Anonyme Bewerbung: Fotos, Altersangaben und Namen sind passé: Seit Anfang des Jahres nehmen acht Arbeitgeber am Modellprojekt “Anonymisierte Bewerbungen“ des Bundes teil. Steffen Müller ist nach einem Unfall fast blind und glaubt, dass ihm die namenlose Bewerbung zum Job verholfen hat.

Seit vier Jahren ist Steffen Müller fast blind. In seiner rechten Augenhöhle steckt seit einem Unfall ein Glasauge, auf seinem linken Auge hat er nur noch 40 Prozent Sehkraft. Auf Bewerbungen hat der 46-Jährige seitdem ausschließlich Absagen kassiert. Bis ihm die Stadt Celle durch das bundesweite Modellprojekt "Anonymisierte Bewerbungen" eine Chance gegeben hat. "Mir hat die anonyme Bewerbung sicher geholfen, den Einstieg in den Job zu finden", ist Müller überzeugt.

Geschlecht, Name, Jahreszahlen sind in anonymisierten Bewerbungen seit Anfang des Jahres tabu. Acht Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber beteiligen sich an dem einjährigen Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie wollen bei der Vergabe ihrer offenen Stellen penibel auf die Voraussetzungen der Bewerber achten und sich von einem sympathischen Foto, einem Namen oder der Angabe "alleinerziehend, zwei Kinder" nicht ablenken lassen. Auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch soll es mehr Gerechtigkeit geben.

Im Celler Rathaus sind so bislang fünf Stellen besetzt worden. "Das Verfahren ist eine Chance, über Diskriminierung nachzudenken und Vorurteile zu reflektieren", meint Personalleiter Jockel Birkholz. Der Vorteil bestehe nicht nur darin, dass manchmal Menschen im Vorstellungsgespräch säßen, die es anders schwerer gehabt hätten. Auch Augenwischerei im Bewerbungsschreiben werde vermieden. "Wir setzen uns nicht der Gefahr aus, dass jemand auf krummen Wegen zum Bewerbungsgespräch kommt – zum Beispiel wegen Beziehungen oder einer tollen Mappe", sagt Birkholz.

Die Cellesche Verwaltung beteiligt sich als einzige Stadt an dem Experiment. Mit dabei sind unter anderem die Deutsche Post, das Kosmetikunternehmen L'Oréal und die Arbeitsagentur Nordrhein-Westfalen. Sie alle trennen seit Januar die anonymen Bewerbungsformulare mit allgemeinen Angaben zur Qualifikation und einem Motivationsschreiben von den Kontaktdaten.

Steffen Müller hatte sechs Monate lang vergeblich nach einem Job gesucht. Der gelernte Metzger verätzte sich vor vier Jahren die Augen mit Natronlauge und musste eine Umschulung machen. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass meine Behinderung Grund für die Absagen war", meint Müller. Um als Verwaltungsfachangestellter arbeiten zu können, braucht er Hilfsmittel wie ein Lesegerät und eine Software zur Vergrößerung am Computer. "Eine beliebte Ausrede war: Der Arbeitsplatz ist zu eng", sagt er.

Die federführende Antidiskriminierungsstelle verweist auf andere Länder, in denen anonymisierte Bewerbungen erfolgreich sind. Ein Modellversuch in Schweden zeige: "Lässt man persönliche Angaben weg, haben Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund deutlich bessere Einstiegschancen." In den USA, Kanada und Belgien gehöre die anonyme Bewerbung längst zum Alltag.

Auch Anja Dörlitz hat positive Erfahrungen mit dem anonymisierten Bewerbungsverfahren gemacht. Die 42-Jährige arbeitet inzwischen als Vollstreckungsbeamtin im Außendienst der Stadt Celle. "Bei der Bewerbung war es schon ein Vorteil, das Geschlecht nicht angeben zu müssen." Schließlich gebe es immer noch Menschen, die bei Frauen Vorurteile haben. "Ich finde das Verfahren gerecht."

Kritiker der anonymisierten Bewerbungen halten dagegen. Das Verfahren sei zu aufwendig, und spätestens beim Bewerbungsgespräch würden Personalchefs wieder von ihren Vorurteilen eingeholt. "Auch bei uns in der Stadtverwaltung gibt es kritische Stimmen", sagt Birkholz. "Zum Beispiel heißt es, dass wir durch die anonymisierten Bewerbungen zu viele Kandidaten einladen würden."

Trotzdem steht der Personalleiter hinter dem Projekt. Es sei geplant, die anonymen Bewerbungen auch über die Projektphase hinaus fortzuführen. "Ich habe mich schon selbst dabei erwischt, dass ich bei einem älteren Bewerber gedacht habe: Der sucht nur ein lauschiges Plätzchen im öffentlichen Dienst", gibt Birkholz zu. Solche Gedanken fielen jetzt zumindest beim Bewerbungsschreiben erst einmal weg.dpa