Warum Personalchefs gern Stressinterviews führen – und wie Stellenbewerber sie souverän meistern

Auf einmal ist der nette Plausch über die bisherige Karriere vorbei. Wie aus dem Nichts fragt der Personalchef den Bewerber mit spitzem Unterton, ob die ausgeschriebene Stelle denn nicht über dessen Qualifikationen liege. Der Bewerber ist baff. Wie soll er reagieren? Aufstehen und gehen?

Nicht unbedingt: Er befindet sich mitten in einem Stressinterview, mit dem der Personalchef seine Nervenstärke testet. Die fiesen Fragen beim Stressinterview sind keineswegs Ausdruck von Antipathie. "Sie dienen nur der Provokation und haben Methode", klärt der Stuttgarter Bewerbungscoach Heiko Lüdemann auf.

Der Personaler setze den Bewerber mit unangenehmen, vor allem unerwarteten Fragen unter Druck, um dann zu beobachten, wie dieser mit stressigen Situationen umgehe.

Stressinterviewer greifen auf ein breites Repertoire an gesprächspsychologischen Techniken zurück. Mal werden Aussagen des Bewerbers als unglaubhaft dargestellt oder lächerlich gemacht, mal wird der Personaler unsachlich und persönlich. Dabei sehen sich Bewerber schon mal mit Aussagen konfrontiert wie etwa: "Mit ihrem Aussehen und Auftreten können wir Sie aber nicht auf Kunden loslassen."

Manche Interviewer spielen demonstratives Desinteresse vor. Eine weitere gängige Stressmethode ist, den Bewerber Aufgaben erledigen zu lassen und ihn gleichzeitig mit Fragen zu bombardieren. "Stressinterviews finden selten in Reinform statt", sagt Lüdemann. Gängig sei es, einzelne Fangfragen ins Gespräch zu streuen. Angewendet würden diese Techniken vor allem bei Bewerbungen um Jobs, bei denen unvorhergesehen Hektik aufkommen kann oder die häufigen Kundenkontakt mit sich bringen.

"Der Ablauf eines Bewerbungsgesprächs ist heutzutage größtenteils vorhersehbar, denn dank Fachliteratur und Internet kann sich jeder darauf vorbereiten und Antworten parat legen", sagt Lüdemann. Personaler interessiere aber, wie jemand in unvorbereiteten Momenten spontan reagiert.

Darum setzten sie gerne auf die Stressmethode. So unangenehm die Situation sich anfühlen mag – die wichtigste Regel lautet: einen kühlen Kopf bewahren, sachlich und höflich bleiben, Souveränität ausstrahlen. Der Berliner Bewerbungstrainer Gerhard Winkler rät: "Zeigen Sie, dass Sie eine gute Kinderstube haben und werden Sie niemals aggressiv oder persönlich." Sein Stuttgarter Kollege fügt hinzu: "Auf gar keinen Fall darf man anfangen, sich zu rechtfertigen."

Aus der Luft gegriffene Behauptungen ließen sich zum Beispiel wie folgt kontern: "Das ist ihr subjektiver Eindruck. Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen. Ich sehe das anders." Und nicht vergessen: den Gesprächspartner immer ausreden lassen, egal wie sehr man innerlich brodelt, betont Winkler.

Antworten auf provokante Fragen dürfen nach Winklers Ansicht durchaus ein wenig frech und witzig sein: "Auf die Frage nach Schwächen kann man etwa erwidern: Meine größte Schwäche ist meine Sehschwäche." Viele Bewerber verhielten sich zu angepasst, was bei etlichen Personalrekrutierern auch keinen guten Eindruck hinterlasse.

Heitere Äußerungen könnten zudem eine angespannte Atmosphäre entkrampfen. Vermieden werden sollten hingegen ironische, doppeldeutige Äußerungen.

Und wenn ein Bewerber vor lauter Stress nicht die passenden Worte findet? Alles tun, um Zeit zu gewinnen, empfehlen Winkler und Lüdemann. Zum Beispiel, indem man Nachfragen stellt.

Bei aller taktischen Provokation: Selbst ein Stressinterview hat seine Grenzen. "Ein Vorstellungsgespräch ist kein Vorstellungsverhör", sagt Lüdemann. Der Bewerber müsse in der Lage sein, eine Grenze zu ziehen und höflich, aber bestimmt deutlich machen: Bis hierhin und nicht weiter.

So zeige er, dass er sich durchsetzen könne. Sollte ein Bewerber merken, dass seinem Gegenüber offenbar wenig an einem konstruktiven Gespräch liegt, rät Winkler: "Den Kaffee trinken und sich höflich verabschieden."

Zur Vorbereitung auf ein Stressinterview empfehlen die beiden Experten, in Rollenspielen mit Freunden zu üben. Am wichtigsten ist aber, sich die eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu machen. Viele Bewerber kämen ins Stolpern, weil sie sich schlichtweg nicht im Klaren über ihre Fähigkeiten seien. Auf die eigenen Stärken immer wieder während des Gesprächs zurückzukommen, sei der beste Schutz in Stressmomenten. "Wer nicht weiß, was er will, und davon überzeugt ist, ist leichter zu erschüttern", erläutert Winkler.

Jeder Bewerber müsse wissen, welche Punkte er in dem Gespräch unterbringen will, und jede Gelegenheit nutzen, diese einzubringen. "Selbstsicherheit ist das beste Mittel in stressigen Situationen", unterstreicht Bewerbungsexperte Lüdemann.