Osterode. Fast 8.000 Menschen feiern ihre Stars am Wochenende in Osterode frenetisch. Womit die Stars das Publikum überraschen konnten.

Es ist wieder Ruhe eingekehrt in Osterode am Harz. Zwei Tage lang hat das Live am Harz Open-Air mit Schlager und Deutsch-Pop die Stadt in Wallung versetzt – fast 8.000 Menschen feierten ausgelassen auf der Bleichestelle Künstler wie Nino de Angelo, Mickie Krause, Kamrad und Wincent Weiss. Selbst das wechselhafte Wetter der vergangenen Wochen spielte mit. Das Konzept der Veranstalter ist aufgegangen, auch weil man sich auf einen Mix der Stilrichtungen eingelassen hat, der vielen Zuschauerinnen und Zuschauern die Chance gab, das Festival zu genießen.

Und die Künstlerinnen und Künstler haben gezeigt: Wenn man nur genau hinhört, offenbaren sich Verweise, die man in solchem Umfeld kaum erwartet hätte.

Tag 1: Die Schlagerparty in Osterode mit Rock-Allüren und Holländerwitzen

Schlager ist nicht jedermanns Sache. Doch Schlager ist nicht gleich Schlager, was die Künstlerinnen und Künstler am Freitag auf der Bleichestelle unter Beweis stellen. Auch wenn es im Schlager nicht generell üblich ist, mit einer begleitenden Live-Band aufzutreten, so haben alle Musiker an diesem Tag bewiesen, dass sie eines definitiv spielen können: nämlich ihr Publikum.

Eloy de Jong macht den Anfang mit einem Augenzwinkern: Der Niederländer beschwert sich auf der Bühne über die ganzen Holländer auf der Autobahn, die seine Anreise in eine Tortur verwandelt hätten. Im Meet and Greet kurz vor seinem Auftritt hat er bereits freimütig erzählt, dass er und seine Familie einen Zweitwohnsitz in der Eifel haben – das qualifiziert ihn mutmaßlich, sich auch mal über die eigenen Landsleute ärgern zu dürfen. Das Publikum weiß die Selbstironie zu schätzen; seine Musik natürlich auch.

Kerstin Schlieter ist gemeinsam mit ihrer besten Freundin aus Herzberg gekommen: Sie hat das exklusive Preisausschreiben des Harz Kuriers gewonnen und darf Eloy de Jong vor dem Konzert treffen. „In den 90ern war ich ein Fan von „Caught in the Act“ – jetzt so 30 Jahre später frage ich mich schon, wie er als Mensch wohl ist“, berichtet sie unserer Zeitung. Und sie hat eine Vermutung: „Ich glaube, dass das ein ganz bodenständiger Kerl ist.“ De Jong nimmt sich die Zeit für seine Fans und plaudert ganz offen über sein Leben zwischen den Niederlanden und Deutschland: „Ich liebe die Natur hier, vor allem die Berge – für uns Holländer sind das Berge“, spasst er.

So nah kommt man den Stars selten: Kerstin Schlieter (Mitte) und ihre beste Freundin Bianca (links) zusammen mit Eloy de Jong.
So nah kommt man den Stars selten: Kerstin Schlieter (Mitte) und ihre beste Freundin Bianca (links) zusammen mit Eloy de Jong. © FMN | Kevin Kulke

Humor ist eine entscheidende Komponente beim Schlager. Und trotzdem kommt auch eine Schlagerparty nicht ohne ein bisschen Kontrastprogramm aus. Nach dem leichten Sound von Eloy de Jong, Mia Weber oder Pia Sophie, den meisten bekannt aus Deutschland sucht den Superstar, betritt Nino de Angelo die Bühne. Doch die Zeiten, als der Jüngling mit „Jenseits von Eden“ die Herzen schneller schlagen ließ, sind vorbei. Der 60-Jährige hat sich zwischenzeitlich im Baukasten der Rockstars bedient: Schwarzes Kreuz am Rosenkranz wie bei Black Sabbath, Tattoos und ein schlohweißer Vollbart, als würde er bei Santiano das Rahsegel reffen. Und die Musik? Powerballaden mit düsterem Gitarrensound. Dieses Rezept haben in der Vergangenheit auch andere deutsche Popmusiker für sich entdeckt – wer es nicht glaubt, möge mal nachhören, wie Joachim Witt heute klingt. Die 2.000 Gäste, die am ersten Tag des Open-Airs auf die Bleichestelle gekommen sind, feiern es trotzdem, vor allem als er dann doch noch „Jenseits von Eden“ zum Abschluss singt.

Die Highlights vom Live am Harz Open-Air 2023 in Osterode: Am ersten Tag spielten Mia Weber, Eloy de Jong, Pia Sophie, Nino de Angelo und Mickey Krause live auf der Bleichestelle bei der großen Schlagerparty.
Die Highlights vom Live am Harz Open-Air 2023 in Osterode: Am ersten Tag spielten Mia Weber, Eloy de Jong, Pia Sophie, Nino de Angelo und Mickey Krause live auf der Bleichestelle bei der großen Schlagerparty. © FMN | Kevin Kulke

Mickie Krause: Are we human, or are we dancer?

