Braunschweig. Luc Degla schreibt in seiner Kolumne „Schwarzrotgold“ über einen Stammgast, einen Ausflug nach Benin und einen schwierigen Spagat.
„Aller Anfang ist schwer“, sagten meine Freunde zu mir, als ich selbstständig wurde. Ich saß meistens stundenlang allein in der Gaststätte. Wenn ein Gast vorbeikam, unterhielten wir uns über verschiedenste Themen. Falls diese Person ein Stammgast wurde, schloss ich die Gaststätte früher ab, damit wir in die Stadt fahren konnten, um eine Kneipe zu besuchen, die nicht menschenleer war.
So wurde mein Stammgast Gilbert mit der Zeit ein Freund. Eines Tages erzählte ich ihm, dass ich eine Reise in mein Heimatland plane. Prompt fragte er mich, ob er mitkommen könne. „Wenn du alle erforderlichen Impfungen gemacht hast, kannst du gerne mitkommen“, antwortete ich ihm.
Trinkgeld gehört in Benin zum guten Ton
Vier Wochen später landete ein Flugzeug, in dem wir als Passagiere saßen, mitten in der Nacht in Cotonou. Auf dem Weg zum Hotel sagte ich dem Chauffeur, dass er an einem Geschäft vorbeifahren solle, in dem ich Mineralwasser besorgen könne. Er hielt vor einer Art Tante-Emma-Laden an. Ich stieg aus und bestellte bei einer Verkäuferin Mineralwasser. Daraufhin bat sie einen jungen Helfer, das Sixpack Wasser für mich ins Auto zu tragen.
Ich ignorierte die Aufforderung der Verkäuferin und versuchte, das Wasser selbst zu tragen: „Nein, lassen Sie das!“, sagte die Verkäuferin, „mein Mitarbeiter bringt es für Sie ins Auto.“ Nachdem das Wasser in den Kofferraum gestellt worden war, gab ich dem Jungen ein Trinkgeld. Es war nicht zwingend notwendig, aber so sind die Gewohnheiten.
Zebrastreifen haben in Benin nur dekorativen Charakter
Am nächsten Tag wollte ich mit meinem Freund die Stadt erkunden. Nachdem wir durch die Gegend geschlendert waren, standen wir vor einer dreispurigen und viel befahrenen Straße. Der Verkehr war unübersichtlich. Der Zebrastreifen war nur zum „Dekorationszweck“ auf dem Asphalt aufgemalt. Wir standen auf dem Gehweg und überlegten, wie wir die Straßen überqueren können. Der Verkehr nahm aber nicht ab. Die Fußgänger schlängelten sich geschickt in Slalom durch die Lücken, die durch die Abstände zwischen den Autos und Mopeds entstanden waren. Wir waren nur den geregelten deutschen Verkehr gewohnt und erstarrten.
Plötzlich hörten wir einen lauten Pfiff. Ein Mann spielte den „Verkehrspolizisten“ und hielt den Verkehr an. Alle bremsten: Autofahrer wie Motorrad- und Mopedfahrer. Dann gab er uns ein Zeichen und begleitete uns über die Straße. Gilbert bedankte sich und wollte weitergehen. Ich sagte: „Nein, wir müssen ihm etwas geben. So verdient er seinen Lebensunterhalt.“ Tatsächlich stand der „Hobby-Polizist“ da und wartete auf eine Geste von uns. „Ach was!“, entgegnete Gilbert. Da wir aber frisch eingereist waren, hatten wir noch kein Kleingeld. Wir hatten von der Wechselstube nur große Geldscheine dabei. Der „Hobby-Polizist“ merkte unsere Lage und sagte: „Das ist kein Problem. Ich bin immer hier. Wir sehen uns sicherlich wieder.“
Geht die Wirtschaft zugrunde, wenn die Armut abgeschafft wird?
An diese beiden Beniner denke ich seit Tagen. Ich hätte sie wahrscheinlich nicht kennengelernt, wenn sie vom beninischen Staat Sozialleistungen erhalten hätten. Es gibt zwar Sozialeinrichtungen, aber ihre Aufgaben sehen anders aus als in Deutschland. Jede Beninerin und jeder Beniner sucht einen eigenen Weg, um das Leben zu bestreiten. Diebstähle dienen auch zum Lebensunterhalt. Aber meine letzten Vorstellungsgespräche machen mich nachdenklich. Ich suche dringend eine Reinigungskraft. Ich finde sie – aber alle wollen schwarz bezahlt werden: „Ich erhalte 540 Euro pro Monat. Wenn ich bei Ihnen arbeite, zieht das Sozialamt ein Großteil wieder ab. Es lohnt sich für mich nicht. Das will ich auch nicht.“
Ich entgegne: „Wenn ich dich aus meinem privaten Geld bezahle, zum Beispiel 375 Euro pro Monat, sind das 4500 Euro im Jahr. Darauf zahle ich dann 3240 Euro Einkommensteuer, 161 Euro Gewerbesteuer, 144 Euro für die IHK, und es steigt mein Krankenversicherungsbetrag. Das finde ich für mich nicht fair. Aber es ist nicht deine Schuld, du kannst dir diese Forderung leisten.“
Ohne Helferinnen und Helfer kann ich nur noch daran denken, trotz eines vollen Reservierungsbuchs, das Geschäft aufzugeben. Es ist gut, die Armut zu bekämpfen. Ich habe aber das Gefühl, wenn die Armut abgeschafft wird, wird die Wirtschaft zerstört. Ein Spagat.
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