Braunschweig. Der Makel des Misserfolgs. Insolvente Unternehmer quält oft das Gefühl, versagt zu haben.

Die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, erzählt, dass sie sich derzeit immer mehr von ihren Freunden zurückzieht. Sie schämt sich, möchte nichts preisgeben von der drohenden Pleite ihrer Rechtsanwaltskanzlei. Ein Partner ihrer Sozietät hat Gelder unterschlagen und die gemeinsame Firma in den Ruin getrieben. Wie soll sie das ihren Freunden erklären? Noch fehlt ihr dazu die Kraft. Stattdessen hält sie eine Fassade aufrecht, gibt vor, sie ginge morgens zur Arbeit – und sitzt doch zu Hause, allein mit den Selbstzweifeln und der Scham.

Wie der Juristin geht es vielen insolventen Unternehmern, sagt der Psychologe Eberhard Bohrisch, Mitbegründer der Initiative zur Insolvenzbewältigung „Auf-Richtung“ in Bad Kreuznach. Zwei Aspekte seien für Insolvenzler, die häufig ohne eigene Schuld in die Zahlungsunfähigkeit geraten, quälend: „Das Gefühl, versagt zu haben und selbst schuld zu sein.“

Die Einsicht, Scheitern als normalen Teil des menschlichen Handelns zu akzeptieren, sei in einer solchen Situation ebenso wichtig wie die Unterstützung durch Freunde und Familie. Häufig mangele es aber gerade an dieser Unterstützung. „Das Scheitern wird dem Betroffenen persönlich angelastet, das Prädikat Versager rasch aufgedrückt“, sagt Bohrisch. „Und das oft, ohne die Hintergründe des Scheiterns zu kennen und sich mit ihnen auseinandergesetzt zu haben.“

Dies verstärke Scham- und Schuldgefühle und kratze am Selbstwertgefühl. „Man gehört nicht mehr dazu, fühlt sich ausgeschlossen.“ Das erlebte auch Attila von Unruh aus Ruppichteroth bei Köln. Nach der Insolvenz seines Unternehmens bewarb sich der heute 49-Jährige auf zahlreiche Stellen. Es hagelte Absagen. Auf Nachfrage sei ihm indirekt oft angedeutet worden: „Wir haben so viele Bewerber mit einer sauberen Vita, warum sollten wir da jemanden mit einer Insolvenz-Historie einstellen?“, erzählt Unruh. Nach den Gründen der Insolvenz habe niemand gefragt. „Da merkt man schon: Das ist mit einem Stigma verbunden.“

Unruh war 15 Jahre lang Unternehmer. Bis 2005 baute er als Gesellschafter und Geschäftsführer mehrere Firmen auf. Doch als er seine Anteile an einer Eventmarketing-Agentur verkaufte, gingen die Käufer wenig später pleite. Unruh haftete für alte Bürgschaften. „Der Alptraum begann, meine persönliche Insolvenz war die Folge.“ Als er den ersten Schock überwunden hatte, gründete Attila von Unruh im Jahr 2007 die Initiative „Anonyme Insolvenzler“ in Köln. In regelmäßigen Gesprächskreisen reden Betroffene dort über ihre Sorgen und Ängste. Mittlerweile ist der Verein die größte deutsche Selbsthilfeinitiative von Menschen, die von Insolvenz betroffen sind. Treffen finden in neun Städten statt, unter anderem in Köln, Düsseldorf und Dortmund.

Angebote in ländlichen Regionen gibt es dagegen kaum. Auch deswegen hat Eberhard Bohrisch vor zwei Jahren den Verein „Auf-Richtung“ in der Kleinstadt Bad Kreuznach im Hunsrück mitgegründet. Der Verein organisiert Treffen einer Selbsthilfegruppe und hat sich zum Ziel gesetzt, das Thema Insolvenz aus der Tabu-Ecke herauszuholen. Das sei gerade in einer dörflich strukturierten Region wichtig, sagt der Psychologe. „Jeder kennt jeden, und der Makel des Misserfolgs lastet deswegen umso schwerer auf den Betroffenen.“

Für die Juristin, die sich mehr und mehr in ihre eigenen vier Wände zurückgezogen hat, ist es noch ein weiter Weg bis zur Bewältigung ihrer drohenden Insolvenz. Noch lasten Selbstvorwürfe, Scham- und Schuldgefühle schwer auf ihr. Im Kreis einer Selbsthilfegruppe sagt sie aber, dass sie mit dem Thema demnächst offener umgehen und Freunden davon erzählen werde. Immerhin habe sie in der Runde viel Vertrautes gehört. „Das baut auf.“epd