Den Abschluss am Freitag macht der Mann, auf den sie alle gewartet haben: Mickie Krause. Der 53-Jährige bringt einen Hauch Mallorca nach Osterode, allerdings im halbwegs jugendfreien Format, das hatten im Vorfeld schon die Veranstalter betont. Insofern bleiben bei der Show die allzu derben Zoten aus, dafür überrascht auch Krause mit unerwarteten Klängen. Denn als der Abend sich zum Ende neigt und der Sänger das Publikum fragt, welchen Song sie denn zum Abschluss hören wollten, unterbricht er die zahlreichen Einwürfe mit dem Song „Human“ von The Killers.

Und das Publikum? Es stimmt ein. Erstaunlich textsicher gleitet der spontane Bleichestelle-Chor am Ende zwar zu Krauses Hit „Zehn nackte Frisösen“ hinüber, die Melodie bleibt aber am Ende die der Rockband aus Las Vegas. Als an diesen Freitagabend die Besucherinnen und Besucher nach Hause ziehen, tun sie es in der Gewissheit, dass hinter der Figur „Mickie Krause“, mit seinen Frauenwitzen und Liedern über die Freude am Alkoholmissbrauch, eine Künstlerseele schlummert, die es sich hie und da erlaubt, hervorzubrechen.

Tag 2: Spiel den selben Song noch mal

Mit dem zweiten Tag wechselt das Konzept. Am Samstag ist es nicht länger Schlager, der Osterode bestimmt, sondern mehrheitlich deutschsprachige Popmusik. Die Newcomerin Charlie Klauser macht mit freundlichen Gitarrenklängen und Kunststudentenpoesie den Auftakt. Als die Wolkenberge über dem Harz sich langsam auftürmen, folgt ihr Tim Kamrad aus Wuppertal. Das Wetter wagt einen kurzen Angriff, scheitert aber nach minimalem Regenschauer – vermutlich an der guten Laune auf der Bleichestelle.

Charly Klausner live in Osterode.
Charly Klausner live in Osterode. © Jahn Pictures/FMN | Frank Neuendorf

Denn Kamrads Rocksound begeistert das Publikum, das durch die Husche durchfeiert: Die Beifallkulisse hat sich auf über 5.700 Zuschauerinnen und Zuschauer erhöht. Dabei fällt auf, waren zur Schlagerparty vor allem älteres Publikum gekommen, am Samstag sind es die jungen bis ganz Jungen, die gekommen sind. Und: Die meisten von ihnen sind Frauen und Mädchen. Was die „Beatles“ in den 60ern waren und die „Backstreetboys“ in den 90ern, das sind heute eben Künstler wie Kamrad und Wincent Weiss.

Da verzeiht das Publikum auch, dass Kamrad seinen Einstiegssong („I Believe“) auch als letzten Song spielt. Im Gegenteil: Das Kreischen über den Hit, der nach einem Jahr auf der Videoplattform Youtube schon 8,6 Millionen Klicks gesammelt hat, war vermutlich in Lerbach noch gut zu hören. Manche Dinge ändern sich nicht.

Kamrad gibt alles und begeistert das Publikum.
Kamrad gibt alles und begeistert das Publikum. © Jahn Pictures/FMN | Frank Neuendorf

Wincent Weiss im Publikumsbad

Was zu der These zurückführt: Ein guter Popmusiker beherrscht seine Instrumente und sein Publikum im gleichen Maße. Das zeigt auch der größte Star des Festivals: Wincent Weiss. Der 30-Jährige macht Musik mit positiver Botschaft für die Generation Z. Und vermittelt in seinen Songs und dazwischen: Auf Druck aus den sozialen Netzwerken darf man sich nicht einlassen – man ist gut so wie man ist. Seine jungen Fans lieben ihn dafür und er liebt sie zurück. Kaum steht Wincent Weiss auf der Bühne, springt er vom Catwalk, klettert über das Hamburger Gitter und badet in der Menge aus ekstatischen Fans: Ausnahmezustand auf der Bleichestelle.

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Zwei Stunden spielt Wincent Weiss so, präsentiert alle seine Hits. Und die Fans sind vorbereitet, wollen ihrem Idol zeigen, wie sehr sie seine Botschaft verinnerlicht haben. Grüne Herzen, die der Fanclub unter den Zuschauerinnen und Zuschauern verteilt hat, werden zum verabredeten Zeitpunkt in die Höhe gehalten. An anderer Stelle werden die Handylichter zum glitzernden Sternenmeer. Die Fans sind verzaubert, unter ihnen auch Bürgermeister Jens Augat oder Landtagsabgeordneter Alexander Saade (beide SPD), die an beiden Tagen persönlich beaufsichtigen, dass die zweite Auflage von Osterodes Musikfestival ohne Zwischenfälle abläuft.

Die Tradition 2024 fortsetzen

Die gab es auch nicht. Die Veranstalter berichten am Montag, dass alles reibungslos vonstattengegangen sei. Und sie betonen, die Tradition eines Open-Airs in Osterode auch im kommenden Jahr fortsetzen zu wollen. „Eine Tradition beginnt mit dem zweiten Mal“, hatte Jan Mewes von der verantwortlichen Mewes Entertainment Group schon am Freitag gesagt. Insofern stehen die Zeichen gut – bleibt zu hoffen, dass Osterode diese neue Tradition wird behaupten können. Zu viel Kultur, das gibt es gar nicht.

Tausende strömen zum Live am Harz-Open-Air auf die Bleichstelle.
Tausende strömen zum Live am Harz-Open-Air auf die Bleichstelle. © Jahn Pictures/FMN | Frank Neuendorf