Braunschweig. Kopfnoten: Vertrauenswürdig und teamfähig – das muss jeder Mitarbeiter von Unternehmen sein.

Eine entsprechend große Bedeutung messen die Betriebe bei der Vorauswahl der Bewerber um eine Ausbildungsstelle den Kopfnoten und (unentschuldigten) Fehltagen in den Schulzeugnissen bei.

Eine Lehrstelle als Bürokaufmann finden – kein Problem.“ Davon war Kai Blumenstein überzeugt. Schließlich betrug der Notendurchschnitt in dem Zeugnis, das der Realschüler nach der 9. Klasse erhielt, 2,4. Doch dann kam die erste Absage, die zweite, die dritte. Und Blumenstein wurde immer unsicherer, je näher der Zeitpunkt rückte, an dem er nach der 10.Klasse die Schule verlassen würde. Also rief er nach der nächsten Absage bei dem Unternehmen an und fragte: Warum? Die Antwort: „Sie haben im Arbeits- und Sozialverhalten nur eine Drei. Und in Ihrem Zeugnis stehen fünf unentschuldigte Fehltage.“

Viele Schüler unterschätzen die Bedeutung der Kopfnoten. Sie wissen nicht, dass eine schlechte Note im Arbeits- oder Sozialverhalten sie bei vielen Unternehmen aus dem Rennen um die Lehrstellen wirft. So zum Beispiel bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Das Unternehmen lädt nur Bewerber zum Auswahltest ein, die in „Mitarbeit“ und „Verhalten“, wie die Kopfnoten in Baden-Württemberg heißen, „mindestens eine Zwei haben“.

„Denn zuverlässig und teamfähig müssen all unsere Mitarbeiter sein“, erklärt Ausbildungsleiterin Marion Matter.

Ähnlich äußert sich Markus Vogel. Er leitet beim Frankfurter Bildungsdienstleister Provadis, der aus der ehemaligen Hoechst AG hervorging, das Personalcenter. Vogel sichtet mit seinem Team Jahr für Jahr im Auftrag solcher Großunternehmen wie Celanese, Sanofi-Aventis, Bayer CropSience und Bilfinger Berger etwa 9000 Bewerbungen von Schulabgängern, um aus ihnen geeignete Kandidaten für über 400 Ausbildungsstellen herauszufiltern. Dabei gilt: Bei der Vorauswahl der Bewerber sind die Kopfnoten das Ausschlusskriterium Nummer 1. Wer sich mit einer Note schlechter als Drei bewirbt, erhält sofort eine Absage. Und bei einer Drei? „Da schauen wir genauer hin. Denn dann zeigte die Person oft schon Verhaltensauffälligkeiten.“

Warum die meisten Firmen bei den Kopfnoten so streng sind, erläutert Elisabeth Heinemann, Professorin für Schlüsselqualifikationen an der FH Worms: „Die Rechenkünste und Rechtschreibkenntnisse von Bewerbern können die Betriebe relativ einfach mit Eignungstests überprüfen. Wie motiviert und teamfähig ein Bewerber ist, lässt sich aber selbst mit ausgeklügelten Tests nur schwer ermitteln.“

Übereinstimmend erklären die Vertreter der Großunternehmen: Wenn auch nur ein leiser Verdacht besteht, ein Bewerber könnte ein Problemfall werden, wird er aussortiert. Unter anderem, weil die Unternehmen befürchten: Wenn wir uns bei der Azubi-Auswahl einen faulen Apfel ins Nest legen, dann könnte dieser mit seinem Verhalten die anderen Azubis infizieren.

Anders sieht es zum Teil bei kleinen und mittleren Unternehmen aus – nicht nur, weil sie eine geringere Auswahl bei den Bewerbern haben, wie Ulrich Dessel, Geschäftsführer der Mittelstandsberatung Nollens & Dessel in Soyen betont. Auch, weil sie Azubis wegen geringerer Mitarbeiterzahl und überschaubarerer Strukturen oft persönlicher betreuen – und bei Bedarf stärker an die Kandare nehmen können.

Folgenschwer bei der Ausbildungsplatz-Suche sind auch unentschuldigte Fehlzeiten. Manche Unternehmen sortieren bereits Bewerber mit einem unentschuldigten Fehltag aus. Ganz so streng verfährt der Pharma- und Chemiekonzern Merck in Darmstadt nicht. Doch auch dessen Leiter für kaufmännische Ausbildung, Holger Hiltmann, betont: „Hierauf richten wir schon ein Augenmerk“ – unter anderem, weil für ihn die Fehltage „ein Indiz für die Zuverlässigkeit und Belastbarkeit eines Bewerbers“ sind. Das heißt: Auch die entschuldigten Fehltage haben die Personalverantwortlichen im Blick. Denn sie wissen aus Erfahrung: Viele Eltern schreiben ihrem Nachwuchs, wenn er mal wieder schwänzte, zähneknirschend eine Entschuldigung – damit keine unentschuldigte Fehltage im Zeugnis stehen.

Übrigens: Kai Blumenstein fand noch eine Lehrstelle – sozusagen auf den letzten Drücker. Jedoch nicht als Bürokaufmann, sondern als „Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistung“. Und nicht, wie erhofft, bei einem Großunternehmen, sondern bei einer mittelständischen Spedition. Und sein Chef? Er ist mit seinem Azubi „total zufrieden“.

Denn die pubertären Flausen, die zu den unentschuldigten Fehltagen und schlechten Kopfnoten führten, hat Kai Blumenstein heute, als fast 17-Jähriger, nicht mehr im Kopf.