Braunschweig. Die Industrie klagt über Ingenieurmangel. Dennoch sind viele ältere Ingenieure arbeitslos. Analysiert man ihre Biografien, entdeckt man einige Fallen.

Günter Broszeit ist frustriert. Seit vier Jahren bewirbt sich der 49 Jahre alte, arbeitslose Elektroingenieur auf offene Stellen – erfolglos. Nur verbittert lachen kann Broszeit denn auch über die Klage vieler Industrieverbände, die Unternehmen könnten ihren Ingenieurbedarf nicht decken. „Die suchen alle frischgebackene Hochschulabsolventen. Mit 40, spätestens mit 45 Jahren zählt du als Ingenieur zum alten Eisen.“

Diese Erfahrung sammeln außer Broszeit Tausende seiner Berufskollegen. Aktuell sind in Deutschland circa 20 000 Ingenieure arbeitslos. Hiervon sind die meisten älter als 45 Jahre. Doch warum sind so viele ältere Ingenieure arbeitslos, während zugleich der VDI über eine „Ingenieurlücke“ von 80 000 Ingenieuren klagt?

Eine Studie der TÜV Rheinland Group ergab bereits vor Jahren: Ein zentrales Manko vieler älterer Ingenieure ist, dass vor allem in ihrer eigenen wissenschaftlich-technischen Disziplin fit sind – also zum Beispiel im Maschinenbau. Als recht niedrig stufen Unternehmen hingegen oft ihr Know-how in den „angrenzenden technischen Disziplinen“ ein – zum Beispiel bei Maschinenbauern in den Bereichen Elektro- und Verfahrenstechnik. Auch ihrem Wissen bezüglich einer effektiven Gestaltung von Arbeitsprozessen geben sie eher schlechte Noten.

Prof. Karl Müller-Siebers, Präsident der Fachhochschule der Wirtschaft Hannover, hat hierfür folgende Erklärung. Heute seien aufgrund der „Omnipräsenz“ der Informationstechnologie „die Arbeits- und Kommunikationsprozesse in den Unternehmen ganz anders strukturiert als vor zehn oder gar 20 Jahren“. Außerdem entständen heute „die meisten technischen Innovationen im Grenzland zwischen den verschiedenen technischen Disziplinen“. Deshalb, so sein Fazit, müssen Ingenieure heute fachlich breiter als früher qualifiziert sein.

Hinzu kommt laut Unternehmensberater Georg Kraus: Wenn ältere Ingenieure eine neue Stelle antreten, müssen sie sich meist in neue Aufgaben einarbeiten. Also brauchen sie ein anderes Know-how. Und viele Routinen aus ihrem bisherigen Arbeitsfeld können sie nicht übertragen. Das mindert aus Unternehmenssicht den Wert ihrer Erfahrung.

Dessen sind sich viele ältere Ingenieure nicht bewusst. Sie stufen den Wert ihrer Erfahrung meist höher als die Unternehmen ein. Diese Erfahrung hat Alexander Walz, Geschäftsführer der Personalberatung Conciliat, Stuttgart, gesammelt. Ein Grund dafür: Wenn man Ingenieure auf Stellensuche nach ihrer Erfahrung fragt, dann denken sie vor allem daran, dass sie zum Teil bereits Jahrzehnte als Ingenieur gearbeitet haben.

Das allein interessiert die Personalverantwortlichen in den Unternehmen aber wenig. Sie fragen sich bei älteren Bewerbern vor allem: Nahm der Stellensucher schon ähnliche Aufgaben wahr, wie sie in unserem Betrieb zu erfüllen sind? Und: Bringt er ohne längere Einarbeitungszeit die gewünschte Leistung? Ist dies nicht der Fall, schreiben sie ihm eine geringe Erfahrung und ein geringes Fachwissen zu.

Doch warum fehlt älteren Ingenieuren oft die gewünschte Qualifikation? Eine Ursache ist laut Berater Kraus, der selbst ein promovierter Wirtschaftsingenieur ist: „In vielen Unternehmen erfolgt keine systematische Weiterentwicklung der Kompetenz der Ingenieure“ – insbesondere derjenigen, die die Fachlaufbahn einschlagen. Für angestellte Ingenieure bedeutet dies: Es hängt meist von ihrer Initiative und dem Engagement ihres unmittelbaren Vorgesetzten ab, inwiefern eine Weiterbildung erfolgt. Das begünstigt eine schleichende Dequalifizierung.

Am stärksten gefördert werden Ingenieure nach ihrem Berufseinstieg. Danach sinkt der Umfang der Weiterbildung kontinuierlich – Jahr für Jahr. Das zeigte die erwähnte Tüv-Studie bereits vor Jahren. Auch die inhaltliche Breite der Weiterbildung schrumpft. Sie spitzt sich immer stärker auf die aktuelle Position zu. Das heißt, viele Ingenieure eignen sich zwar noch das Fach- und Methodenwissen an, das sie zum Wahrnehmen ihrer aktuellen Aufgaben brauchen, eine Qualifizierung für künftige Aufgaben erfolgt jedoch nicht. Das führt dazu, dass die Ingenieure immer schwieriger einsetzbar werden. Zum Beispiel nach Umstrukturierungen. Oder wenn neue Technologien eingeführt werden.

Personalberater Walz empfiehlt deshalb Ingenieuren, die langfristig attraktive Arbeitskräfte behalten möchten, nicht nur, sich regelmäßig weiterzubilden. Mindestens ebenso wichtig ist aus seiner Warte, dass die Weiterbildung die erforderliche Breite aufweist. Konkret heißt dies: Ein Maschinenbauer sollte sich auch in den angrenzenden Disziplinen weiterqualifizieren. Denn wenn ein Spezialist über viele Jahre hinweg nur sein Spezialwissen vertieft, mutiert er irgendwann zum „Fachidioten“.

Wie flexibel ein Arbeitnehmer einsetzbar ist, hängt auch von seiner Fähigkeit ab, sich in neue Aufgaben einzuarbeiten. Deshalb sollten angestellte Ingenieure laut Kraus auch darauf pochen, dass ihnen regelmäßig neue Positionen sowie Herausforderungen übertragen werden – „statt es sich bequem in der Nische ‚Spezialist für …‘ einzurichten“. Denn auch ein zu langes Ausüben derselben Aufgaben fördert eine schleichende Dequalifizierung.

Hinzu kommt: Wer sich regelmäßig neuen Herausforderungen stellt, entwickelt hierin nicht nur eine gewisse Routine. Er erlebt neue Aufgaben auch weniger als Bedrohung. Entsprechend beherzt packt er sie an, statt endlos über den permanenten Wandel zu klagen. Auch das macht nicht nur einen Ingenieur zu einer wertvollen Arbeitskraft.