Braunschweig. Die Populärkultur verändert sich rasant – auch im Braunschweiger Land.

Als vor 40 Jahren das Schlucklum in Lucklum eröffnete, da platzte der Saal aus allen Nähten, wenn Jazzer wie Jasper van’t Hof oder Rockbands wie International oder Fee auftraten. Die Leute fuhren meilenweit aus Braunschweig und Wolfenbüttel an den Elmrand, um gedrängt wie die Ölsardinen Musik pur zu lauschen, ohne Lichtshow oder High-tech-Bühne.

Als dagegen vor wenigen Tagen das virtuose Progressiv-Rock-Trio Mother’s Cake mitten in Braunschweig losfegte, verloren sich gerade mal drei Dutzend Rockfans zumeist mittleren Alters im Club Eulenglück. Der Laden füllte sich erst später, als elektronische Musik vom Plattenteller aufgelegt wurde.

Zwei Schlaglichter nur, klar, und doch erhellend. Die Populärkultur verändert sich weit rasanter als die Hochkultur, und ihre Königsdisziplin Rockmusik, einst Sinnbild ewiger Jugend und ewiger Revolte, ist plötzlich der Sound von gestern.

Man kann sich darüber hinwegtäuschen, wenn man mit zehntausenden anderen die Rolling Stones abfeiert, Guns’n’Roses oder Udo Lindenberg. Diese Denkmale ziehen noch, weil sie mehrere Generationen ansprechen, und weil heute niemand mehr etwas daran findet, mit Mitte 60 in Jeansklamotten auf einem AC/DC-Konzert abzutanzen. Aber es sind Nostalgieveranstaltungen.

Es gibt auch ein paar jüngere Künstler, die große Hallen füllen. Coldplay, Kraftklub, AnnenMayKantereit, auch Helene Fischer oder Unheilig. Ist eine kritische Masse von Fans erreicht, werden Stars und ihre Konzerte durch die pure Größe zum Event. Aber unterhalb dieser Champions-League, in der Bundes- oder Zweiten Liga spielt sich deutlich weniger ab als noch vor 20 Jahren. Die Allgegenwart des Internets hat Musik entwertet, in vieler Hinsicht. Kaum jemand kauft mehr CDs, weil man praktisch alles kostenlos oder für wenige Euro monatlich hören kann, als Streaming. Und weil ständig alle Hits verfügbar sind, sind Alben ein Auslaufmodell – die Marginalisierung dieser Band-Visitenkarten zieht einen Bedeutungsverlust der Bands nach sich, auch als Vermittler von Lebenseinstellungen.

Bis in die 90er Jahre hinein war Popmusik das zentrale Identitätsstiftungsangebot für Jugendliche – und das grellste, schnellste und abwechslungsreichste Medium sowieso. Das Internet hat ihr den Rang abgelaufen. Es ist schneller, bunter und günstiger, Egoshooter- und Virtual-Reality-Spiele sind vermutlich mindestens so aufregend wie eine Rockshow, Filmchen jeder Art bis hin zum Hardcore-Porno sind frei verfügbar – es gibt eigentlich keinen zwingenden Grund mehr, die geile Virtual Reality für einen muffigen Live-Club einzutauschen. Auch ein anderes wichtiges Element seiner Anziehungskraft hat Rockmusik eingebüßt – den Ruch von Rebellion. Bis weit in die 90er Jahre hinein standen die meisten Jugendlichen den konservativen Altvorderen kritisch gegenüber. Rock war der Sound des kritischen Bewusstseins.

Heute, da sich die liberale Weltsicht durchgesetzt hat, da praktisch alles erlaubt ist, gibt es keine Widerstände mehr, gegen die man mit Rage Against the Machine im Kopfhörer anrennen könnte. Wer braucht dann noch Rage Against The Machine? Oder das Schlucklum?

Für die freizügige Leistungsgesellschaft bringt man sich besser im Fitnessstudio in Form als in der Musikkneipe. Und was geschieht? Überall eröffnen Fitnessstudios. Und die Musikkneipen schließen – das Schlucklum schon vor 20 Jahren. Die kultige Bassgeige in Braunschweig hält doppelt so lange durch – als Club der entspannten Senioren.