Experten hoffen auf eine leichtere Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse.

Vier Jahre hat die Physiotherapeutin in Estland studiert, um ihren Berufsabschluss zu erwerben. Doch als die 35-Jährige nach Deutschland kam, musste sie feststellen, dass ihre Ausbildung hier nur zum Teil anerkannt wird.

"Zuerst teilte man ihr mit, sie müsse noch mal ganze drei Jahre lang eine Anpassungsqualifizierung durchlaufen", sagt Ines Weihing von der Beratungsstelle "Tür an Tür Integrationsprojekte" in Augsburg. Die Baltin ist kein Einzelfall.

Erst nach langer Suche fand sich für die Physiotherapeutin eine Schule, die sie in sechs Monaten zu einem gleichwertigen deutschen Abschluss bringen wollte. Die Beraterin kann die Haltung der Behörden nicht verstehen: "Man sollte es doch annehmen, wenn fertig qualifizierte Leute nach Deutschland kommen und der Staat nicht mal etwas in ihre Ausbildung investieren musste."

Auch Heinz Müglich von der Arbeiterwohlfahrt Hessen-Süd in Frankfurt kritisiert die hohen Hürden für Einwanderer: "Gerade Akademikerinnen um die 40 hören auf Ämtern öfters: Vergiss es, geh' lieber gleich zum Putzen." Müglich beklagt die unübersichtliche Anerkennungspraxis in Deutschland.

Zwischen Begriffen wie reglementierte Berufe, Gleichwertigkeit und Externenprüfung finden sich immer wieder Sonderfälle für Spätaussiedler – und andere Klauseln. Genauso verhält es sich mit den Zuständigkeiten.

"Allein in Hessen gibt es 20 bis 30 verschiedene Anerkennungsstellen", sagt Müglich. Darunter sei eine für Lehrer und eine für Pharmazeuten. "Die Anerkennung eines ausländischen Abschlusses kann sich auch von Bundesland zu Bundesland unterscheiden", sagt der Berater.

Ab 2011 soll das anders werden. Im Ausland erworbene Berufs- und Hochschulabschlüsse sollen dann leichter anerkannt werden können. Das Bundeskabinett beschloss im Dezember Eckpunkte für einfachere Verfahren. Jeder Ausländer soll einen Rechtsanspruch auf die Prüfung seiner Qualifikationen innerhalb von sechs Monaten erhalten.

Danach soll er wissen, ob sein Abschluss in Deutschland ganz oder zum Teil anerkannt wird. Außerdem müssten einheitliche Standards und Kriterien für Gutachten geschaffen werden.

Von der geplanten Neuregelung profitieren nach Angaben der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), rund eine halbe Million Menschen. Fachleute stören sich aber besonders an einer Klausel im Papier der Bundesregierung.

Hinter der Formulierung der "arbeitsmarktlichen Verwertbarkeit" von Abschlüssen versteckt sich ihrer Meinung nach, dass Migranten keinen Anspruch auf Prüfung ihrer Qualifikationen haben, wenn ihr Beruf in Deutschland gar nicht gefragt ist.

Doch warum sollte man beispielsweise aufwendig die Qualifikation von ausländischen Bergleuten prüfen, wenn es in dem Beruf in Deutschland kaum noch Jobs gibt? "Gerade für spätere Umschulungen kann ein anerkannter Berufsabschluss wichtig sein", sagt eine Expertin.

Außerdem sei es für das Selbstbewusstsein der Kinder wichtig zu wissen, dass die Eltern einen Berufsabschluss haben. Auch die Wissenschaft sieht bei der Anerkennung der Abschlüsse von Zuwanderern großen Handlungsbedarf: "Viele sind derzeit so benachteiligt, dass ihr Weg direkt zu Hartz IV führt", sagt Matthias Knuth, Arbeitsmarktexperte an der Universität Duisburg-Essen.

Doch er warnt die Behörden davor, zu großzügig Dokumente auszustellen, wenn die Qualifikation Mängel hat. Sonst würden Arbeitgeber bald nur noch deutsche Zeugnisse akzeptieren. Knuth fordert stattdessen mehr Weiterbildung für Ausländer: "Das, was anerkannt werden soll, soll gleichwertig sein. Weil das aber bei den meisten ausländischen Abschlüssen nicht der Fall sein wird, wäre es besser, wenn wir Migranten durch Qualifizierung gleich zu einem deutschen Abschluss verhelfen würden." epd