Wolfenbüttel. Der Boxer Mohammad Ghalandari erzählt von seinen Zielen und seiner Flucht nach Deutschland.

Nach links, nach rechts! Grünlich schimmert die Deckenbeleuchtung auf den PVC-Hallenboden. Die rund 30 Jungs und 2 Mädchen pusten: pfft! pfft! pfft! Rechts! Links! Einige tänzeln beim Training im Box-Athletic-Club (BAC) Wolfenbüttel, andere wackeln eher. Nach den schnellen Sprüngen können ein paar schon nicht mehr. Mohammad Ghalandari gehört nicht dazu. Er will noch. Will nicht aufhören.

„Wenn ich trainiere, dann muss ich nicht nachdenken“, sagt der 18-Jährige an einem anderen Abend im Vereinsheim. Früher war hier der TSV Germania. Heute hat der BAC dort die Wände mit seinen Erfolgsgeschichten tapeziert.

Ghalandari kam mit 17 Jahren nach Deutschland – als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling. „Ich habe zwei Ziele im Leben: Sport und Schule“, sagt er. Weil ihm beides verwehrt worden sei, er als Afghane im Iran „immer wieder heruntergedrückt“ worden sei, beim Sport nach jedem Aufstieg wieder habe absteigen müssen, nicht zur Universität habe gehen dürfen, sei er geflohen.

Einen Monat lang war er unterwegs. Allein. Die Familie blieb im Iran. „Vom Iran aus lief ich zu Fuß in die Türkei“, erzählt er. „In der Unterwelt“, sagt er in fließendem Deutsch, „gibt es keine Brüder, keine Regeln. Man kann niemandem trauen. Gerade, wenn man allein unterwegs ist.“

Er hatte Angst. Schließlich hätte es jeden Moment vorbeisein können. „Ich konnte nicht schlafen, nie richtig.“ Auf dem Viktoria-Platz in Athen sah er Familien wohnen wie Obdachlose, ohne Hoffnung. Auch er habe Angst gehabt, dies könne auch seine Zukunft sein.

Erst im Zug durch Slowenien, die Slowakei und Österreich in Richtung Deutschland habe er sich in Sicherheit gewähnt. Erst dann habe er schlafen können. Einen Monat lang habe seine Reise gedauert.

Hinten, im Nebenraum, ist Kettengerassel zu hören, die Freunde machen sich schon einmal warm und schlagen auf die von der Decke hängenden Boxsäcke. „Ich mag Herausforderungen und zu kämpfen, aber das Ankommen war schwer“, sagt Ghalandari. Nicht nur die Sprache sei anders: Deutschland sei eine ganz andere Welt. „Im Iran habe ich auf der Straße noch nie eine unverschleierte Frau gesehen“, sagt er. Daran musste er sich erst gewöhnen.

In Wolfenbüttel geht es um seine Zukunft. Beim Boxen: „Mein großer Traum ist Olympia. Ich weiß, dass er sehr hochgegriffen ist, aber momentan trainiere ich auch zweimal am Tag.“ Er gönnt sich keine Pause.

In seinem Zimmer in Remlingen hat er Fotos von afghanischen Boxern aufgehängt, damit sie ihn motivieren. Er lerne jeden Tag, auch mit den anderen Flüchtlingen spreche er so gut es gehe Deutsch.

„Das hat mir Hacki auch immer gesagt.“ Hacki ist Ulrich Hackbarth, Präsident des BAC und Ziehvater für viele der Jungs.

Wenn Ghalandari redet, fokussieren sich die Augen klar auf sein Gegenüber. Er redet schnell. Auf seinem grauen Pulli ist ein großer Aufdruck von Mohammed Ali. „Viele mögen keine Ausländer oder Flüchtlinge. Mit dem Boxen möchte ich ein gutes Bild zeigen.“

„Am liebsten würde ich studieren“, sagt er. Aber das sei nicht so einfach. Seine Zeugnisse seien im Mittelmeer untergegangen. Er gehe in die 11. Klasse und habe wieder Angst, könne wieder nicht schlafen, seitdem Afghanistan als sicheres Herkunftsland deklariert worden sei. „Ich kriege Albträume und hab’ Angst, dass ich wieder dort bin, allein“, sagt Ghalandari.

Demnächst will er eine Ausbildung zum Elektroniker anfangen. „Dann darf ich zumindest während der Ausbildung hierbleiben, dann sind erst einmal die bösen Träume weg. Ich muss positiv denken.“ Die Ausbildung sei zwar super und der Betrieb nett, aber eigentlich wolle er die Schule auch abschließen, um dann zu studieren – Flugzeugmechanik und Wirtschaft. „Ich mag kämpfen, aber manchmal ist es ungerecht“, sagt der junge Mann und meint die Bürokratie. Aber: So sei das Leben. Er zuckt mit den Schultern.

Aber beim Boxen und insbesondere von Ulrich Hackbarth habe er das richtige Prinzip gelernt: „Mal gewinnt man, mal verliert man. Aber man muss es immer versuchen, immer trainieren, immer fleißig sein, um doch noch Gold zu kriegen“, sagt Ghalandari. Am 21. Januar sind die Verbandsmeisterschaften. Da hat er seine nächste Chance.