Der Beruf der Woche: Manchmal prallen Welten aufeinander: Viele junge Tierärzte stammen aus der Stadt, 85 Prozent sind Frauen. Gebraucht werden sie auf dem Land, wo Schweine gemästet und Hühner gezüchtet werden.

Eva Spitzley zählt zu den Ausnahmen: Sie mag Kühe. Leicht klopft sie aufs Hinterteil, und die Kuh erhebt sich. Die junge Tierärztin lächelt. "Bei Kühen geht alles etwas einfacher." Sie hält das Stethoskop an den Bauch der Braun-Weiß-Gefleckten. Es grummelt, wie ein noch weit entferntes Gewitter. So muss es sein. Auf dem Bauch der Nachbar-Patientin in der veterinärmedizinischen Uniklinik Gießen klebt ein Pflaster. Die Kuh litt an einer Darmverschlingung und wäre ohne Operation gestorben.

Die 28-jährige Spitzley, die gerade ihre Doktorarbeit schreibt, möchte später gern in einer Nutztierpraxis arbeiten. Und gehört damit zu den Ausnahmen. Denn immer seltener zieht es junge Tierärzte aufs Land.

Zu den Gründen gibt es bereits mehrere Studien. Die hohe Frauenquote wird angeführt – 85Prozent der Tiermedizin-Studenten sind weiblich. Aber auch die Einstellung zum Tierschutz oder die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf könnten Ursachen sein.

"Es ist generell schwierig, Leute dafür zu begeistern, auf dem Land zu arbeiten", sagt die Geschäftsführerin der Bundestierärztekammer, Katharina Freytag. Das gilt für die Veterinärmedizin wie für viele andere akademische Berufe.

In Gießen haben die Veterinärmediziner in diesem Sommer sogar mit einem Praxistag für die Arbeit auf dem Land geworben. "Viele Studenten kommen aus der Stadt, und die, die vom Land kommen, haben keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft", sagt Klaus Doll, Professor an der Klinik für Wiederkäuer und Schweine. Hinzu kommt: Die Nutztierhaltung ist auf bestimmte Regionen konzentriert, Bayern, Nord- und Ostdeutschland. Das sind für viele junge Absolventen keine Traumregionen.

Der Bedarf ist ungebrochen. Es gebe zwar immer weniger landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, "aber die Tierzahlen ändern sich kaum", sagt Doll. Das heißt: Die Betriebe werden stetig größer. Es gehe in der Nutztierpraxis darum, den gesamten Tierbestand gesund zu halten: Vorbeugung vor Krankheiten, Beratung, Haltung, Vergabe von Medikamenten und Impfungen.

Manchen angehenden Tierarzt schreckt das ab. Viele seiner Kommilitonen seien Vegetarier und wollten "die Massentierhaltung nicht unterstützen", sagt Bastian Kaiser, der im zehnten Semester studiert.

Auch seien die "Umweltbedingungen" nicht zu unterschätzen, warnt Doll: "Die Arbeit ist teilweise noch sehr naturnah", etwa bei minus zehn Grad im Offenstall. Draußen auf dem Land heißt es Zupacken. Ihre Kollegen machen einfache Magenoperationen oft direkt auf dem Bauernhof, weiß Eva Spitzley. "Es fällt den Frauen etwas schwerer, sich da hinein zu denken", meint Doll vorsichtig. "Manchmal prallen Welten aufeinander". Allerdings haben mittlerweile viele Landwirte selbst studiert, begegnen den Tierärzten auf Augenhöhe. Akzeptanzprobleme haben Tierärztinnen jedenfalls auf dem Land kaum; es zählt einzig die Professionalität.

Das Problem liegt möglicherweise noch woanders: Junge Tierärzte verdienen schlecht, sagt Katharina Freytag von der Tierärztekammer. Der Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden Deutschland befragte Assistenten in den ersten fünf Berufsjahren. Etwa die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten verdiente weniger als 2000 Euro.

Die jungen Tierärzte wollen für so ein bescheidenes Gehalt nicht auch noch rund um die Uhr arbeiten. Viele Studentinnen wünschten sich später eine Familie, sagt Studentin Andrea Gollwitzer. Und auch für ihren Kommilitonen Bastian Kaiser spielen Freizeit und Familie eine Rolle bei der Zukunftsplanung.

Die "Einstellung zur Work-Life-Balance" sei bei den angehenden Tierärzten eine andere als bei den derzeitigen Praxisinhabern, vermuten die Autoren einer Untersuchung zur Nutztiermedizin. "Frauen stellen sich vor, dass sie die Arbeit in der Kleintierpraxis besser mit einer Familie vereinbaren können", hat auch Doll beobachtet. "Aber die Leute gehen meist abends mit ihrem Tier zum Tierarzt." Die Arbeit in der Nutztierpraxis hingegen lasse sich oft ganz gut planen, zumal Gemeinschaftspraxen im Trend lägen.epd