Schöningen. Die Schöninger Speere sind die ältesten gut erhaltenen Jagdwaffen der Welt. Eine Inventur auch anderer dortiger Funde zeigt Erstaunliches.

Die Fundstätte von Schöningen im Landkreis Helmstedt hat den Blick auf die vor 300.000 Jahren lebenden Menschen revolutioniert. Sie zeigte, dass die damaligen Bewohner – vermutlich die gerade im Entstehen begriffenen Neandertaler – bereits versiert Waffen herstellen konnten. Nun ergibt eine Bestandsaufnahme aus Schöningen, wie kundig die damaligen Menschen auch andere Werkzeuge aus Holz fertigten.

Die insgesamt 187 hölzernen Funde zeigten ein breites Spektrum an Holzbearbeitungstechniken, schreibt die Forschungsgruppe um Dirk Leder vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in den „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“). Unter den Gegenständen sind demnach mindestens 20 Jagdwaffen und 35 weitere Werkzeuge, die wohl für den häuslichen Gebrauch eingesetzt wurden, etwa zur Bearbeitung von Tierhäuten.

Die Fundstätte in dem Braunkohletagebau lag damals an einem Seeufer. Weltberühmt ist sie heute vor allem wegen der bislang zehn dort gefundenen Speere, die bis zu 2,5 Meter lang sind. Sie gelten als die mit Abstand ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen weltweit. Sieben weitere Objekte wurden wohl als Wurfhölzer ebenfalls zur Jagd eingesetzt.

Holz für Speere und Wurfhölzer kam aus Elm und Harz

„Jagdwaffen waren nicht einfach nur Stöcke mit Spitzen, sondern technisch fortgeschrittene Werkzeuge“, schreibt die Gruppe. Die Objekte wurden überwiegend aus Fichten gefertigt, aber auch aus Kiefern und Lärchen. Das Rohmaterial stammte nicht aus der direkten Umgebung, sondern vom nahegelegenen Höhenzug Elm oder sogar aus ferneren Regionen wie dem Harz.

Speere (links) und Wurfhölzer (rechts) vom Speerhorizont der Fundstelle Schöningen wurden für die Jagd auf Groß- und Kleinwild verwendet. Fragmente wurden zeichnerisch ergänzt.
Speere (links) und Wurfhölzer (rechts) vom Speerhorizont der Fundstelle Schöningen wurden für die Jagd auf Groß- und Kleinwild verwendet. Fragmente wurden zeichnerisch ergänzt. © DPA Images | Minkusimages | NLD

Die Funde zeugen demnach von langer Erfahrung in der Holzbearbeitung, technischem Know-how und von komplexen Arbeitsvorgängen. So wurde teilweise die Rinde entfernt, ein Teil der Oberfläche abgeschliffen und Enden angespitzt.

„Es lässt sich eine deutlich umfangreichere und vielfältigere Bearbeitung von Fichten- und Kiefernhölzer nachweisen als bislang gedacht“, wird Erstautor Leder in einer Mitteilung zur Studie zitiert. Ausgewählte Holzstämme seien zu Speeren und Wurfhölzern verarbeitet worden, während beschädigte Objekte auch repariert oder recycelt wurden. Mit der sogenannten Spalttechnik sei zudem erstmals eine neue Form der Bearbeitung für diese Epoche nachgewiesen worden. Für die Studie wurden die Funde mit modernen Methoden wie 3D-Mikroskopie untersucht.

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Die Objekte wurden seit den 1990er-Jahren zusammen mit Steinwerkzeugen und Tierknochen in Ablagerungen am damaligen Seeufer in etwa zehn Metern Tiefe gefunden. Vor 300.000 Jahren habe sich in Eurasien der Homo erectus oder Homo heidelbergensis zum Neandertaler entwickelt, schreibt die Gruppe um Leder. Zu jener Zeit war der Homo sapiens gerade in Afrika am Entstehen, nach Europa kam der moderne Mensch aber erst vor grob 50.000 Jahren.