“Man muss sich eben entscheiden.“ Das sagt sich so leicht. Für Psychologen ist die Wahl eines Studiengangs nichts weniger als ein schöpferischer Akt.

Claudia hat ein exzellentes Abitur hingelegt. Notendurchschnitt: 1,2. Wahrscheinlich ist sie damit Schulbeste. Jetzt überlegt sie, Psychologie zu studieren. Aber auch Medizin ist – jedenfalls, was die Zulassung angeht – für sie an den meisten Universitäten kein Problem.

Dafür hat sie aber ein anderes Problem: Sie muss sich entscheiden. In manchen Dingen ähneln sich die Studiengänge Psychologie und Medizin, aber natürlich unterscheiden sich auch viele Dinge, die man lernt – und erst recht die beruflichen Perspektiven, wenn man ausgelernt hat. Was also tun, um sich nicht vom Entscheidungsdruck zermürben zu lassen?

Claudia könnte natürlich eine Münze werfen. Wie sich ihr Problem klüger lösen ließe, weiß Professor Jochen Hinz vom Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig. Der ehemalige Studienberater sieht Probleme wie Claudias Studienentscheidung unter einem überraschenden Blickwinkel:"Man muss Studien- und Berufsentscheidungen vor allem auch als kreativen Prozess sehen."

Unter Kreativität versteht man schöpferisches Denken und neue Einfälle. Kreativität ist in allen Lebensbereichen gefragt, sie ist ein wichtiger Teil der Persönlichkeit – und deshalb auch wichtig, wenn Entscheidungen gefällt werden müssen. Eben zum Beispiel: Was studiere ich? Welchen Beruf will ich ergreifen?

Das Aha-Erlebnis kommt meist völlig überraschend

Der kreative Prozess läuft in typischen Phasen ab. In der Vorbereitungsphase taucht ein Problem auf. Dieses infiziert das Individuum quasi, ohne dass eine Lösung nahe liegt. Danach ist erst einmal Ruhe angesagt, denn das Neue wird eher im Unterbewusstsein aufgearbeitet und strukturiert.

Die Erleuchtung, das Aha-Erlebnis, kommt dann im nächsten Schritt meist überraschend. In der letzten Phase muss der Kopf die Resultate mit den bisherigen Erfahrungen abgleichen und sie akzeptieren.

Was heißt das für Claudia? Sie sollte natürlich viele Informationen über die beiden Ausbildungsgänge und deren Unterschiede sammeln. Noch wichtiger ist allerdings: Sie muss Informationen über sich selbst sammeln. Nur wer sich selbst genau kennt, kann sich am Ende wirklich für das entscheiden, was am besten zu ihm passt.

Möglichkeiten dafür gibt es viele: Praktika im Krankenhaus, Schnupperstudien an Universitäten und auch sogenannte Self-Assessments. Interessen- und Fähigkeitstests helfen einem, sich selbst einzuschätzen. Diese Instrumente sind über das Internet schnell und meistens sogar gratis erreichbar.

Ein guter Tausch: Sicherheit gegen Lebenszufriedenheit

Eine solche Informationssuche, vor allem aber die Verarbeitung bis zum berühmten Aha-Effekt braucht Zeit. Zum Exzess treiben sollte man die rein rationale Faktenbeschaffung nicht. Denn oft ist die Gefühlsseite genauso wichtig wie der Verstand, und gute Entscheidungen berühren beide Teile der Persönlichkeit.

Allgemeiner: Wie kann man Kreativität fördern? Zunächst ist Offenheit wichtig. Man sollte möglichst viele Reize an sich heranlassen und Informationen bewusst sammeln. "Kreativität hat auch ihren Preis. Man muss Sicherheiten aufgeben und Rückschläge hinnehmen können, was auch in persönliche Krisen münden kann", sagt Hinz.

Claudia hat sich entschlossen, erst einmal ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren und sich noch nicht für ein Studium zu bewerben. Das bedeutet für sie zwar etwas weniger Sicherheit in Richtung Studienplatz – aber dafür viele Chancen für neue Erfahrungen, neue Lösungen und eine größere Lebenszufriedenheit.

Der Autor hat Sozialwissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg studiert. Er ist Studienberater an der Technischen Universität Braunschweig.