Göttingen. Neues Projekt startet an der Universitätsmedizin Göttingen: Lotsen helfen in Notaufnahme bei Betreuung älterer Patienten mit beginnender Demenz.

Stellen Sie sich vor, Sie sind alt und verwirrt und werden plötzlich als Notfallpatient in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert. Eine Situation, die auch schon für jeden Jüngeren sehr belastend sein kann. Wenn dann jemand da ist, der Ihnen zuhört, die Hand hält oder einfach nur Gesellschaft leistet, bedeutet das in einer Notsituation wie dieser dies meist eine enorme Hilfestellung. Und hier setzt ein neues Projekt der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) an, das im April startet: Ehrenamtlich Tätige und geschulte Begleiterinnen und Begleiter unterstützen in der Notaufnahme bei der Betreuung ältere Notfallpatientinnen und -patienten mit beginnender Demenz. Das Projekt „Notaufnahmelotsen“, das ebenfalls an zwei weiteren universitären Kliniken in Deutschland durchgeführt wird, fördert der Verein Hirnliga mit je 30.000 Euro

„Laut der Robert Bosch Stiftung werden in Deutschland zirka 20 Millionen Patientinnen und Patienten pro Jahr in Notaufnahmen vorstellig. Demografisch bedingt wird der Altersdurchschnitt dieser Menschen zunehmend höher. Ältere Notfallpatienten, insbesondere mit beginnender Demenz, die sich beispielsweise in zunehmender Vergesslichkeit äußert, haben ein erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Verlauf in Bezug auf Sterblichkeit, Liegedauer sowie die Wiederaufnahme in eine Notaufnahme. Speziell ein Delir, ein Zustand akuter Verwirrtheit, beziehungsweise dessen Entwicklung während des Aufenthalts in der Notaufnahme ist vor allem bei älteren Patienten mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeitsrate verbunden“, informiert die UMG in einer Pressemitteilung.

Nationale Demenzstrategie: Verwirrtheitszustand bei Patienten in Notaufnahme vermeiden

Vor diesem Hintergrund fordern verschiedene Fachgesellschaften sowie die nationale Demenzstrategie der Bundesregierung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft, dass es bei dieser Patientengruppe erst gar nicht zu einem Delir in Notaufnahmen kommt. Gleichzeitig gewinnen Vorsorgemaßnahmen an Bedeutung, um einen Verwirrtheitszustand zu vermeiden. Hierbei sollen die Notaufnahmelotsen unterstützen. In einer Pilotstudie von Mai bis Oktober 2019 in der Zentralen Notaufnahme am Campus Benjamin Franklin der Charité - Universitätsmedizin Berlin konnte bereits ein positiver Effekt von ehrenamtlich Tätigen und speziell geschulten Begleitern bei der Betreuung älterer Notfallpatienten mit Demenz im Anfangsstadium in Notaufnahmen beobachtet werden. Während der sechsmonatigen Studie begleiteten neun Notaufnahmelotsen insgesamt 112 Patienten, heißt es seitens der UMG weiter.

Aufbauend auf den Erfahrungen der Pilotstudie werden in einem gemeinsamen Projekt an der UMG, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Uniklinik Mannheim ehrenamtliche Helferinnen und Helfer für die individuelle Betreuung und Begleitung der älteren Patienten mit beginnender Demenz als „Notaufnahmelotsen“ geschult und eingesetzt. Ab April 2024 werden sich die ehrenamtlichen Begleiter in den Notaufnahmen um die älteren Notfallpatienten kümmern. „Die Effektivität der Einsätze wird durch die Notaufnahmelotsen selbst sowie durch die Patienten, deren Angehörige und das medizinische Personal wissenschaftlich begleitet und bewertet“, sagt Prof. Dr. Sabine Blaschke, ärztliche Leiterin der Zentralen Notaufnahme der UMG. „Zugleich strebt das Projekt eine verbesserte Sensibilisierung des medizinischen Personals im Umgang mit den älteren Menschen sowie eine Entlastung, vor allem des Pflegepersonals, an“, ergänzt Prof. Dr. Christine von Arnim, Direktorin der Klinik für Geriatrie der UMG.

Was sind die Aufgaben der Notfalllotsen?

Das Tätigkeitsfeld der Notfalllotsen beinhaltet in erster Linie das Vertrauen zu den Patienten aufzubauen, zum Beispiel durch Zuhören, Hand halten oder einfach nur anwesend zu sein. Als direkte Bezugsperson helfen sie bei der Orientierung der älteren Menschen in der neuen Umgebung, begleiten diese zu Untersuchungen oder beim Toilettengang und unterstützen das medizinische Personal beim Zusammentragen von Informationen sowie der Erklärung von geplanten Behandlungsmaßnahmen. Die Lotsen kümmern sich um das Wohlergehen der Patienten, indem sie Getränke anreichen, Nahrung mundgerecht zubereiten oder für Ablenkung sorgen wie vorlesen, Geschichten erzählen, Spiele spielen oder mit den Betroffenen spazieren gehen. Die Tätigkeiten werden vor Ort mit den Patienten und der betreuenden Pflegekraft individuell abgestimmt.

Wie sieht das Schulungskonzept für Notfalllotsen aus?

Nach einer schriftlichen Bewerbung und der Beantwortung eines Fragebogens findet ein strukturiertes Interview statt. Das Schulungskonzept zum Notaufnahmelotsen für interessierte Ehrenamtliche, bevorzugt aus medizinnahen Berufen, sieht Blöcke von vier mal zwei Stunden (verteilt auf vier Tage) mit abschließender Verleihung eines Zertifikats vor. Das Schulungsprogramm beinhaltet theoretischen Unterricht zu den Krankheitsbildern Delir und Demenz. Delir beschreibt einen Zustand akuter Verwirrtheit, während Demenz eine Minderung der geistigen Fähigkeiten darstellt. Der Fokus liegt jedoch nicht nur auf der reinen Vermittlung von medizinischem Wissen, sondern auch auf dem patientenbezogenen Umgang in Notaufnahmen. Als Anreiz und Entschädigung erhalten die Lotsen eine Aufwandsentschädigung für Wege- und Verpflegungskosten. Insgesamt zielt das Schulungskonzept darauf ab, die Ehrenamtlichen fundiert auf ihre Aufgabe als Notaufnahmelotsen vorzubereiten - sowohl in Bezug auf medizinisches Wissen als auch auf den einfühlsamen Umgang mit Patienten in Notaufnahmesituationen.

Nach sechs Monaten werden die neu erworbenen Kenntnisse der Notaufnahmelotsen erhoben. Gleichzeitig wird auch das Notaufnahmepersonal zu ihren Erfahrungen befragt werden. Falls möglich, werden auch Angehörige und Patienten befragt. Hieraus wird abschließend eine Bewertung der Einführung der Notaufnahmelotsen abgeleitet und der Projekterfolg gemessen.

Bei Interesse an einer Tätigkeit als Notaufnahmelotsin oder Notaufnahmelotse wenden Sie sich bitte an
demenzbeauftragte@med.uni-goettingen.de

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