Was für ein verrücktes Fußball-Jahr: Die Verbände Fifa, Uefa und DFB stehen plötzlich ohne Chefs da.

Braunschweig. 1,15 Milliarden Euro jährlich aus dem neuen TV-Vertrag für die 36 Profi-Fußballclubs ab nächster Saison, ein VfL Wolfsburg, der im Frühjahr noch im Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid antrat und jetzt mit neuem Trainer und Manager versucht, nicht abzusteigen, eine Braunschweiger Eintracht, die auf gutem Wege ist, in die Bundesliga zurückzukehren, ein Beben bei der Fifa mit dem erzwungenen Abgang von Präsident Joseph Blatter und das Halbfinal-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Frankreich – was für ein Wahnsinns-Fußballjahr hat uns in Atem gehalten.

Eintracht im Höhenflug

Sie haben sich im Sommer nach einer durchwachsenen Saison in der 2. Fußball-Bundesliga prima verstärkt. Quirin Moll, Onel Hernandez, Christoffer Nyman, Gustav Valsvik, Julius Biada und Suleiman Abdullahi – die Braunschweiger haben für ihre Verhältnisse richtig viel Geld in die Hand genommen, erstmals seit langem Ablösesummen bezahlt. Die Qualität und Tiefe des Kaders hat deutlich zugenommen und der Erfolg gibt Trainer Torsten Lieberknecht und Sportchef Marc Arnold Recht: Die Löwen sitzen zum Jahreswechsel sensationell auf Platz eins.

Die wirtschaftlichen Zahlen sprechen für Kontinuität, sauberes Wirtschaften und Euphorie: 28,86 Millionen Euro betrug der Umsatz im zurückliegenden Geschäftsjahr, rund die Hälfte davon entfiel auf die Profimannschaft, 189 052 Zuschauer passierten in der laufenden Saison die Stadiontore. Schulden sind in Braunschweig ein Fremdwort. Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt, der sogar ins Präsidium der DFL aufgerückt ist, und Eintracht-Präsident Sebastian Ebel stehen dafür, dass nur das ausgegeben wird, was verdient wird.

Mit acht Siegen und einem Remis gegen Hannover haben die Löwen dafür gesorgt, dass das Eintracht-Stadion zur Festung geworden ist, zu einer schier uneinnehmbaren. Und der Vorteil für die Rückrunde: Die meisten Mit-Konkurrenten um einen Aufstiegsplatz müssen noch vorbeischauen an der Hamburger Straße.

Muss die Eintracht bei all den guten Voraussetzungen nicht aufsteigen? „Müssen? Im Gegensatz zu anderen können wir sagen, dass wir wollen, wenn sich die Möglichkeit ergibt“, sagte Arnold in einem Interview. „Die jetzige Tabelle ist eine schöne Momentaufnahme. Wir sind gut unterwegs und die Chance ist da, aber der Weg ist weit.“

Egal, wie weit der Weg ist, Arnold und Lieberknecht gehen ihn gemeinsam. Arnold verlängerte seinen Vertrag vorzeitig bis 2019, Lieberknecht gar bis 2020. „Wenn ich in Braunschweig unterschreibe, dann ohne Wenn und Aber“, sagte Lieberknecht.

Die Krise des VfL Wolfsburg

Der VfL Wolfsburg hat ein echtes Horror-Jahr hinter sich. In der Fußball-Champions-League feierten die „Wölfe“ im Frühjahr mit dem Viertelfinaleinzug zwar den größten Erfolg ihrer internationalen Geschichte. Aber in der Bundesliga geht es seit Monaten nur noch bergab. Die Konsequenzen: Erst wurde im Sommer die halbe Mannschaft ausgetauscht, dann musste Dieter Hecking im Oktober seinen Trainerstuhl räumen. Und weil es unter Nachfolger Valérien Ismaël noch schlechter wurde, wurde auch noch Manager Klaus Allofs nach mehr als vier Jahren im Amt entlassen. 2016 ist ein Jahr des Wandels für die Wolfsburger.

