legte er Gärten an. Die Mutter seiner Gastfamilie handelte mit europäischen Antiquitäten.

Sven: Wenn man mit Austauschmöbeln aufwächst, die alle paar Jahre ersetzt werden, und man dann irgendwann mit Antiquitäten in Berührung kommt, liegt es relativ nahe, dass das Interesse dafür geweckt wird. Es gibt Möbel, die eine Geschichte haben, die nicht so leicht austauschbar sind. Jedes Stück, welches wir heute in der Sammlung haben, erzählt eine eigene Geschichte. Auch der Weg zu uns ist manchmal sehr abenteuerlich.

Habt ihr ein Beispiel für uns?

Sven: Der Barockschrank im Nebenzimmer stellt eine Kapitalanlage dar. In schwierigen Zeiten könnten wir ihn an vier Studenten vermieten, so groß ist er (lacht). Ich habe mich in dieses Möbelstück regelrecht verliebt – und musste zu Hause erstmal nachmessen, ob es überhaupt in den Raum passt. Außerdem musste ich bei meiner Vermieterin die Bestätigung einholen, dass wir Eichenbalken im Haus haben, denn der Schrank wiegt 450 Kilogramm. Und ja, dieser Schrank begleitet uns jetzt. Wir sind bereits drei Mal mit ihm umgezogen. Wir kennen dieses Möbelstück durch und durch und haben bislang kein vergleichbares gesehen.

Der Transport ist sicher äußerst aufwendig …

Michael: Man kann ihn auseinanderbauen, wie alle unsere Möbel. Bei dem Schrank ist es jedoch so, dass allein die Krone etwa 150 Kilo wiegt. In der Villa wollten wir deshalb kein unnötiges Risiko eingehen und haben den Schrank im Erdgeschoss aufgestellt.

Sven: Hinter dem Buffet im Wintergarten steckt auch ein kleines Abenteuer.

Michael: Es stammt aus Schlesien, dort haben wir es im tiefsten Winter abgeholt.

Die Küchenzeile ist ein kleines Highlight der Villa, denn hier entstehen die kulinarischen Köstlichkeiten, die das Ehepaar ihren Gästen zaubert. So sieht man die Raritäten auch im alltäglichen Gebrauch. 
Die Küchenzeile ist ein kleines Highlight der Villa, denn hier entstehen die kulinarischen Köstlichkeiten, die das Ehepaar ihren Gästen zaubert. So sieht man die Raritäten auch im alltäglichen Gebrauch.  © FMN | Daria Brabanski

Wie viele Möbelstücke besitzt ihr mittlerweile?

Michael: Zehn Zimmer sind komplett im Stil der Gründerzeit mit entsprechenden Möbeln eingerichtet. Die Anzahl ist wirklich schwer zu schätzen, zumal die Möbel unterschiedlich groß sind.

Sven: Es ist mittlerweile so weit gekommen, dass das Buffet ausgelagert werden musste. Ich habe diese Veranda mit Wintergarten extra bauen müssen, da sich mein Mann in einen neuen Schrank für das Esszimmer verliebt hat.

Michael: (schmunzelt) In diesem Haus steckt wirklich eine Vielzahl von Geschichten. Die Fenster für den Wintergarten haben wir beispielsweise zufällig bei einem anderen Fund im Keller entdeckt. Oder die Eingangstür, die ich mit halb geöffnetem Kofferraum aus Belgien abgeholt habe. So bereisen wir halb Europa, um Gegenstände zu sammeln. Auch Freunde werden in diesen Prozess einbezogen, obwohl sie immer vorsichtiger werden (lacht).

Sven: Die großen Transporte winken sie inzwischen im Voraus ab, weil mein Mann immer nur ungefähre Maße angibt – das ist nicht so groß und auch nicht so schwer, passt ins Auto. Und dann stehen sie da und haben mitunter Schwierigkeiten. Die eigentliche Arbeit fängt aber tatsächlich erst danach an.

Die zarte Frauenzimmeruhr mit eleganten floralen Malereien wurde im 19. Jahrhundert, wie der Name bereits verrät, in einem Zimmer für Damen platziert.
Die zarte Frauenzimmeruhr mit eleganten floralen Malereien wurde im 19. Jahrhundert, wie der Name bereits verrät, in einem Zimmer für Damen platziert. © FMN | Daria Brabanski

Weil ihr die Möbelstücke aufbereiten müsst?

