Braunschweig. Unternehmerisch denkende und eigenverantwortlich handelnde Mitarbeiter – das wünschen sich viele Unternehmensführer. Aber nur offiziell!

Denn insgeheim befürchten sie: Wenn jeder Mitarbeiter macht, was er für richtig hält, bricht bei uns das Chaos aus. Wir brauchen Mitarbeiter, die unternehmerisch denken und handeln.“ Das betonen viele Unternehmensführer. Und fragt man nach, was dies bedeutet, dann hört man oft: „Unsere Mitarbeiter müssen bei der Alltagsarbeit mehr Eigenverantwortung zeigen; des Weiteren die Bereitschaft, Risiken zu tragen. Sonst können wir die Herausforderungen, die der Markt an uns stellt, nicht meistern.“

Und dann folgt oft ein Klagelied. Genau diese Verhaltensweisen zeige das Gros der Mitarbeiter nicht. Nur wenige blickten bei ihrer Arbeit über den Rand ihres Schreibtischs hinaus und seien bereit, das Risiko eventueller Fehlentscheidungen einzugehen. Ihr Augenmerk richte sich vielmehr darauf, sich abzusichern, so dass niemand sie kritisieren kann – unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um einfache Mitarbeiter oder mittlere Führungskräfte handle.

Dass dies in zahlreichen Betrieben Realität ist, ist laut Mittelstandsberater Ulrich Dessel, Soyen (Oberbayern), kein Zufall. Viele Unternehmen erwarteten von ihren Mitarbeitern jahrzehntelang primär, dass sie gehorsam die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen. Völlig ungewohnt ist es für sie folglich, am Arbeitsplatz eigenständig Entscheidungen zu treffen. Entsprechend verunsichert reagieren sie, wenn von ihnen plötzlich gefordert wird: Entscheide selbst – insbesondere dann, wenn diese Entscheidungen Auswirkungen auf andere (Arbeits-)Bereiche als die ihrigen haben. Denn eine weitere unausgesprochene Vorgabe lautete in der Vergangenheit, so Dessel: Erfüllt eure Aufgaben und mischt euch nicht in fremde Kompetenzbereiche ein.

Doch auch viele junge Führungskräfte zeigen im Arbeitsalltag ein wenig risikobereites Verhalten, betont Stefan Bald, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Vor allem weil sie in vielen Betrieben rasch die Erfahrung sammeln: Eigenverantwortliches Verhalten wird zwar propagiert, doch wenn ich zu viel davon zeige, wird dies sanktioniert. Und mein berufliches Fortkommen fördert ein solches Verhalten nicht.

Eine Ursache, warum der Führungsnachwuchs oft diese Erfahrung sammelt, ist: Zahlreichen Unternehmensführern graust es laut Bald insgeheim bei der Vorstellung „von vielen kleinen Unternehmern in ihrer Organisation – selbst wenn sie verbal das Gegenteil propagieren“. Denn sie befürchten: Dann kann ich das Unternehmen oder meinen Bereich nicht mehr steuern. Denn eines ihrer heimlichen Credos lautet: Führung erfolgt stets nach dem hierarchischen Prinzip. Wer oben ist, sagt wo’s lang geht, und wer unten steht, erfüllt die Vorgaben.

Hinterfragt ein „Untergebener“ die Entscheidungen oder möchte er mit-entscheiden, trifft ihn schnell der Zorn. Denn hiermit stellt er, so das Empfinden der „Chefs“, die Ordnung „oben-unten“ in Frage.

Nicht wenige Führungskräfte betrachten es zudem als ihr Privileg, über die Weitergabe von Informationen zu entscheiden, erklärt Julia Voss, Geschäftsführerin des Trainingsinstituts Voss+Partner, Hamburg. Sie glauben außerdem, es sei ihr Recht, in das Tagesgeschäft ihrer Untergebenen hineinzuregieren. Dabei müsste das Fordern von mehr Eigenverantwortung und -initiative mit einem Rückzug der Vorgesetzten aus dem Tagesgeschäft verbunden sein.

Daraus folgt: Wenn unternehmerisches Denken und Handeln in einer Organisation verankert werden soll, dann ist zunächst ein Umdenken und Neulernen der oberen Führungskräfte nötig. Doch dies spiegelt sich in den meisten Personalentwicklungskonzepten nicht wider. Sie setzen laut Bald in der Regel den Fokus einseitig auf die Mitarbeiter. Sie sollen die Fähigkeit entwickeln, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Dabei müssten auch ihre Vorgesetzten die Fähigkeit entwickeln, Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln zu lassen.