Hamburg. E-Sport-Turniere füllen weltweit große Hallen. Welches Erlebnis bietet so ein Event? Ein Sprung ins Getümmel.

Der Naturprophet, eine Kreatur mit Hörnern und blauer Kriegsbemalung, steht eingekesselt zwischen drei Gegnern. Ein zweiköpfiger Drache speit laut sprotzelnd Eis und Feuer, Chaos-Ritter und Erdenschüttler schlagen auf ihn ein – er stirbt. Es ist der erste von 569 Toden an diesem Tag. „Super Sache“, rufen die Kommentatoren auf Englisch, etwa 10 000 Zuschauer klatschen und jubeln. Vier Sekunden später ist die Figur wieder im Spiel.

Die Szene aus dem Strategie-Computerspiel „Dota 2“ läuft auf überdimensional großen Leinwänden in der Barclaycard-Arena in Hamburg. Hier wird ein E-Sport-Turnier ausgetragen, das „ESL One“ der privat betriebenen Electronic-Sports-League.

Dabei treten acht Teams aus der ganzen Welt mit je fünf Spielern gegeneinander an. Die zwei besten Teams eines vorangegangenen Turniers in der Größe einer Weltmeisterschaft wurden direkt eingeladen, die anderen haben sich bei regionalen Turnieren qualifiziert. Jeder Spieler steuert eine Heldenfigur, mit der er versucht, die Basis der gegnerischen Mannschaft zu zerstören. Der Lohn: Preisgelder in Höhe von insgesamt einer Million Dollar. Das finanzieren der Spieleentwickler und mehrere Sponsoren.

Gerade kämpft das chinesische Team „Keen Gaming“ gegen die Brasilianer von „SG E-Sports“. Die Luft ist trocken, es riecht nach Bier. Die Menge plappert, hier auf Deutsch, da auf Chinesisch, meist auf Englisch.

Als die etwa 20-jährigen Spieler zu Beginn des Wettkampfes in bunten Trikots unter pathetischen Streicherklängen und Scheinwerferflackern einlaufen, klatschen die Zuschauer sie ab, schießen Selfies, bejubeln sie wie Popstars. „Boah, sind die jung“, raunt einer. Dann sitzen die Teams auf einer Bühne, dem Publikum zwar zugewandt, doch sie verschwinden hinter ihren Computerbildschirmen. So bleibt nur, ihr virtuelles Handeln über die Leinwände zu verfolgen, die intensiv in der abgedunkelten Halle leuchten.

Die Zuschauer bejubeln alle Teams, nicht nur die Sieger

Die Kämpfe, die die Sportler austragen, sind für Außenstehende nur schwer zu verfolgen. Die Figuren bewegen sich rasend schnell. Alle paar Sekunden ist das Spiel aus der Perspektive eines anderen der zehn Helden zu sehen, dazu wimmelt es von computergenerierten Monstern. Es faucht, wummert und kracht aus den Lautsprechern. Durch sie werden auch die Stimmen der englischsprachigen Kommentatoren übertragen, die sich beim Sprechen beinahe überschlagen.

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Ein Blick auf die jubelnde Menge: Was kriegen die Einzelnen von dem Schlachtgetümmel auf den Leinwänden vor ihnen mit? Im Unterrang sitzt die 20-jährige Linda und blickt gebannt nach vorn. Das Pferdekopf-Logo einer europäischen Mannschaft prangt als Airbrush-Tattoo blau auf ihrem blassen Nacken, ihren Zopf hat sie zur Seite geflochten. „Ach, wenn alle auf einem Haufen sind, schau ich einfach auf die Anzeige, wer gerade sein Leben verliert“, sagt sie. Linda zockt selbst

„Dota 2“, ihr Freund hat sie auf das Spiel aufmerksam gemacht.

„Das hier ist besser als andere Sportturniere und als jedes Festival“, sagt die Kölnerin strahlend, „weil sich die Leute für alle Teams freuen, egal wer gewinnt.“ Noch ist E-Sport in Deutschland nicht als echter Sport anerkannt, aber das komme noch; und noch sind wenig Frauen vor Ort, „aber mehr als ich gedacht habe, und hey, es ist super, ich muss gar nicht Schlange stehen vor den Toiletten.“ Sie grinst und wendet sich wieder dem Turnier zu.

Nicht alle Plätze sind gefüllt auf den Rängen, viele Besucher tummeln sich außerhalb der Arena im ringförmigen Gang. Sie plaudern, essen, trinken, shoppen. Eine zwölfköpfige Jungentruppe zieht mit prall gefüllten Tüten vom Merchandising-Stand zum Bierausschank.

Cosplayer leben die Rollen ihrer Lieblingshelden aus

Um die Sitzenden herum flanieren Cosplayer, die sich als einer der mehr als hundert Helden aus dem Spiel verkleidet haben. Sebastian posiert als „Warlock“ in einem roten Gewand, einen 2,20 Meter langen Stab in der einen Hand, eine leuchtende rot-gelbe Kugel an einer Kette in der anderen. Eine Gruppe Besucher fotografiert ihn, hinter ihnen fuchteln schon die nächsten mit ihren Handys.

„Ich habe einen Großteil des Turniers verpasst, weil ich hier nicht vorankomme“, sagt der 23-Jährige und verdreht die Augen. Seine gelben Kontaktlinsen verrutschen dabei. „Ursprünglich war der Plan, einfach nur hier zuzusehen, aber dann habe ich beschlossen, beim Cosplay mitzumachen. Das ist dann eskaliert, weil ich es so detailgetreu wie möglich machen wollte“, erzählt Sebastian mit deutlich österreichischer Sprachfärbung. „Er hat das total unterschätzt“, wirft ein nebenstehender Freund ein.

Das ESL-One-Turnier in Hamburg

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Die Wahl des Helden fiel Sebastian leicht, „der kann einen Feuergolem beschwören, saucool!“ Schon seit der Grundschule zocke er. Er hätte Angst gehabt, dass das in eine Sucht abgleiten könnte. „Aber ich konnte es ja unterbrechen, um das Kostüm zu machen, also kann es so schlimm nicht sein“, so der Cosplayer.

Gerade steckt sein Lächeln wie festgetackert in seinem Gesicht, weil er vorhin sein Lieblingsteam gesehen hat, Virtus Pro, eine Mannschaft mit russischen und ukrainischen Spielern. „Ich hätte mir gerne ein Autogramm geholt, aber die Manager meinten, dass man die am besten gar nicht anfassen darf“, sagt er, „so hat es nur für ein Grinsen gereicht.“

Am Ende des Turniers wird Sebastian aus dem Grinsen gar nicht mehr herauskommen. Virtus Pro gewinnen das „ESL One“, das Finale wird auch im Fernsehen übertragen. Das Team erhält eine Prämie in Höhe von 500 000 Dollar – und reist weiter zum nächsten Wettbewerb in Kroatien, dann nach Moskau, Barcelona, Schweden. So weit reist ihnen der Wiener Cosplayer nicht hinterher – „aber Hamburg ist definitiv nicht mein letztes Turnier.“