Eigner Volkswagen denkt darüber nach, im Zuge der Abgaskrise seine Investitionen ins Fußballteam zu reduzieren. Bislang steuert der Autobauer knapp 100 Millionen Euro pro Jahr bei. Markenchef und Hardliner Herbert Diess überprüft seit Monaten alle Sponsoringaktivitäten von Volkswagen.

Zuletzt gab’s aber von VW-Vorstand und VfL-Aufsichtsrats-Chef Javier Francisco Garcia Sanz ein Bekenntnis: „Damit eines klar ist: Der VfL ist und bleibt ein wichtiger Botschafter von Volkswagen. Und mehr als das: Der Verein ist Volkswagen! Sehr deutlich kann ich sagen: Volkswagen steht zum VfL. Nicht nur gestern und heute, sondern auch morgen und übermorgen!“

Wenigstens eine gute Nachricht zum Ende des Horror-Jahres.

EM-Aus im Halbfinale

Portugal holte mit einem 1:0 den EM-Titel auch ohne Superstar Cristiano Ronaldo, der nach 25 Minuten im Finale gegen Frankreich verletzt ausschied, Deutschland verlor das Halbfinale gegen den Gastgeber mit 0:2 – das sind die nackten Zahlen dieses rauschenden Fußball-Sommers, der kein Sommer-Märchen, Teil 2 wurde.

Die EM-Analyse machte klar: Die Torarmut muss bekämpft werden. Gegen die Ukraine (2:0), Polen (0:0), Nordirland (1:0), die Slowakei (3:0) und beim historischen ersten Turniersieg gegen Italien (1:1/6:5 i.E.) hatte es offensiv zu sehr gehakt, die Defensive stand dagegen. Der schwache Trost: Anderen selbsterklärten Titelkandidaten wie Spanien oder den ewig scheiternden Engländern erging es mit dem K.o. im Achtelfinale noch viel schlechter.

Für den Gute-Laune-Faktor sorgten Teams wie Island und Wales, Irland, Ungarn und Nordirland. Die vermeintlich schwächeren Mannschaften hatten die DNA der Zauberfußballer geknackt. Taktische Disziplin und Teamgeist wurden als Chance, sich sportlicher Übermacht zu erwehren, erfolgreich kultiviert.

Das Halbfinal-Aus war vielleicht ein Grund dafür, dass Bundestrainer Joachim Löw seinen Vertrag bis 2020 verlängerte. Ein EM-Triumph fehlt ihm noch. 2018 bei der Weltmeisterschaft in Russland heißt das Ziel dagegen Titelverteidigung. Kroos, Neuer, Müller und Co. haben jedenfalls in der Qualifikation bisher mächtig aufgeräumt. Vier Siege und 16:0 Tore sprechen eine klare Sprache, wie überlegen die Weltmeister bisher aufgetreten sind.

Das Fifa-Beben war der Anfang

Das gab es in der Fußball-Geschichte noch nie. Fifa, Uefa und DFB mussten innerhalb eines Jahres neue Präsidenten wählen. Dubiose Geldzahlungen, Korruptionsverdacht, Vertuschungen, Festnahmen – ein Beben erschütterte den Fußball. Mit Joseph Blatter, Michel Platini und Wolfgang Niersbach mussten drei Schwergewichte der Funktionärswelt ihre Posten räumen.

Die ersten beiden wehrten sich mit Händen, Füßen und Rechtsanwälten – allerdings vergeblich. Gianni Infantino, der nahezu unbekannte Verbandschef aus Slowenien, Alexander Ceferin, und in Reinhard Grindel ein Bundestagsabgeordneter mit begrenzter Historie im Fußball-Geschäft folgten.

Gab es Bestechung, um die WM 2006 nach Deutschland zu holen? Waren die deutschen Saubermänner um Franz Beckenbauer gar nicht so sauber? Vor einem halben Jahr hätten wir uns entrüstet zur Wehr gesetzt, doch gerade der „Kaiser“ und seine Vasallen brachten den DFB immer wieder in Erklärungsnot. Beckenbauer schweigt zu allen Vorwürfen und der Sommermärchen-Mythos verblasst.

Bleibt noch der vielleicht skurrilste Fußballplan des Jahres. Infantino will eine Mammut-Weltmeisterschaft mit 48 Mannschaften. Irrsinn. Wetten, dass es so kommt?