Sven: Genau. Bei manchen lohne eine Restaurierung, bei anderen nicht. Dem Buffet, über das wir gerade gesprochen haben, fehlten sämtliche Metallteile. Schlösser, Beschläge – alles war ausgebaut worden. Diese habe ich nun wieder ergänzt. Auch die obere Arbeitsplatte, komplett aus Eiche, war durch die Hitze von abgestellten Kochtöpfen beschädigt worden. Wir haben deshalb eine Granitplatte daraufgelegt, das war durchaus üblich in jener Zeit. Wenn man genau hinschaut, kann man erkennen, dass der Schrank an einigen Stellen etwas dunkler verfärbt ist. Das rührt daher, dass keine Griffe mehr vorhanden waren und sich im Laufe der Zeit Körperfett am Schrank abgelagert hat. Deshalb ist das Holz dort dunkler, fast schon schwarz.

Michael: Es gibt zwei verschiedene Ansätze: Man kann zum einen alles restaurieren lassen. Aber das kostet viel und die Objekte werden danach teilweise wertlos, weil man nicht mehr erkennen kann, ob sie alt sind oder nicht. Wir verfolgen eher den Ansatz, dass ein Möbelstück, das beispielsweise 140 Jahre alt ist, auch so aussehen darf. Das bedeutet nicht, dass es schmutzig sein muss, aber Sven geht bei der Restaurierung sehr behutsam vor. Das spart zudem eine Menge Geld.

Sven Bartsch-Siegmund hat sich über die Jahre viele handwerkliche Fähigkeiten angeeignet. Heute bereitet er selbst Antiquitäten auf, gießt Stuck und versieht die Decken der Villa mit historisch anmutenden Motiven.
Sven Bartsch-Siegmund hat sich über die Jahre viele handwerkliche Fähigkeiten angeeignet. Heute bereitet er selbst Antiquitäten auf, gießt Stuck und versieht die Decken der Villa mit historisch anmutenden Motiven. © FMN | Daria Brabanski

Woher nehmt ihr euer Know-how?

Michael: Ganze 30 Jahre sammeln wir nun unser Wissen – wir sind Autodidakten. Wir besuchen verschiedene Museen, tauschen uns mit Sammlern aus, lesen, interessieren uns für Forschung und lernen viel von den Objekten selbst.

Wie gelingt euch, die Balance zwischen modernem Wohnkomfort und dem Erhalt des historischen Charmes?

Sven: Das ist eigentlich kein Problem. Dieses Haus wurde 1894 gebaut, ähnlich wie unsere Wohnung in Hamburg. Der Unterschied liegt darin, dass wir hier mehr Platz haben und wir uns alles so einrichten können, wie wir wollen. Für uns ist dieser Ort ein kultureller Raum, der jedoch nicht von jedem einfach so betreten werden kann. Das ist uns wichtig.

Michael: Führungen sowie das Kaffeetrinken gibt es nur nach vorheriger Anmeldung. Wir möchten eine Art Gründerzeit-Event schaffen, bei dem die Besucher für etwa zwei bis zweieinhalb Stunden in eine andere Welt eintauchen können. Danach verlassen sie unser Haus auch wieder und wir haben es für uns allein.

Michael Bartsch kennt jedes noch so kleine Schmuckstück in der Villa in und auswendig. Für die Suche nach weiteren Antiquitäten nimmt er weite Strecken in Kauf. 
Michael Bartsch kennt jedes noch so kleine Schmuckstück in der Villa in und auswendig. Für die Suche nach weiteren Antiquitäten nimmt er weite Strecken in Kauf.  © FMN | Daria Brabanski

Dann stört euch der viele Besuch gar nicht?

Sven: Für mich ist das Alltag – ich lebe und arbeite hier. So haben wir uns das ausgesucht.

Wie geht es für euch weiter?

Michael: Ich hoffe, dass wir nie mit der Arbeit an unserer Villa fertig sind. Für einige Zimmer müssen wir noch besondere Highlights finden und irgendwann das Gebäude von außen streichen. Wir fühlen uns als Teil der Sammler-Gemeinschaft. Aber in unserem Zuhause tauchen wir in unsere eigene Welt ein.

Dieser Artikel ist erschienen im Interieur- und Lifestyle-Magazin „Exklusive Wohnwelten“ .

Der Hinterhof ist ein Ort für familiäre Zusammenkünfte, die dem Ehepaar besonders wichtig sind. Den Wintergarten hat Sven aus historischen Fundstücken zusammengesetzt. 
Der Hinterhof ist ein Ort für familiäre Zusammenkünfte, die dem Ehepaar besonders wichtig sind. Den Wintergarten hat Sven aus historischen Fundstücken zusammengesetzt.  © FMN | Daria Brabanski