Nur 60 Prozent der Kommunikation sind Worte und Körpersprache – den Rest vermittelt die Stimme.

Janine Krasel blickt ihre munter plappernden Drittklässler intensiv an, spitzt leicht die Lippen und legt einen Zeigefinger an den Mund. So lange, bis es leise genug ist, dass sie mit dem Unterricht beginnen kann.

"Ich habe mir vorgenommen, meine Stimme nicht zu überanstrengen und nie über die Klassenlautstärke hinaus zu sprechen", sagt die Lehrerin aus Krefeld. In den ersten Berufsjahren hatte sie immer wieder versucht, ihre Klasse zu übertönen.

Irgendwann kam die Einsicht: Schreien macht die Stimme auf Dauer nicht mit. In vielen Berufen sind Menschen auf ihre Stimme angewiesen und sollten sie entsprechend pfleglich behandeln, so Professor Rainer Schönweiler von der Deutschen Gesellschaft für Sprach- und Stimmheilkunde.

Bisher gelten nur die Berufe von Schauspielern, Sängern, Lehrern, Erziehern, Pastoren und Logopäden als Arbeit, bei der Stimmprobleme zur Berufsunfähigkeit führen können – nicht aber die von Anwälten, Ärzten, Kundenberatern oder Mitarbeitern in Telefonzentralen. "Völlig zu Unrecht", meint der Experte.

Bei Dozenten oder Feldwebeln spiele vor allem die Leistung eine Rolle, sagt Schönweiler. Soll heißen: Wie laut kann ich sprechen, und wie dauerbelastungsfähig ist meine Stimme? Bei Callcenter-Angestellten, Moderatoren oder Verkäufern sei eher der ästhetische Aspekt entscheidend: Wie reagiert meine Umwelt auf meine Stimme?

Wie ist der Klang? "Eine raue Stimme ruft oft Abwehr hervor, weil der Klang mit Angst oder Autorität assoziiert wird", sagt Schönweiler. Heiserkeit weise meist auf Nervosität hin.

"Mit dem Ausdruck unserer Stimme erzählen wir Dinge, die wir gar nicht vermitteln wollen: Unruhe oder Hektik etwa", ergänzt Maria Brinkhaus-Lukschy vom Deutschen Bundesverband für Logopädie.

Viele Berufstätige suchten bei Stimmtrainern oder Logopäden Rat und Hilfe – um eventuell drohenden Stimmschäden vorzubeugen, aber auch, um zu lernen, wie sie ungewollte Botschaften vermeiden.

"Es sind oft Menschen, die vielleicht die Erfahrung gemacht haben, dass sie bei einer langen Sitzung mit mehr als zehn Teilnehmern nicht mehr alle akustisch erreichen", sagt die Logopädin, die eine Praxis in Berlin betreibt.

Oft laufe es auf das Gefühl hinaus, die Stimme reiche nicht, "um meine wunderbare Kompetenz rüberzubringen". Vielfach beklagten sich ihre Klienten auch, mitten im Satz keine Luft zum Weitersprechen zu haben oder nicht laut genug sprechen zu können, um den Raum zu füllen.

Ein Brennen, Kratzen oder der sprichwörtliche Kloß im Hals seien häufige Beschwerden. Atemkraft werde häufig fälschlicherweise erst im Hals oder Schultergürtel statt tief aus dem Bauch geschöpft, sagt die Logopädin. "Atemökonomisch gesehen ist das, als ob ich einen Berg mit dem Rad im fünften Gang hoch und im ersten Gang wieder runter fahre."

Rainer Schönweiler empfiehlt weitere Stimmhygiene-Maßnahmen, die jeder leicht anwenden kann – auch, wenn die Aufregung vor einem Vortrag oder einer Besprechung groß ist.

Wichtig neben der Bauchatmung seien eine entspannte Körperhaltung und bequeme Kleidung. Schwere Mahlzeiten sollten vorher ebenso gemieden werden wie Koffein: Tee oder Kaffee trockneten den Mund aus, und das verführe zum stimmschädlichen Hüsteln.

Üppiges Essen könne Magensäure zurückfließen lassen und sich ebenfalls negativ auswirken. Wer den Klang und die Wirkung seiner Stimme verbessern und optimieren möchte, ist bei Stimmtrainern wie Thomas Westerhausen an der richtigen Adresse. Der ausgebildete Schauspieler aus Bonn verweist auf Studien, wonach Worte und Körpersprache zusammen nur etwa 60 Prozent zur Kommunikation beitragen. "Den Rest erledigt die Stimme", sagt Westerhausen. "Häufig sind wir vom Inhalt durch dessen schlechte Präsentation abgelenkt."

Fast jeder sei in der Lage zu erkennen, wie jemand anderes klingt: etwa freundlich oder unzufrieden. "Aber wir sind selten geübt, Enttäuschung oder Vertrauen allein durch die Stimme zu vermitteln", sagt er. Wer das lernt, könne ganz anders kommunizieren.

Westerhausen erstaunt es immer wieder, wie viele Menschen in einer unnatürlich hohen Stimmlage sprechen: "Vor allem bei Frauen eine Erziehungssache." Der Trainer rät dazu, etwa vor Besprechungen mehrmals laut ein zustimmendes "mhm" zu äußern, das aus zwei Tönen besteht. Erst tief, dann hoch und schließlich immer mehr auf dem tieferen Ton. "So nähern Sie sich Ihrer natürlichen Sprechstimmlage." tmn