Zeitmanagement: “Ich schaffe das alles nicht mehr.“ Dieses Gefühl plagt immer mehr Berufstätige. Unter anderem, weil sie im Job ständig vor neuen Herausforderungen stehen, für deren Lösung sie noch keine Routinen entwickelt haben. Eine entsprechend große mentale Kraftanstrengung kostet es sie, diese zu meistern.

Besuchen Sie ein Zeitmanagementseminar." Diesen Tipp erhielten Mitarbeiter in den vergangenen zwei Jahrzehnten oft von Führungskräften, wenn sie klagten: "Mir wird alles zu viel." Das taten denn auch Heerscharen von Mitarbeitern. Und Zeit- und Selbstmanagementseminare entwickelten sich zu einem Standardangebot im Weiterbildungsprogramm der Unternehmen. Dort lernten die Mitarbeiter, "wichtige" von "dringlichen" Aufgaben zu unterscheiden und in ihrem Arbeitsalltag Prioritäten zu setzen – "was bei vielen Mitarbeitern tatsächlich zu einer Entlastung führte", wie Julia Voss berichtet.

Kein Zufall ist es für die Geschäftsführerin des Hamburger Trainingsunternehmens Voss+Partner, dass der Boom der Zeitmanagement-Seminare just begann, als vor circa 20 Jahren viele Unternehmen die Arbeitsabläufe in ihrer Organisation neu strukturierten – auch als Folge der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik. Erledigte zuvor jeder Mitarbeiter schlicht die in seiner Stellenbeschreibung definierten Aufgaben, so war nun plötzlich Team- und Projektarbeit angesagt.

Und die Kollegen – auch in anderen Bereichen? Sie sollten fortan als "Kunden" angesehen werden, gegenüber deren Wünschen man sich nicht mehr mit einer Bemerkung wie "Das gehört nicht zu meinem Job" verschließen kann.

Dadurch erhöhte sich bei zahlreichen Mitarbeitern die "gefühlte Arbeitsbelastung". Für viele war es "eine erhebliche mentale Umstellung, sich auf diese neue Arbeitsform einzustellen", betont Malu Salzig, Geschäftsführerin der Focus Change GmbH Deutschland in Darmstadt.

Blickt man heute jedoch auf die damalige Situation in den Betrieben zurück, dann denkt sich vermutlich manch leicht ergrauter Arbeitnehmer: Was war das damals für eine geruhsame Zeit. Zwar standen in den meisten Büros bereits PCs. Doch das Internet? Das kannten nur einige Wissenschaftler. Und Emails versenden? Der Siegeszug der elektronischen Post begann erst 1993 allmählich. Und Handys oder genauer gesagt Mobiltelefone? Die hatten damals außer den "big Bossen" bestenfalls einige Außendienstmitarbeiter. Und heute? Heute sind diese Medien ganz selbstverständlich in den Arbeitsalltag der meisten Berufstätigen integriert.

"Ich muss stets und überall erreichbar sein – und wenn nicht, dann muss ich wenigstens so schnell wie möglich reagieren." Dieses Empfinden hat sich nicht nur zu einem Lebensgefühl vieler Menschen entwickelt. In vielen Jobs sehen sich Berufstätige tatsächlich mit dieser Erwartung konfrontiert.

Doch nicht nur wegen der permanenten "Ruf-Bereitschaft" fällt es immer mehr Menschen schwer, mal abzuschalten. Hinzu kommt: Sie stehen in immer kürzeren Zeitabständen vor neuen Herausforderungen – nicht nur am Arbeitsplatz. Denn Fakt ist, laut Hubert Hölzl, Führungskräftetrainer aus Lindau: "Die Unternehmen müssen heute in immer kürzeren Zeitabständen nicht nur ihre Strategien, sondern auch ihre Art, Aufgaben zu lösen, überdenken. Für ihre Mitarbeiter bedeutet dies: An sie werden häufiger neue Anforderungen gestellt. Und sie müssen gewohnte Denk- und Verhaltensmuster aufgeben.

Das führt bei vielen Mitarbeitern zu einem Gefühl der Überforderung. Ein Zeichen hierfür ist die permanent steigende Zahl von Burnout-Fällen. Laut AOK-Statistik wurden im vergangenen Jahr rund 100000 Menschen mit Burnout behandelt.

Für die Organisationsberaterin und Therapeutin Angela Kissel vom Beratungsunternehmen Kissel Consulting, Urbar, ist klar: Das Gefühl der Überforderung resultiert meist weniger aus dem Berg von Herausforderungen, vor dem die Betroffenen stehen. Es resultiert vielmehr daraus, dass die Herausforderungen neu sind und die Betroffenen für ihre Lösung noch keine Strategien entwickelt haben

Ähnlich sieht dies die Lebensberaterin und Heilpraktikerin Hina Fruh, Hungen. Sie ist überzeugt: Das klassische Zeit- und Selbstmanagement stößt an seine Grenzen. "Es wird zwar auch künftig ein nützliches Instrument sein, um Routineaufgaben zu lösen. Was viele Mitarbeiter heute aber brauchen, ist eine aktive Unterstützung beim Lösen neuer Aufgaben." Ihr Credo: Sie müssen die Grundzuversicht entwickeln "Ich schaffe das – alleine oder mit selbstorganisierter Unterstützung". Sonst geraten sie in der modernen Lebens- und Arbeitswelt immer wieder in Situationen, in denen sie sich nicht nur überfordert fühlen, sondern dies auch faktisch sind.