Nicht nur in der Schule wird gespickt. Unerlaubte Hilfsmittel kommen oft dort vor, wo Prüfungen absolviert werden.

Und seien es sportliche. In Zeiten des Fußball-WM-Fiebers erinnert sich wohl jeder Fan an Jens Lehmanns Griff in die Spick-Kiste. Vor vier Jahren hatte der damalige deutsche Nationaltorwart während des WM-Viertelfinals gegen Argentinien immer wieder auf ein Stück Papier gelinst. Dort hatte Torwarttrainer Andreas Köpke die bevorzugten Ecken der gegnerischen Schützen notiert.

Lehmann hielt letztlich zwei Elfmeter, Deutschland zog ins Halbfinale ein. Eine Erfolgsgeschichte. Einer der berühmtesten Spickzettel überhaupt wurde später versteigert und brachte eine Million Euro für einen guten Zweck ein.

So viel Lohn für geheime Notizen gibt es sonst nicht. Im Gegenteil: Kommen sie da zum Einsatz, wo sie nicht erlaubt sind, droht jede Menge Ärger. Zumindest dann, wenn der Betrug auffliegt.

An der Technischen Universität Braunschweig arbeitet man derzeit an einem Leitfaden. Dieser soll regeln, was mit Studenten passiert, die sich unerlaubter Hilfsmittel wie Spickzettel bedienen. "Zurzeit wird das noch dezentral geregelt", erklärt TU-Sprecherin Regina Eckhoff. Bedeutet: In den Fachbereichen und Instituten werden solche Vergehen unterschiedlich geahndet. Das soll sich ändern.

Auch wenn es für die TU keine konkreten Zahlen gibt: Spicken ist allgemein weit verbreitet. Das Schulmuseum Nürnberg besitzt die nach eigenen Angaben europaweit größte Sammlung von Spickzetteln in Deutschland. Mehr als 1000 Spicker aus fast 100 Jahren Schulgeschichte von sämtlichen Kontinenten werden dort aufbewahrt. Umgebaute Armbanduhren, Fantaflaschen-Banderolen, präparierte Schokolade, Ohrsender – der Einfallsreichtum war und ist grenzenlos.

Genau dadurch – so sagen Lernforscher – würden Spickzettel sogar positive Effekte haben. Durch die Herstellung werde die Kreativität gefördert. Zudem verfestige die Niederschrift Lerninhalte.

Professor Martin Korte von der TU Braunschweig gehört zu den anerkannten Spezialisten auf dem Gebiet. Er weiß: "Spickzettel sind eine geeignete Methode, um die Konzentration zu verlängern, sich auf das Wesentliche zu beschränken und das Wissen aktiv zu strukturieren." Und nicht zuletzt spiele das psychologische Moment eine Rolle. Denn: "Wir empfinden eine Situation stressiger, wenn wir sie nicht beeinflussen können."

Der Spickzettel dient insofern als lernförderndes und beruhigendes Element. Das Betrachten der Notiz während der Prüfung wird dadurch oft überflüssig.

Positive Effekte sieht man an der TU dagegen bei Plagiaten von wissenschaftlichen Arbeiten nicht. "Ich muss nicht alles wissen. Ich muss nur wissen, wo es steht." – Dieser Satz gelte hier nicht, meint Jens Brandt vom Institut für Betriebssysteme und Rechnerverbund als Experte für diesen Bereich. Fremde Textstellen zu seinem Thema zu finden und mit Quellenangabe einzubauen, sei schließlich erlaubt. "Ein Plagiat liegt nur vor, wenn eine fremde Leistung vorsätzlich oder fahrlässig als die eigene ausgegeben wird", stellt Brandt klar.

"Dort, wo ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit studentischen Arbeiten in Berührung komme, treten immer wieder Plagiatsfälle auf", sagt Brandt. Ein Problem, das die Dimension der Spickzettel vielleicht noch übertrifft.

Zurück zu den Zettelchen. Bei der Industrie- und Handelskammer sieht die Prüfungsordnung vor, dass bei einer Täuschungshandlung je nach Schwere die Prüfungsleistung, der Prüfungsteil oder sogar die gesamte Prüfung mit "ungenügend" bewertet wird. "Jeder will seine Ausbildung machen und sie nicht aufs Spiel setzen", begründet IHK-Ausbildungsreferentin Anja Klockenhoff die extrem seltenen Fälle.

Wilhelm Büttner ist Vorsitzender des Gesellenprüfungsausschusses für Kfz-Mechatroniker bei der Kreishandwerkerschaft Braunschweig. Spickzettel zu schreiben, mache hier keinen Sinn, sagt er. Das Themenspektrum sei breiter gefächert als zum Beispiel in der Schule. Die Lösungen über das Handy im Internet zu recherchieren, funktioniere nicht. "Das Handy muss aus sein und darf nicht auf dem Tisch liegen", sagt Büttner.

In der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade prüft man ausschließlich Bürokaufleute. 7000 Leistungen werden dort jährlich vollbracht. "Schummeln kommt bei uns so gut wie nie vor", sagt Sprecherin Christiane Schlieckmann.

Werden die Spicker doch immer weniger? Man weiß es nicht. Vielleicht auch nur einfallsreicher.