Immer mehr Altenheime spezialisieren sich auf die Bedürfnisse von Bewohnern mit Migrationshintergrund. Das eröffnet jungen Migranten Chancen, die eine Ausbildung suchen.

Alt werden wollten sie hier eigentlich nicht. Viele Gastarbeiter der 50er Jahre sind aber doch in Deutschland in Rente gegangen. Immer mehr Pflegeeinrichtungen spezialisieren sich deshalb auf alte Migranten.

Burhan Akgül ist ein Pflegefall. In den vergangenen Jahren wurde er rund um die Uhr in seiner Wohnung im dritten Stock betreut. Seit neun Monaten lebt der gebürtige Mazedonier mit türkischen Wurzeln in einem Pflegeheim des Frankfurter Verbands für Alten- und Behindertenhilfe.

Das Klischee der türkischen Großfamilie, die sich um ihre Alten kümmert, kann der 62-Jährige nicht bestätigen. Akgül ist geschieden, hat kaum Kontakt zur Ex-Frau und den vier Kindern. "Wer soll sich kümmern? Wie hier kann sich die beste Familie nicht kümmern."

Eine gute Bekannte von ihm verständige sich nur noch mit den Augen, sagt Akgül. Sie ist auch Türkin und lebt im selben Haus wie er. Manchmal hören sie zusammen Musik. Da spielt die Sprache keine Rolle mehr. Das ist aber nicht bei allen so. Wenn Migranten dement werden, vergessen sie manchmal, dass sie Deutsch sprechen und sind nur noch in ihrer Muttersprache zugänglich, erklärt Silke Dinius. Sie leitet das Modellprojekt Ajuma in Offenbach, das junge Männer mit Migrationshintergrund bei der Ausbildung in der Altenpflege fördert.

Nicht nur die Sprache, auch die Wohnung sei bei vielen älteren Migranten ein Problem, sagt der Gesellschaftswissenschaftler Hüseyin Akpinar von der Beratungsstelle Hiwa in Frankfurt, die sich speziell an ältere Migranten richtet. Die meisten, die ihn um Hilfe bitten, leben in Mehrfamilienhäusern in den oberen Stockwerken, die sie als junge Familien bezogen haben. Gesundheitliche Probleme zwingen sie jetzt dazu, Wohnungen im Erdgeschoss zu suchen. Das kostet Geld und Kraft.

"Bevölkerungsgruppe 55 plus mit persönlicher Zuwanderungserfahrung", heißen diese Menschen im Bürokratendeutsch. Fast drei Millionen von ihnen lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamts 2009 in Deutschland.

Mathias Fuchs, der bis Mitte 2010 in Rüsselsheim ein Projekt zur Integration älterer Migranten leitete, kennt ihr Hauptanliegen: "Sieh mich nicht als älteren Migranten." Das Projekt richtete sich in erster Linie an Gastarbeiter, die der Autobauer Opel in den 50er und 60er Jahren angeworben hatte, die also jetzt in Deutschland Rentner sind. "Und die haben mehr Zeit in Deutschland verbracht als in ihrem Geburtsland", sagt Fuchs.

Trotz aller Integration und Gleichheit gibt es feine Unterschiede zwischen deutschem Altwerden und zum Beispiel türkischem Altwerden: Gerade für manche muslimische Frauen sei es wichtig, im Pflegeheim nur von Frauen gewaschen zu werden, sagt Gesellschaftswissenschaftler Akpinar. "Auch isst ein Großteil von ihnen kein Schweinefleisch."

Im Speisesaal sitzt Burhan Akgül zwischen einem deutschen und einem türkischen Mitbewohner. Der Deutsche erzählt von einem Medikament, das einen bei Überdosierung "aus den Schuhen haut". Der Türke berichtet von einem Fluss in seiner Heimat, der seiner Familie ihren Namen gab. Wenn Deutsche mit am Tisch sitzen, sprechen auch die Türken nur Deutsch. Ehrensache. Akgül hat viele deutsche Freunde im Pflegeheim – und Iraner, Russen, Polen. dpa