Mehr als ein halbes Jahrhundert lang lebte Manfred Schulz als Binnenschiffer auf Flüssen und Kanälen.

Wenn Manfred Schulz morgens aus seinem Schlafzimmerfenster schaut, ist die Aussicht nicht immer dieselbe. Mal ziehen an ihm die Ufer der Elbe vorüber, ein anderes Mal frühstückt er auf dem Rhein.

Schulz ist ebenso wie der Boden unter seinen Füßen in Bewegung: Er ist Binnenschiffer und lebt auf dem Wasser – zumindest zeitweise. "Früher waren wir das ganze Jahr an Bord", sagt der 68-Jährige aus Tangermünde in Sachsen-Anhalt. Mittlerweile hat er das Motorgüterschiff "Luckau" seinem Sohn übergeben und fährt selbst nur noch wochenweise mit.

Schulz stammt nach eigenen Angaben aus einer Familie, in der die Männer 200 Jahre lang als Fischer, Seefahrer und Binnenschiffer unterwegs waren. Von 1956 bis 2008 lebte auch er regelmäßig auf dem Wasser, manchmal mit seiner Familie. Auf der "Luckau" gibt es eine Wohnfläche von 50 bis 60 Quadratmeter, zwei Zimmer, Küche, Bad, Arbeitsraum.

"Alles ist zwei Nummern kleiner als gewöhnlich", sagt Schulz. Ein paar Schritte weiter lagert dann schon die Fracht. Es steht eben weniger Platz zur Verfügung, zu DDR-Zeiten waren sogar weitere Mitarbeiter an Bord. "Wenn man alleine ist, ist das sehr gut. Man kommt viel rum", meint Schulz.

"Die Probleme beginnen erst dann, wenn man eine Freundin hat." Seit 32 Jahren ist Schulz, der in Stettin geboren wurde, mit seiner Frau Petra verheiratet.

"Von 1982 bis 1988 bin ich mitgefahren", erzählt die 62-Jährige. Arbeit und Privatleben vermischten sich auf den wenigen Quadratmetern Fläche zwangsläufig. Dann wurde der gemeinsame Sohn drei Jahre alt. Petra Schulz ging an Land, nach Tangermünde. Bis dahin hatte sie es beruflich bis zum Steuermann gebracht und half ihrem Mann, dem Schiffsführer, an Bord. Das Kind war dabei, spielte an Deck und war froh, wenn es Kontakt mit anderen Schifferkindern haben konnte, wie Petra Schulz sagt. Mit ihrem Sohn einfach auf den Spielplatz zu gehen, war eine Zeit lang nicht möglich.

Für Schifferkinder, die nicht an Bord bleiben, gibt es nach Angaben von Manfred Schulz Heime, Internate oder eben die Großmutter. "Alle drei Varianten wollten wir nicht." Nachdem Petra Schulz mit ihrem Kind sesshaft geworden war, fuhr sie mit dem Auto ihrem Ehemann hinterher – an seinen freien Tagen, je nachdem, wo Manfred Schulz gerade war.

Ein solches Leben bedeutet auch harte Proben: "Es sind viele Ehen in die Brüche gegangen", sagt Schulz. Auch er war vor der Hochzeit mit seiner Petra 13 Jahre lang in erster Ehe verheiratet. "Eine Frau muss sehr selbstständig sein, um mit einem Schiffer klar zu kommen", gibt Petra Schulz zu bedenken. "Ich konnte mich damit arrangieren, wenn er vier Wochen weg war."

Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik in Wiesbaden arbeiteten 2008 bundesweit exakt 7628 Menschen in der Binnenschifffahrt. Rund 80 Prozent sind auf und am Rhein unterwegs, wie der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt, Jörg Rusche, in Duisburg sagt. Der bundesweit größte Binnenhafen sei Duisburg, dort würden pro Jahr mehr als 20 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen.

Manfred Schulz transportierte auf der 1961 gebauten, 67 Meter langen und 8,20 Meter breiten "Luckau" zum Beispiel Kohle, Kies, Getreide und Aluminium.

Nachdem sich sein Arbeitgeber zu DDR-Zeiten, eine große Reederei mit 3500 Beschäftigten, aufgelöst hatte, erwarb Schulz 1992 sein Schiff und arbeitete seitdem auf eigene Rechnung, wie er sagt. In der DDR habe er – mit Familie – ins westeuropäische Ausland fahren dürfen. Geblieben ist er dort aber nie.

Über mehrere Jahrzehnte transportierte Schulz seine Waren über das Wasser, lud sie ab, entrostete das Schiff, und lebte zeitweise mit seiner Frau und seinem Sohn tagsüber und nachts auf engstem Raum. "Ich hatte nie Langeweile", bilanziert Schulz, dessen blassblaue Tätowierung auf seinem linken Unterarm noch von seiner Zeit bei der Marine zeugt – bevor er als Binnenschiffer durch Europa schipperte. dpa